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NEO

Der nasse Kies knarzt unter den Reifen des Jeeps, als wir auf einer geschotterten Fläche vor einer riesigen Lagerhalle mitten im Dschungel ankommen. Die Halle, in der Pablo vor ein paar Tagen starb. Dieser Ort ist abgelegen und klug gewählt um jemanden ohne Publikum verhören zu wollen, auch wenn ich Luella nicht deswegen hergebracht habe. Hier haben wir vor allem eins - unsere Ruhe.
»Was tun wir hier?«, fragt sie mich skeptisch und schaut durch die Frontscheibe auf den Komplex. »Steig schon aus, ich erzähl's dir drinnen«, verspreche ich und schnalle mich ab. Mit einem Schwung stehe ich auf dem Schotter und eile hinüber zur großen Tür, direkt neben dem Tor. Luella folgt mir durch den schüttenden Regen und schlüpft hinter mir ins Innere der Halle. Ausatmend fährt sie sich durch ihre feuchten Haare während ich den Regen aussperre und den Schlüsselbund klirrend in meiner Hand schwinge. Neben dem Eingang gibt es eine Hauptsicherung die ich umlege. Keine Sekunde später erhellen die großen Industrielampen den Betonboden um uns. In der großen Halle gibt es nur einen kleinen Bereich, der abgegrenzt ist. Früher war es mal ein Büro, heute dient es hauptsächlich als Rückzugsort. Ich führe Luella ohne Umschweifen dorthin und lege meine Schlüssel auf dem braunen Tisch ab, der dort mit sechs Stühlen steht. »Wo sind wir hier?«, erkundigt sie sich neugierig und schaut sich immer wieder um. Aus dem Minikühlschrank neben der Tür fische ich mir eine Flasche Wasser und schraube sie mit einem geschickten Handgriff auf. »Wir nutzen die Halle gelegentlich für ein paar Aktionen. Ich habe diesen Ort für heute ausgesucht, weil uns niemand stören wird«, erkläre ich und nippe an der Plastikflasche. Anschließend findet sie ihren Platz auf dem Tisch und ich streife meine Jacke ab, die etwas nass vom Regen geworden ist. Luella tut es mir gleich. Darunter trägt sie ein eng anliegendes Shirt, dass sie in den Bund ihrer Jeans gesteckt hat. Ihre Kurven kommen in diesem Aufzug verdammt Gut zur Geltung. Ihr Körper ist wie eine Sanduhr und ich spüre bereits, was dieser Anblick in mir auslöst.
Gott, reiß sich zusammen verdammt. Ich bin nicht hier um sie zu ficken. Ich will ihr etwas beibringen.

»Für deine Aufgabe brauchst du ein gewisses Level an Selbstverteidigung. Manchmal geht etwas schief und du findest dich in einer brenzlichen Lage wieder, aus der wir dir nicht sofort helfen können, weil du allein bist. Du musst wissen wie du dich verteidigst und die beste Waffe dazu ist die hier.«
Ich zücke mein Messer und schwinge es mit gezogener Klinge in meiner Hand. Luellas Augen werden größer. »Ein Messer?«
»Dein neuer bester Freund.«
»Ich weiß nicht... ich kann nicht-«
»Können und wollen ist etwas unterschiedliches. Wir alle müssen uns früher oder später verteidigen können. Ich kann dich das nicht tun lassen, wenn du dieses Messer nicht benutzen willst«, erkläre ich ihr. Die dunkelhaarige atmet seufzend aus. Skeptisch mustert sie das Messer in meiner Hand. Es gleitet mit solch einer Leichtigkeit durch die Luft. Der Gedanke daran wie es auf ihrer Zunge lag, lässt mir die Hose eng werden. Fuck Diego, reiß dich zusammen.

