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LUELLA

Eine anstrengende Woche liegt hinter mir. Viele Freier und wenig Schlaf haben ihre Spuren hinterlassen. Ich fühle mich müde und ausgelaugt. Ich weiß nicht, was mich später erwarten wird, aber anstrengender als dass hier, kann es nicht werden. Nur Ara habe ich noch nichts erzählt. Sie weiß nur, das ich für die Nacht von jemandem gebucht wurde, das ist vorher noch nie vorgekommen, besonders weil Hernández uns nur gegen sofortige Barzahlung gehen lässt was bedeutet, das Toro bereits die fünftausend beglichen hat, als er nach mir fragte. Er hatte wirklich so viel Geld mit... Sind alle Vipers so reich? Mit was verdienen sie überhaupt ihr Geld? Die Drogen, kommt es mir in den Sinn. Toro kommt fast jeden Abend, nicht wie sein Anführer es im Keller sagte. Dafür bringt er immer das doppelte von dem am Anfang mit. Danach folgt der ekelhafte Mann der immer will, das ich es ihm mit der Hand besorge, obwohl seine Frau auf ihn zuhause wartet. Sie tut mir leid. So ein Schwein von Mann hat niemand verdient.

Nachdenklich schrubbe ich meinen Körper und lasse den Rasierer die Beine hinauf gleiten. Ich habe noch eine Stunde, bis ich abgeholt werde und bis jetzt noch nichts zum anziehen. Toro meinte doch, er bringt etwas mit, oder? Hoffentlich tut er das.
Ich trage mein Duschgel auf, das Ara mir gekauft hat und wasche mich gründlich. Heute muss ich mal nicht mit einer Handvoll Männern schlafen, das fühlt sich fast schon an wie Urlaub, selbst wenn es komisch klingen mag. Das hier ist seit zehn Jahren mein Leben, davor bin ich in Bordellen aufgewachsen, in denen meine Mutter ihren Körper verkaufte. Ich kenne es nicht anders, habe nie eine Schule besucht oder das Viertel von Santa Fé verlassen, seit ich hierhin verschleppt wurde. Heute habe ich zum ersten Mal die Chance zu gehen und darüber freue ich mich wie ein kleines Kind.

~

Der große Latino marschiert pünktlich in das Zimmer, das ich im Erdgeschoss als Arbeitsraum nutze. Ich sitze in einer kurzen Hose und einem Trägertop auf dem Bett und warte, bis er ganz durch die Tür getreten ist. Erst als sie im Schloss liegt, fällt mir die Tüte in seinen Händen auf.
»Ist die für mich?«, frage ich sofort und der muskulöse Kolumbianer wirft sie mir zu. Ich ziehe eine Schachtel aus der Tüte und öffne sie gespannt. Blutrote Spitzenunterwäsche, ein Strumpfband aus funkelnden Kristallen und ein enges Kleid. Darüber einen langen Mantel und schwarze Pumps. Ehrfürchtig streiche ich über die teuren Kleidungsstücke und sauge die Luft ein.
»Zieh es an«, grummelt Toro ungeduldig. Hat er etwa noch etwas vor? Nickend hüpfe ich an ihm vorbei ins Badezimmer und ziehe mich rasch um. Bedacht streife ich mir das funkelnde Strumpfband aus Kristallsteinen über, das unter dem Saumen des eleganten roten, aber knappen Kleides hervorscheint. Zum Schluss ein bisschen Parfüm, die Schuhe und der Mantel. Fertig gekleidet trete ich aus dem schmalen Badezimmer und lächle Toro an. Ich fühle mich außerordentlich gut in der neuen Kleidung. Noch nie hatte ich solche exklusiven und teuren Klamotten an. Es fühlt sich wahnsinnig komisch aber auch schön an. Ich sehe aus wie die Frauen in den Nachrichten, als sie über den Ball im Rathaus berichtet haben. Nur das ich ein Strumpfband trage und eine Hure bin. Das wird mich immer von den anderen unterscheiden. Niemand kann seine Herkunft verleugnen, geschweige denn verstecken.

Toro hält mir die Tür auf und führt mich dann durch den Laden. Ich halte meine Augen nach Ara offen, die eigentlich hinter der Theke stehen müsste, aber die Aushilfe ist da. Ob Ara rauchen ist? Ich würde zugeben nachsehen aber der grobe Griff des Gangmitglieds ist zu fesselnd, um von ihm loszukommen. Er ziehe mich aus dem Bordell heraus und zum ersten Mal steige ich ein Auto. Es ist ein schwarzer unscheinbarer Jeep der am Straßenrand parkt. Ich nehme auf dem Beifahrersitz Platz und schnalle mich umständlich an, weil ich keine Ahnung habe, wie das funktioniert. Meine Augen gleiten an der Fassade des Bordells hinauf. In pinker Neonschrift prangt der Name an dem alten Putz.Das Haus in dem ich so viel Zeit verbringe ist hässlich und in die Jahre gekommen. Es rückt aus meinem Sichtfeld, wird kleiner im Seitenspiegel, je weiter wir uns davon entfernen. Toro wirft mir ein Stück Stoff auf die Beine und biegt auf eine andere Straße ab. »Wenn ich es dir sage, setzt du die auf«, befiehlt er mir und ich nicke. Zu fasziniert bin ich von den hohen Häusern und den beleuchteten Parks. Mit großen Augen präge ich mir jedes kleine Detail von Bogotá ein, denn es ist das erste mal, das ich die Stadt, in der ich schon so lange lebe, sehe. Nicht durch das Fenster in meinem Zimmer, sondern durch das eines Autos. Ich fühle mich frei, auch wenn ich das nicht bin. Ein schönes Gefühl fließt mir durch die Adern. Ich lehne meinen Kopf an die Scheibe und starre gespannt aus dem Fenster. Je weiter wir uns von Santa Fé entfernen, desto sauberer und gefüllter werden die Straßen mit Touristen. Toro muss meinen Blick bemerken doch das könnte mir im Moment nicht egaler sein. In mir macht sich zum ersten Mal sowas wie Glück breit, das einstig durch die kleine Autofahrt ausgelöst wurde.

