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LUELLA

Tage später...

Mein Herz klopft. Ich stehe vor dem großen Spiegel im Badezimmer und zupfe am Rock des Kleides, das ich trage. Es ist lang und der rote Stoff fällt flüssig an meinen Kurven hinab. Der Ausschnitt ist gewagt aber gibt nicht zu viel Preis. Es wirkt nicht billig sondern elegant. Doch mein eigentliches Ziel kenne ich noch immer nicht. Toro sitzt auf dem Rand der Badewanne und mustert mich von der Seite. Er ist vor fünf Minuten ins Zimmer geschneit und wolle das wir aufbrechen, aber ich war noch nicht fertig. Ara, die mir geholfen hat, ist gerade Schmuck von sich aussuchen, der zu dem Kleid passt, das Neo mir gestern in eine Schachtel gepackt aufs Bett gelegt hat. Es ist wirklich wunderschön...
»Darfst du mir wirklich nicht sagen, was geschehen wird?«, hake ich nach und streife meine lackierten Nägel ehrfürchtig über den blutroten Stoff. Toro, der selbst ein Hemd und eine schicke Hose trägt, überschlägt seine Lackschuhe und schüttelt den Kopf. »Nein, tut mir leid. Neo sagte, das ich kein Sterbenswörtchen darüber verlieren darf, aber ich nehme an das du es gleich erfahren wirst«, erzählt er und erhebt sich von der weißen Wanne. Er schlendert über die Fließen auf mich zu und stellt sich neben mich, wendet seinen Oberkörper dem Spiegel zu und mustert uns zusammen. »Du siehst hübsch aus«, flüstert er und ich erröte leicht. Es ist selten, das mir jemand ein Kompliment macht. »Danke Toro«, wispere ich lächelnd zurück und schaue seitlich zu ihm auf. »Du auch. Kommst du denn mit?«
Der große Kolumbianer nickt einmal kräftig. »Ich bin eine Art Sicherheitsmaßnahme, falls etwas schief geht«, erklärt er und ich hebe den Kopf verstehend. »Verstehe, sowas wie mein Bodyguard.«
»So in der Art, ja.«
»Da kann ich ja beruhigt sein.«
»Ach ja?«, schmunzelt der sonst so schweigsame Mann. Ich nicke und wende mich ihm ganz zu. »Du würdest mit diesen Armen sicher jemanden ausknocken, wenn es von Nöten ist.«
»Nur dann natürlich«, zwinkert er und bringt mich zum Lachen. Ich mag den großen Muskelprotz. Es stimmt, ich fühle mich sicher wenn er da ist. Er ist so breit wie ein Kühlschrank und muss angsteinflößend auf die meisten Menschen wirken. Sonst trägt er ein kurzes Shirt das seine Tattoos und Muskeln zeigt. Heute hält er sich zurück mit dem schlichten gebügelten Hemd und der schwarzen Hose. Dort wo wir hingehen muss es einen Dresscode geben. Ich bin schon gespannt, wohin uns die Reise führt.

»Ich habe zwar keine Kette aber die Ohrringe sind-«
Ara verstummt als sie Toro so nah neben mir stehen sieht. Ihre Lippen pressen sich aufeinander und sie stapft an dem großen Mann vorbei, ohne ihm einen Blick zu schenken. Hinter ihrem Rücken grinst Toro bloß schelmisch und bringt etwas Abstand zwischen die beiden. Ich kann die Spannungen spüren, die in der Luft liegen. Die beiden mögen sich, glaube ich zumindest. Ara würde das nie zugeben. Die Streitereien der beiden sind neckend. Sie bringen sich gegenseitig auf die Palme und liefern sich Blickduelle, als würden sie sich gleich gegenseitig auffressen wollen. Vielleicht interpretiere ich das aber auch nur falsch und Ara mag ihn wirklich nicht. Trotzdessen entgeht mir nicht der musternde Blick den Toro ihr von hinten zuwirft. Er findet etwas an ihr.

