LUELLA
Ich fühle mich verloren.
Neo hat mich gebeten, die Nacht bei ihm zu bleiben. Es war ein merkwürdiges Gefühl, neben jemandem im Bett zu liegen, mit dem ich vorher geschlafen hatte. Ich kenne es nicht. Normalerweise trennen sich nach dem Sex unsere Wege, weil die Männer mit denen ich sonst schlafe, mich dafür bezahlen. Neben Neo zu liegen, seinen heißen Atem und den starken Arm um meinem Körper zu spüren, hat mich zuerst unwohl fühlen lassen, doch irgendwann genoss ich es. Ja, ich habe es genossen. Ich kann nicht leugnen, dass dies die erste Nacht war, in der ich nicht von bösen Träumen geweckt wurde. Nein, ich habe bis elf Uhr geschlafen. Gott, was tut dieser Mann nur mit mir? Er ist so ungehobelt und gleichzeitig zieht mich das an, wie das Licht die Motte. Stimmt etwas nicht mit mir? Da bin ich mir sogar sicher. Natürlich habe ich einen Knacks, wenn man bedenkt, dass ich seitdem ich fünfzehn war, in diesem Bordell war. Es war vorprogrammiert, das ich irgendwann so unfähig zum lieben bin, wie jetzt. Alles fühlt sich fremd an. Seine Nähe, seine Berührungen, seine Küsse. Wird sich das ändern? Vermutlich wird es das, aber es wird lange dauern.
Nachdenklich lege ich meinen Kopf auf den angezogenen Knien ab und schaue aus dem Fenster. Ich sitze in der vollen Badewanne und starre hinaus auf die Stadt. Noch immer bin ich müde. Ich könnte noch zehn Stunden schlafen, aber dafür ist es noch zu früh. Ich will nicht den restlichen Tag verschlafen.
Ara hat es erstaunlich gut aufgenommen, als ich ihr erzählte, was meine Aufgabe war. Das ich es dem Bürgermeister besorgt habe, während ihr Bruder ihm eine Knarre an die Stirn gehalten hat, habe ich ihr allerdings verschwiegen. Ich will keine Unruhe zwischen den beiden stiften, sie sind sowieso nicht sehr eng, habe ich das Gefühl. Vielleicht irre ich mich da auch. Meine beste Freundin ist vor einer halben Stunde mit ihrem Vater verschwunden. Die beiden haben sicher viel zu besprechen und da will ich sie ungern mit meinen Problemen belagern. Jetzt, da ich die Aufgabe für die Vipers erledigt habe, kehren die Zweifel zurück. Hernández ist immer noch mein Problem. Er wird ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt haben, so wie auf die anderen Mädchen, die vor einiger Zeit verschwunden sind. Einer seiner Männer, wird mich fangen, wenn ich mich aus dem Schutz der Vipers verabschiede. Es wird nicht lang dauern. Wer weiß, was sie dann mit mir anstellen. Ich will nicht darüber nachdenken. Kalte Gänsehaut breitet sich auf mir aus und jagt mir drei Schauer über den Rücken. Ich hasse Hernández so sehr und hoffe, das er in der Hölle schmoren wird. Ich bete, dass ihm dasselbe widerfährt, wie das, was er uns angetan hat. Er ist ein Monster. Ein fettes, ekelhaftes Monster mit Goldketten.Meine Finger kreisen durch den Schaum des Wassers und ich versinke einen Moment in den Schaumbergen, die die Badeessenz geschlagen hat. Zurücklehnend tauche ich unter und zähle bis zwanzig, bis ich kaum noch Luft bekomme und Sterne vor meinen Augen tanzen. Das warme Wasser hat eine beruhigende Wirkung auf meine Glieder. Ich fühle mich schwerelos und sorgenfrei für einen Moment. Erst als ich drohe in der Ohnmacht zu versinken, drücke ich mich zurück an die Oberfläche und schnappe japsend nach Luft. Tief atmend wische ich mir den Schaum aus dem Gesicht und streiche mir die nassen Haare über die Schultern. Mein Herz rast und Adrenalin rauscht durch meine Adern. Ich fühle mich lebendig. Schwer atmend lege ich mir die Hand auf die Brust und schließe meine Augen einen Moment, um mich zu beruhigen. Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergehen wird. Das macht mir Angst. Ich mag es hier, aber alle wissen, das mein Platz nicht in den Reihen der Vipers ist. Dafür bin ich nicht stark genug und vielleicht will ich das auch gar nicht. Ich möchte nur frei sein, befreit von all der Last und dem Übel, das ich mit mir trage. Ich will, dass die schwarze Regenwolke über meinem Kopf endlich verschwindet und die Sonne durchlässt. Ein paar Sonnenstrahlen kann ich gut gebrauchen.