»Folgst du mir nun?«, will ich wissen und halte in der Tür inne. Unsicher grübelt sie über meine Worte und scheint abzuwägen was schlimmer ist. Ich bin erleichtert, das sie nachgibt und mir zurück in die große Halle folgt, in der ich sie in die Mitte der Betonfläche Lotse, an der es am hellsten ist. Ich stehe ihr zwei Meter entfernt gegenüber und hebe die Hand in der das Messer liegt. »Ich zeige dir ein paar Griffe und Techniken mit denen du dich verteidigen kannst, anschließend wirst du es selbst versuchen«, sage ich und beginne mit der ersten. Ich nähere mich ihr, Klappe die Klinge ein aber strecke es in ihre Richtung. Ich will Luella nicht verletzten, deswegen demonstriere ich es ohne Klinge. »Ein guter Griff ist das a und o. Wenn du ausholst musst du deine Schulter mit einsetzen um mehr Kraft aus dem Schwung zu holen, das ist wichtig. Am besten zielst du hier hin.«
Mit dem zusammengeklappten Messer berühre ich Luellas Seite und tippe sie an. Sie zuckt überrascht und nickt. »Es wird wehtun. Du willst ihn nicht töten, klar?«, bläue ich ihr ein. Verwundert treffen ihre Augen die meine. »Wieso nicht?«, möchte sie wissen. »Weil du kein Killer bist«, mache ich ihr klar. Luella macht diese Mission nicht um einer zu werden, sondern damit ich an mein Ziel komme und das beinhaltet keine weiteren Toten. Ich decke lediglich die Eventualitäten mit dieser Lernstunde ab. »Okay verstanden«, antwortet sie.
Zufrieden trete ich noch einen Schritt näher und umrunde sie. Hinter ihr stehend schlinge ich einen Arm um ihren Bauch und mit dem anderen lange ich nach ihrer Hand. Ich schiebe das Messer in ihre rechte Handfläche und drücke den Knopf um es zu öffnen. Die Klinge schnippt hinaus und präsentiert sich uns glänzend im künstlichen Licht. Ich spüre wie nervös Luella ist. Sie hegt einen gewissen Respekt vor dieser Waffe in ihren Händen. Aber das wichtigste ist, das sie ihr vertraut. Sie muss Herr über die Waffe sein die sie führt, damit diese nicht Herr über sie wird.

Ich umgreife ihre Hand mit meiner und drücke sie fest um den Griff des Messers. »Du neigst dich ein Stück zurück bevor du ausholst, drehst die Schulter dabei mit«, flüstere ich gefährlich nah an ihrem Ohr. Wenn ich ihr so nah bin rieche ich ihren süßen Duft und spüre wie hektisch sie atmet, wie schnell ihr Herz klopft. Es ist als wären wir zu einem verschmolzen. »Dann rammst du es mit all deiner Kraft nach vorn.«
Ich stoße ihre Hand los und sie keucht als das Messer durch die Luft saust. »Es trifft die Zielperson und du lässt es nicht los. Nein, du wirst es rausziehen und nicht zögern. Wenn du zögerst, kann dein gegenüber die Zeit aufbringen um dich zu entwaffnen und dann bist du Tod.  Verstehst du das?«, frage ich sie und sie bringt nur ein Nicken zustande. Meine Brust prallt gegen ihren Rücken und wir werden eins. Ich bewege ihre Hand durch die Luft, das Messer fest umgriffen.
»Hast du schon mal gezögert?«, fragt Luella mich leise. Welch eine komische Frage. Wieso möchte sie das wissen? Es ist für sie nicht von Belangen. »Einmal«, gestehe ich und grabe meine Hand fest in ihre Seite, damit sie nicht entwischen kann, »und es war ein Fehler.«
»Was ist passiert?«
»Er hat mich erwischt bevor ich ihn getroffen habe. Ich habe Glück gehabt, sonst hätte er meine Lunge getroffen.«
»Wieso tun Menschen das?«
»Weil sie überleben müssen, so wie du mit diesen Männern geschlafen hast, weil du überleben musstest«, vergleiche ich und Luellas Arm erschlafft augenblicklich in meinem Griff. Sie lässt ihn sinken und ich nehme ihr das Messer ab, halte jedoch weiter hinter ihr inne. »Wenn ich das für dich erledigt habe, dann bin ich nicht frei«, wispert sie mit belegter Stimme. Ich weiß sofort wo von sie spricht doch es ist das erste mal, das es meine Gedanken kreuzt. Die Kolumbianerin atmet tief aus und nimmt mir das Messer ab. Sie dreht es zwischen ihren Fingern und betrachtet es skeptisch. Noch vor ein paar Wochen hätte ich das Messer längst abgenommen und sie nie in die Nähe davon gelassen. Ich traute ihr zu wenig über den Weg. Jetzt weiß ich, das sie mich nicht attackieren würde. Sie ist zu klug und weiß genau das ich ihr haushoch überlegen bin.
»Ich gehöre immer noch Hernández und habe nicht das Geld um mich freizukaufen. Ara hat einen Teil meines Gehaltes für mich aufbewahrt, aber es reicht nich annähernd um auch nur ein Haar von mir zurück zu kaufen«, erzählt sie. Meine Stirn legt sich in tiefe Falten.
Meine Schwester hat ihr geholfen Geld zur Seite zu legen um sich freikaufen zu können? Arabella muss wirklich eine gute Freundin für sie sein. Ich wusste nicht, das meine Schwester in so einem schäbigen Bordell arbeitet, geschweige denn wieso sie dort geblieben ist, doch nun wird es mir klar. Es war wegen ihr. Wegen Luella hat sie all die Monate dort gearbeitet und wollte nicht, das ich es erfahre, wegen ihr. Langsam beginne ich es zu verstehen. Ich muss dringend ein Wörtchen mit Arabella sprechen, aber das hebe ich mir für später auf. Jetzt muss ich Luella dazu bekommen, sich verteidigen zu können. Man weis nie, was alles schiefgeht.

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