LUELLA
Dunkelheit.
Es ist Tag, aber es ist stockfinster als ich die Augen öffne. Der Sack über meinem Kopf stinkt und das Fahrzeug in dem ich sitze, ruckelt über einen unebenen Weg. Ich fühle die weichen Sitze des Jeeps unter mir, der Anschnallgurt um meinen Körper. Meine Hände wurden hinter meinem Rücken gefesselt und so bin ich nicht fähig, richtig im Sitz zu sitzen. Es ist unbequem und ich winde mich. Am liebsten würde ich schreien, aber der Fetzen in meinem Mund verwehrt mir das. Toro... was hat er nur mit mir vor? Wirft er mich den Schlangen zum Fraß vor? Wieso sollte er das tun? Ist er nicht vorhin mit Neo gegangen? Handelt er auf eigene Faust, oder steckt der Kopf der Vipers da mit drin?
Ich habe Todesangst als das laute Radio verstummt und der Jeep anhält. Der Schlüssel ratscht aus dem Schloss und Toro steigt aus. Seine Tür knallt und ein paar Augenblicke später öffnet er die meine. Er schnallt mich ab und zerrt mich aus dem Gefährt. Meine Sohlen berühren harten Asphalt, das spüre ich bei jedem Schritt, den wir gehen. Toro hat mich fest am Arm gepackt und schleift mich mit sich, dabei ist er nicht sehr sanft und tut mir weh. »Mhm, mhm!«, stoße ich aus und reibe meine Hände aneinander. Die Fesseln schneiden in mein Fleisch ein. Sie sitzen viel zu straff an meinen Handgelenken. »Stufe«, knurrt er und ich stolpere. Er fängt mich gerade so auf und murmelt etwas unverständliches. Ich hebe mein Bein die Stufe hinauf und er drängt mich auf einen gefliesten Boden, das höre ich am Nachhall der Schritte. Ein Duft steigt mir in die Nase während Panik in meinem Knochen aufkriecht. Ich kenne diesen Duft. Nein, diesen Gestank. Hysterisch reiße ich ihm meinen Arm aus der Hand und rüttle an meinen Fesseln. Ich stolpere unbeholfen ein paar Schritte und pralle gegen eine Wand, als mir bewusst wird wo wir uns befinden. Tränen fluten meine Augen während er mich weiter durch den Flur des Bordells zieht. Ich bin in Santa Fé, zurück in der Hölle an die die Menschenhändler mich damals verkauft haben, wie ein Stück Brot. Die Vipers haben mich tatsächlich an Hernández ausgeliefert. Wie kann Diego das nur nach all dem, was zwischen uns vorgefallen ist, tun? Wie kann er mich an diesen vergewaltigenden Zuhälter ausliefern, nachdem er mich bat eine Nacht bei ihm zu schlafen? Neben ihm, in seinem Bett? Körper an Körper, Herz an Herz? Wieso bin ich so naiv gewesen? Wie konnte es soweit kommen? Nach all dem, was ich für ihn getan habe. Wegen mir, sitzt sein Vater zuhause in der extravaganten Villa und darf sein Leben in Freiheit genießen. Wegen mir, haben wir den Bürgermeister in dieses Zimmer locken können. Wegen mir ist sein dämlicher Plan aufgegangen und wie dankt er es mir? Er verschachert mich an Hernández wie ein Stück Vieh. Das bekommt man, wenn man sein gebrochenes Herz für einen Mann öffnet. Es wird einem herausgerissen und darauf herumgetrampelt.Mit aller Kraft die ich aufbringen kann, trete ich nach hinten aus und treffe Toro am Schienbein. Der große Kolumbianer stöhnt auf und lässt von mir ab. Das ist meine Chance. Ich nutze die Sekunde und lasse mein Kopf nach unten schnellen. Die Haube rutscht mir vom Kopf und ich kann endlich wieder sehen. Panisch blicke ich zurück. Toro krümmt sich und reibt sich über mein Bein. Verdammt. Ich bin im Flur und komme unmöglich an ihm vorbei in den Hof. Also bleibt mir nur der Haupteingang. Eilig setze ich mich in Bewegung und biege um die nächste Ecke. Toro stößt einen animalischen Schrei aus und hetzt hinter mir leer. Der Laden durch den ich renne ist wie ausgestorben. »Fuck, bleib stehen Luella!«, ruft er mir nach und ich höre seine schweren Schritte hinter mir über den Boden poltern. Er kommt mir immer näher. Mit gebundenen Händen lässt es sich eben nicht so schnell rennen. Ich umrunde die Bühne und eile an der Bar vorbei. Renne um mein Leben. Nie und nimmer werde ich in diesem Bordell bleiben, eher muss man mir eine Kugel zwischen die Augen jagen. Nein, ich werde nicht mehr so leben, nicht mehr benutzt werden. Ich will frei sein, wieso ist mir das nicht vergönnt?