Triefend nass steige ich aus dem Badewasser und wickle meinen Körper in ein mollig warmes Handtuch aus Frottee. Ich tapse zum Spiegel, wische mit einem zweiten Handtuch über das Glas, da es völlig mit Wasserdampf belegt ist. Als ich mich wieder selbst sehen kann, werfe ich das zweite Handtuch in den Wäschekorb und beginne meine Haare zu trocken. Mit dem Föhn unter dem Waschbecken, klappt das zügig. Ara musste mir vor ein paar Tagen zeigen, wie man ihn benutzt. Es ist ein teures und umständliches Modell. Mehrere Stufen und ein Programm mit kalter Luft. Ich will nicht wissen, wie viel das Ding gekostet haben muss. Es tut im Endeffekt seinen Job, so wie jede andere Föhn ebenfalls. Da meine Haare dick und lang sind, dauert es gute fünfzehn Minuten, bis meine Mähne trocken ist. Ara hat mir etwas Haaröl von sich geborgt, dass meine Haare geschmeidig machen soll. Föhnen mit Locken ist nur eine gute Idee, wenn man aussehen will wie ein Tiger. Dabei sind meine Haare welliger im Gegensatz zu Aras, die richtige Korkenzieherlocken hat. Das Öl wirkt und meine Haare glänzen gesund. Zufrieden verlasse ich das Badezimmer und krame mir ein paar Kleidungsstücke aus dem Schrank. Frische Unterwäsche, eine schwarze Jeans und ein Shirt mit V-Ausschnitt.
Wann Ara wohl wieder Zeit hat? Ich werde sie nicht drängeln, aber ich würde gerne mit ihr sprechen. Ich brauche jemanden, der mir zuhört und mir bei meiner Entscheidung hilft. Es ist keine leichte. Gehe ich, wird es nicht lang dauern bis Hernández mich gefunden hat. Bleibe ich, weiß ich nicht, was Neo tun wird. Ich bin eine Bürde. Ara kann kämpfen, sie ist stark und hat den Willen, den es braucht. Ich? Ich kann nicht einmal lesen...Ausatmend verlasse ich mein Zimmer und schlendere nach unten ins Erdgeschoss. Es ist still im Haus. Ara muss noch im Zimmer ihres Vaters sein und sich mit ihm unterhalten. Auf leisen Sohlen gehe ich in die Küche. Mein Magen knurrt verdächtig bei jedem Schritt. Das Hausmädchen ist nicht in Sicht. Vermutlich ist sie einkaufen. Hungrig öffne ich den großen Kühlschrank und schnappe mir einen Joghurt mit Mango, Pfirsich und Passionsfrucht. Er ist frisch mit den Früchten von der Plantage gemacht. Ich schnappe mir einen Löffel, lehne mich gegen die Küchenzeile, mit dem Rücken zur Tür und dem Gesicht zum Fenster. Genüsslich esse ich die Schüssel leer und je mehr sich mein Magen füllt, desto mehr hebt sich meine Stimmung. Es ist ein guter Tag. Das erste Mal seit langer Zeit, habe ich das Gefühl, das es besser wird. Ich weiß es.
Schritte erklingen hinter mir. Verwundert drehe ich mich um und erblicke Toro, der mit zielstrebigen Zügen auf mich zukommt. Auf seinem Gesicht hat sich ein merkwürdiger Ausdruck breit gemacht. Ich kann nicht einschätzen, was ihn plagt. »Tut mir leid«, entschuldigt er sich, doch mir ist nicht klar wieso. Ich öffne die Lippen, will gerade fragen wieso, da packt er mich und presst ein stinkendes Tuch über meine Nase. Erschrocken lasse ich die Schüssel fallen und winde mich in seinen Händen. Eine Hand an meinem Hinterkopf, die andere über Nase und Mund. »Mhm!«, kreische ich und niemand wird es hören. Es ist zu leise. Sterne tanzen vor meinen Augen. Toro blickt mich starr an. Meine Hände, die ihm zuvor über den Arm gekratzt haben fallen schlaff hinab. Ich hole zu einem Tritt aus, aber meine Beine knicken weg. Panisch schlägt mir mein Herz gegen die Brust und meine Augen sind aufgerissen. Tellergroß. Tränen schießen aus ihnen und rinnen über Toros Hand. Was tut er da? Wieso tut er das? Wollen die Vipers mich nun doch loswerden? Mich im Wald verscharren? Ich will mich wehren, ihn von mir stoßen und ihm in die Eier treten, aber der Nebel der sich rasend schnell in meinem Gehirn ausbreitet, übermannt mich. Der bullige Kolumbianer stülpt mir einen Sack über den Kopf, ich verliere endgültig das Bewusstsein.
Das wird mein Ende sein.
DU LIEST GERADE
VIPERS
RomanceDie Prostituierte Luella weiß nichts über die Gang, die Nachts ihr Unwesen in den Straßen von Bogotá treibt. Das ändert sich, als Sie im falschen Stadtteil, zur falschen Zeit ist und eine Begegnung mit dem Kopf der Bande hat, der sie unheimlich attr...