»So, jetzt bist du fertig«, lächelt Ara keine zwei Minuten später und zwingt sich ein dickes fettes Lächeln auf, auch wenn etwas misstrauen in ihren Augen mitschwingt. Sie ist genau so ahnungslos wie ich. Seit ich ihr davon erzählte, dass ihr Bruder mir Unterricht in Selbstverteidigung gegeben hatte, ist sie skeptisch. Die beiden haben ein langes Gespräch geführt und sich sogar angeschrien. Wobei es zum Schluss nur noch um ihre Stelle im Bordell ging. Man hat die beiden durchs ganze Haus schreien gehört.
»Können wir dann los?«, mischt sich Toro gegen den Türrahmen lehnend ein. Ich schiele an meiner besten Freundin vorbei und nicke. »Ja, gehen wir.«
»Warte«, hält Ara mich an der Hand auf und dreht sich zu Toro herum. Sie zieht mich mit sich, bis sie kurz vor ihm steht. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger berührt sie seine Brust und durchbohrt fast sein faltenfreies Hemd. Obwohl ich hinter ihr stehe, sehe ich den funkelnden Ausdruck in ihren Augen förmlich. »Du versprichst mir, das ihr sie nicht in irgend eine scheiße reinzieht, Toro. Keine Toten, keine Folterung und erst recht keine Polizei!«, keift sie. Doch Toros Grinsen wird nur noch größer. Unterdessen entziehe ich Ara meine Hand und reibe sie mir. Ihr Griff ist ganz schön fest gewesen.
»Du siehst süß aus, wenn du wütend wirst«, grinst Toro und meine Augen weiten sich. Gott, ich will hier raus.
»Du bist ein Idiot«, faucht sie und schubst ihn nach hinten. Lachend tritt er rückwärts in mein Zimmer ein und schaut selbstgefällig auf sie hinab. »Mach dir keine Sorgen, ihr wird nichts passieren.«
»Gut, denn sonst-«
»Sonst was? Das würde ich zu gern sehen«, schnaubt er amüsiert und schaut auf sie hinab. Räuspernd fahre ich mir durch die Haare und die Augen der beiden landen auf mir. »Richtig«, murmelt Toro, »lass uns gehen.«
Nickend folge ich ihm. Ara zieht mich ein letztes Mal in ihre Arme. »Ich bringe meinen Bruder um, wenn dir etwas geschieht!«, flüstert sie mir ins Ohr. Ich weiß das sie alles versucht hat, um das hier zu verhindern. Wir sind wie die Schwestern die wir nie hatten füreinander. »Keine Sorge, ich komme sofort zu dir, wenn es erledigt ist, ich hab dich lieb Ara.«
»Ich dich auch«, wispert sie und drückt mich fest. Sie knutscht meine Wange ab und dann gehe ich. »Komm«, sagt Toro und führt mich die Treppe hinab. Die hohen Schuhe sind flacher als die die ich sonst tragen und fühlen sich bequem an, so kann ich ohne Problem mit Toros langen Schritten mithalten.

Nicht wie gedacht, biegt er nicht in Richtung der Haustür hinab, sondern in den Garten hinaus. Auf dem feuchten Rasen in der Dunkelheit mache ich Neo aus, der dasselbe Outfit wie Toro trägt. Was tut er hier?
»Gib uns einen Moment. Lass den Wagen vorfahren«, bittet der Boss der Vipers seinen Freund. Verwundert schaue ich ihm nach, bis er um die Hausecke gelaufen ist und wir allein sind. Weder Wachen, noch Angestellte, noch Vipers. Die Grillen zirpen im fernen Gras, der Mond steht hoch über der Villa. Meine Augen gleiten an Neo hinab. Er sieht gut aus. Wie ein echtes Geschäftsmann.
»Fahren wir gar nicht?«, hake ich nach. Toro hatte es vorhin so eilig aber nun nicht mehr.
»Gleich, vorher muss ich dir noch die hier geben«, sagt er und zieht etwas hinter seinem Rücken hervor. Im Mondschein schimmert eine blutrote Maske in seinen Händen, die nur Augen und Nase bedeckt. Zwei lange Satinbänder hängen zu beiden Seiten hinab und kleine Rubine sind an den Rändern der Maske aufgeklebt. Sie schaut edel und exklusiv aus. Die Steine wirken echt. Ehrfürchtig nehme ich das kalte Stück entgegen und streiche über den feinen Stoff. »Wohin fahren wir?«, frage ich sprachlos, als wäre keine Luft mehr in meinen Lungen. »Ein Maskenball. Du musst sie den ganzen Abend tragen«, erzählt er mir endlich und streift sich vordersten Haarsträhnen von seiner Stirn. »Ein Maskenball? Deswegen die Kostüme«, stelle ich fest und ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Mein Herz klopft vor lauter Aufregung. »Kommst du auch mit?«, anders lässt sich sein schickes Auftreten nicht erklären. Er nickt bestätigend. »Genau. Ich bin den ganzen Abend da, aber wir werden nicht zusammen bleiben, du hast einen Auftrag«, erzählt er mir endlich und das Herz rutscht mir fast in die Hose. Nun ist es also soweit. Ich werde erfahren, was der wirkliche Grund für diesen Ausflug ist. Was auch immer es sein mag, ich ermahne mich selbst, daran zu denken, dass es nur ein Job ist. Nichts von dem was passiert ist etwas anderes. Gespannt spitze ich die Ohren, während der Anführer der Vipers beginnt mir alles zu erzählen.

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