Lange Finger haschen nach meinem Shirt und packen meine Hüfte. Ich werde zurück geschleudert gegen die eiserne Brust des Kolumbianers und beginne bitterlich zu weinen. Ich hasse mich in diesem Moment, weil ich schwach bin. Ich will Widerworte geben und ihm die Zähne zeigen, aber die Tränen rinnen wie Bäche über meine Wangen. Zu tief sitzt das Trauma, das dieser Laden in mir hinterlassen hat. »Beruhig dich«, knurrt die rechte Hand der Vipers mir ins Ohr. Sein Griff so fest wie ein Schraubstock. »Komm runter Luella. Es ist nicht, wie du denkst«, erklärt er mir.
»Ach nein?«, zische ich und winde mich in seinen Armen. Ich habe keine Chance gegen ihn. Das hatte ich nie. »Ihr habt mich Hernández ausgeliefert!«, werfe ich ihm an den Kopf. Er dreht uns auf der Stelle herum und meine Füße heben vom Boden ab. Er trägt mich wieder in den Flur und schon von weitem erkenne ich die Treppe, auf die er zusteuert. Die Treppe, die hinauf in die Hölle führt. Was wird Hernández mit mir anstellen, wenn er mich wieder hat? Sicher wird er mich vergewaltigen, foltern, restlos zerstören. Das letzte bisschen meinen Seele vernichten, das mir geblieben ist. Wenn ich nicht sterbe, verkauft er mich an den besten Käufer. Ich werde weitergereicht wie Ware. Wie ein Gegenstand, als wäre ich kein Mensch, als hätte ich keine Rechte.
»Haben wir nicht. Neo wollte nicht, dass jemand etwas mitbekommt. Es tut mir leid, das ich so grob war. Habe ich dich verletzt?«, will er wissen und trägt mich die Treppe hoch. Inzwischen habe ich es aufgegeben, mich zu wehren. Seine Worte verwirren mich und ich möchte nicht rückwärts mit ihm die Treppe nach unten fallen, wenn ich versuche zu entkommen. Das wird unschön enden. »Neo?«
»Sieh selbst.«
Toro stellt mich auf dem Boden ab und stößt die Tür zu Hernández' Büro im ersten Stock auf. Ich spüre etwas an meinen Händen und plötzlich ratscht es und die Fesseln lösen sich. Die Seile fallen kaputt zu Boden und ich schnappe erschrocken nach Luft, betrachte meine geröteten Hände, als wäre dies ein Zauber gewesen. Toro drängt mich in das schäbige, stinkende Büro hinein. Zwischen Papieren und Rechnungen sitzt der Puff Besitzer Hernández auf seinem abgeranzten Ledersessel. Sein Gesicht ist wutverzerrt. Hinter ihm, im schwachen Licht der von der Decke hängenden Glühbirne steht Timeo. Der Viper hat die Arme verschränkt und hat sein Gesicht aufmerksam in Hernández Richtung gewendet. Rechts neben ihm, steht der, den ich hier am wenigsten erwartet hätte. Neo hält ihm seine Kanone gegen den Kopf, aber seine Aufmerksamkeit gilt allein mir. Nur am Rande vernehme ich wie Toro die Tür hinter uns schließt und sich dagegenlehnt.
»Luella«, spuckt Hernández giftig aus und bekommt dafür einen Hieb mit dem Lauf gegen den Kopf. Er stöhnt auf und erst jetzt sehe ich die Platzwunde, dessen Blut bereits getrocknet ist. Sie muss schon mindestens eine halbe Stunde alt sein. Von der Villa bis nach Santa Fé braucht man ungefähr so lang.
Ich verstehe die Welt nicht mehr.
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VIPERS
RomanceDie Prostituierte Luella weiß nichts über die Gang, die Nachts ihr Unwesen in den Straßen von Bogotá treibt. Das ändert sich, als Sie im falschen Stadtteil, zur falschen Zeit ist und eine Begegnung mit dem Kopf der Bande hat, der sie unheimlich attr...