~

Wie versprochen habe ich nach einer Weile die Maske aufgesetzt. Das Auto ist noch gute zehn Minuten weitergefahren und nun wird es langsamer. Eigentlich bräuchte ich das nicht. Ich kann mich ohnehin nicht in der Stadt orientieren, aber das scheint den Männer egal zu sein. Es rumpelt und ruckelt und wir sind eindeutig auf einem Feldweg unterwegs. Ich erinnere mich an das, was Ara mir vor ein paar Jahren erzählt hat. Sie sagte, dass die Straßen die in den dichten Dschungel führen, nicht geteert sind.
Die Luftfeuchtigkeit ist selbst zu solch einer späten Stunde beachtlich hoch. Durch das offene Fenster pustet mir der Wind um die Ohren, Musik spielt im Auto und Toro raucht beim fahren. Der Geruch seiner Zigarette steigt mir bei jedem Atemzug in die Nase. Bevor er mir die Augen verbunden hat, oder mir zumindest den Befehl dazu gab, nahm ich mir fünf Minuten um ihn zu Mustern. Er trägt ein Shirt und eine Kette um den Hals, die Arme und der Hals sind übersäht von Tattoos. Mir ist die Schlange auf seinem Unterarm nicht entgangen, die wohl für die Vipers stehen wird. Seine Haare sind zurückgegelt und er schaut aus wie ein Gangster aus den alten Streifen, sie Ara mir gezeigt hat.
»Wir sind gleich da«, nuschelt er und ich bin mir sicher, dass die Zigarette zwischen seinen Lippen hängt. »Sind wir noch in der Stadt?«, erkundige ich mich. »Wirst du schon sehen«, brummt er und das Auto wackelt erneut. Die spanische Musik übertönt das Gemurmel das aus seinem Mund folgt. Irgendwann wird die Straße wieder besser und das gerüttel versiegt. Ganze fünf Minuten vergehen ehe er parkt. Das Auto geht aus und die Musik verstummt, weicht den Geräuschen von einem mechanischen Klicken und dem Zirpen von Grillen. Nervös schlucke ich und streiche mir die Haare glatt. Durch die Augenbinde sehe ich noch immer nichts. Ich höre Toros Autotür die zufällt und seine Schritte auf Kies. Wo sind wir nur? Nervös warte ich ab bis sich meine Tür öffnet. Eine Hand ruht auf der meinen und zieht mich aus dem Wagen. Erst dann, wird mir die Augenbinde abgenommen.

Blinzelnd kneife ich die Augen zusammen und versuche mich irgendwo zu orientieren. Toro schließt die Beifahrertür mit einem Knall und pfeffert die Augenbinde auf den Sitz.
Zum ersten Mal sehe ich, wo genau ich mich befinde. Es ist eine Einfahrt, auf der ich stehe. Geschottert mit hellen Kieselsteinen, umgeben von Wiesen. Das mechanische Klicken das im Sekundentakt erklingt, stammt von den Rasensprinklern die die große Fläche bewässern. Erstaunt schaue ich mich um und blicke an der Fassade der großen Villa empor, die sich auf zwei Stockwerken in den Himmel erstreckt. Sie ist hübsch beleuchtet und hergerichtet. Blumen blühen vor den Steinwänden und den bodentiefen Fenstern. Geschützt von den hohen Bäumen des Urwaldes ragt sie in die Höhe und verschlägt mir den Atem. »Was?«, will der bullige Latino neben mir stehend wissen, »dachtest du, ich bringe dich zu irgend einer schäbigen Hütte?«, schnaubt er.
»Naja, vielleicht«, gebe ich zu und er schüttelt den Kopf, packt mich am Oberarm und zieht mich in Richtung des Eingangs. Erst jetzt entdecke ich den Mann der auf der Veranda vor der Haustür steht. Es ist ihr Anführer. Er steht da, die Arme vor der Brust verschränkt, was ihn nur noch muskulöser und angsteinflößender macht. Er trägt ein locker geknüpftes Hemd, dazu eine Jeans und einige Strähnen seiner pechschwarzen Haare liegen ihm auf der Stirn. Sein Blick ist so finster und tiefsinnig, das ich fast zu einer Salzsäule erstarre. Ist das dass Haus, in dem sie mich festhielten? Mit klopfendem Herzen trete ich über die Schwelle, schwer beobachtet vom Anführer der Vipers. Er mustert mich, reibt seinen Kiefer aufeinander und tritt einen Schritt zur Seite, damit ich durch die geöffnete Haustür ins Innere treten kann. Meine Augen gleiten zu Toro, der mich loslässt und stehenbleibt. Erst jetzt entdecke ich die bewaffneten Männer hinter ihm am Tor stehend. So ein Aufriss und das nur wegen ihrem Anführer?
Schluckend trete ich ein und als die Haustür hinter mir ins Schloss fällt, weiß ich, das es nun kein entkommen mehr gibt. Ich sitze im Schlangennest der Vipers, direkt auf dem Präsentierteller.

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