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LUELLA

Ich sitze in einer schicken schwarzen Limousine auf dem Rücksitz neben Neo und habe die rote Maske auf meinem Schoß liegen. Es geht hinab in die Stadt, die bei Nacht hell erleuchtet ist. Toro sitzt vor mir auf dem Beifahrersitz und der Mann, der fährt, hat sich als Ryan vorgestellt. Ich habe nicht viel mit ihm gesprochen, weil Toro ihn in ein kurzes Gespräch verwickelt hatte. Neo schweigt seit wir eingestiegen sind. Nach unserer Unterhaltung im Garten ist es merkwürdig zwischen uns geworden. Ein Kloß hat sich in meinem Hals gebildet, der minütlich schwerer auf meiner Kehle wiegt. Seine Worte muss ich sacken lassen. Mir war im Hinterkopf bereits bewusst, welche Richtung der heutige Abend einschlagen würde, aber es aus seinem Mund zu hören, hat mich trotzdem überrumpelt. Bleibt mir denn eine Wahl? Wohl kaum. Neo ist das kleinere Übel. Zu Hernández werde ich sicher nicht mehr freiwillig gehen. Nein, nur über meine Leiche werde ich an diesen schrecklichen Ort zurückkehren.

Trotz der Unruhen ist es verdächtig ruhig in der Stadt geworden. Die Polizeipräsenz ist beachtlich. Auf dem Weg zum Stadtpalast der Regierung passieren wir die bewachten Straßen. Kein Wunder, wenn man weiß wie es hier noch vor ein paar Tagen ausgeschaut hat. Der Bürgermeister hat alles aufräumen lassen für seinen Abend. Ich habe mir sagen lassen, das er heute eine Feier anlässlich seiner Amtszeit veranstaltet. Natürlich hofft er darauf wieder gewählt zu werden, aber das sieht bei dem momentanen Quoten schlecht aus. Zumindest sagte das Neo so. Ich weiß nicht, was Quoten sind.

Ryan steuert auf einen großen Gebäudekomplex zu, der sich mitten in der Stadt aus dem Boden erhebt. Sechs Stockwerke und riesige Marmorsäulen die das Dach stützen. Die Fassade ist beleuchtet und die vielen Stufen die zum Eingang hinaufführen wurden mit einem roten Teppich ausgelegt. Teure Autos reihen sich aneinander, Frauen und Männer in den tollsten Garderoben schreiten die Stufen hinauf. Ich fühle mich sofort fehl am Platz, obwohl ich mit meinem Kleid zwischen den Menschen nicht auffallen werde. Und doch könnten diese Menschen mir nicht fremder sein. Wenn sie wüssten, das ich eine Hure aus Santa Fé bin, würden sie mich mit verachteten Blicken beäugen, als sei ich ein boshaftes Tier.
»Setzt Eure Masken auf«, erklingt Neos tiefe Stimme links neben mir und ich tue was er sagt. Ich lege mir das kühle Plastik ans Gesicht. »Dreh dich um«, murmelt er und ich wende mich ab. Schon kurz darauf spüre ich seine Hände an den Satinbändern. Er bindet sie auf meinen Haaren zu einer Schleife und berührt dabei einige Strähnen, was ich sofort bemerke. Vorhin im Garten hat er mich mit diesem undeutbaren Blick betrachtet. Ich würde zu gern wissen, was in dem Moment durch seinen Kopf gegangen ist. Neo ist immer noch ein Rätsel für mich und ich weiß nicht, ob ich ihn mögen oder hassen sollte.
»Danke«, hauche ich und riskiere einen Blick hinüber. Seine Augen und die Nase sind von einer schlichten schwarzen Maske bedeckt, die auch seine Wangen und die Stirn verbirgt. Steine stürmischen Augen kommen durch den dunklen Ton noch mehr zur Geltung. Sie ziehen mich wie üblich viel zu lang in ihren Bann. Einstig die sich öffnende Tür reist mich aus meinen Gedanken. Neo packt meine Hand und schaut mich eindringlich an. »Denk dran und mache es so wie wir es abgesprochen haben«, raunt er mir, damit der Mann, der mir soeben die Tür geöffnet hat, es nicht hört. Ich nicke. Seine Hand löst ein warmes Kribbeln auf meiner Haut aus. Es ist das selbe, das ich fühlte als ich ihm im Badezimmer so nah war. Es ist keine Lust, sondern etwas anderes. Ohne noch ein Wort zu verlieren steige ich aus und nehme die Hand des Mannes an, der neben dem Auto steht. Er trägt einen Smoking und weiße Handschuhe. »Guten Abend, ich begleite sie nach drinnen. Dürfte ich ihre Einladung sehen?«, stellt er sich vor und ich zücke die geprägte Eintrittskarte, die mir Neo zuvor ausgehändigt hat. Zufrieden nimmt der Mann sie an sich und geleitet mich die vielen Stufen hinauf. Der lauwarme Abendwind schlägt uns um die Ohren und mein Herz klopft so laut, weil ich mit jeder Stufe die wir den Stadtpalast Näherkommen, etwas mehr Angst meine Glieder erfüllt.
Die Eingangshalle ist mit prächtigen Kronleuchtern und Gemälden bestückt. An allen Ecken sehe ich Security, sie stehen in den Ecken und sind wie Besucher gekleidet, dabei fallen die wegen ihrer Schweigsamkeit auf. Glänzende Böden, die Treppe ist mit Teppich ausgelegt. Alles schreit nach Geld. Der Mann der mir die Autotür öffnete, führt mich über den roten Teppich weitere Treppen hinauf. Ich raffe mein Kleid mit einer Hand zusammen damit ich nicht stolpere. In der ersten Etage, führt er mich in einen großen Ballsaal, so einen wie es in Filmen gibt. Er verabschiedet sich von mir und lässt mich allein. Tief durchatmend straffe ich meine Schultern und laufe auf die errichtete Bar auf der linken Seite zu. Ich lege meine rechte Hand auf die Theke und mache den Barkeeper so auf mich aufmerksam. »Einen Martini bitte«, bestelle ich mir. Ich habe diesen Drink zwar noch nie zuvor gehabt, aber schon öfters gesehen wie Ara sich einen im Bordell macht, wenn sie Pause hat.
Er reicht mir ein trichterförmiges Glas in der eine Olive im Alkohol schwimmt. Ich nehme es dankend an und drehe mich zum Raum herum. In diesem Moment betreten Neo und Toro den Raum. Sie mustern die Gesellschaft prüfend und teilen sich anschließend auf.

Mit pochendem Herzen kreisen meine Augen durch den Raum. Es müssen zig Menschen geladen wurden sein. Keiner von ihnen kommt mir bekannt vor. Ein Wunder, dass diese Feier nach den Unruhen überhaupt noch stattfindet. Die Menschen die hier versammelt sind, scheinen sich wenig um die Armen und geringverdienenden zu scheren. Das macht nicht wütend. Menschen wie ich, die verschleppt wurden und zur Prostitution gezwungen, sind für die Abschaum. Sie sehen es schlichtweg nicht, doch man sollte meinen, das es der Regierung nicht egal wäre.
»Und? Schon jemanden entdeckt?«, ertönt Neos leise aber raue Stimme neben mir. Er lehnt sich an die Bar und bestellt sich ein Glas Bourbon. »Nein, bis jetzt noch nicht. Es ist sehr voll im Saal«, lächle ich und schaue mich weiter um. Niemand darf wittern, das wir beide uns kennen. Neo nimmt sein bestelltes Glas entgegen und nimmt einen großen Schluck. Er steht mit dem Rücken zum Raum und so sieht niemand, das wir uns unterhalten. Ausatmend lehne ich meinen Rücken gegen den Bartresen und setze ich mich auf den Hocker gleich neben mir. Der Schlitz in meinem Kleid bringt meine gebräunte Haut zum Vorschein. »Er trägt eine goldene Maske und hat dunkle Haare«, raunt er mir zu. »Ich weiß«, murmle ich und trinke einen weiteren Schluck meines Martinis. Den brennenden Alkohol kann ich im Moment gut gebrauchen. Ohne ihn werde ich den Abend nicht überstehen. Ich ordere mir gerade Nachschub, als ich seine goldene Masse in der Ferne ausmache. Er läuft direkt auf uns zu, direkt auf die Bar. Mein Herz klopft auf. Unsere Blicke treffen sich und ich wende mich ab. Neo raunt mir ein »viel Glück« zu, dann verschwindet er. Keine Minute später findet sich der Gastgeber des Abends neben mir wieder.
»Einen Whisky, ohne Eis«, bestellt er sich beim Barkeeper und lehnt sich gegen das Holz. Ich höre mein Blut in den Ohren Rauschen, doch ermahne mich, das dies hier nur ein Job ist. Ich muss mir nur vorstellen, dass dies das Bordell ist, nichts anderes. Sitzend drücke ich meinen Po noch etwas nach hinten und straffe die Schultern. Der lange Ausschnitt an meinem Rücken wird nur spärlich von meinen langen Haaren verdeckt, da ich sie mir über die Schulter streiche. In dem Moment neigt er seinen Kopf zu mir hinüber und seine Augen fahren meine Körper gierig entlang. Jackpot, welch ein leichtes Spiel.
»Guten Abend, wie ist ihr Name, schöne Frau?«

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