Kapitel 8

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Sie saßen nun bereits seit einiger Zeit in dem Büro, ohne ein Wort zu wechseln. Ihre Lehrerin drängte sie nicht, worüber sie sehr dankbar war. Als diese ihren Arm angefasst hatte und verstanden hatte, was sich dort befand, brach ihre Laune. Noch nie hatte jemand ihre Wunden beziehungsweise Narben berührt, weshalb sie auch so emotional reagiert hatte. Ihr war es peinlich, nun in ihrem Büro sitzen zu müssen, obwohl diese sicherlich Unterricht gehabt hatte. Mina wusste nicht wo sie anfangen sollte, war durch ihren schnellen Herzschlag gar nicht dazu in der Lage. Bisher hatte sie runter, auf den Tisch geschaut, schaute der jungen Lehrerin aber schließlich in die Augen. Wiedereinmal machte sich ein Gefühl in ihr breit, was sie nicht einmal ansatzweise benennen konnte. Ms. Erics schaute sie lediglich an und schenkte ihr ein sanftes Lächeln, welches sie zu erwidern versuchte. "Ich hatte eine Panikattacke, nachdem ich am Dienstag mit Ihnen gesprochen hatte. Zwar hatte ich zuvor bereits leichte Panikattacken, aber eben nicht so schlimm." brachte sie irgendwann hervor. Ihre Lehrerin hob eine Augenbraue. "Nicht so schlimm?" fragte diese explizit nach. Mina brachte ein schwaches Nicken zustande. "Ich habe die Realität und die Kontrolle über mich völlig verloren, nichteinmal die Wunden habe ich mir bei Bewusstsein zugefügt." Ihre Lehrerin hörte ihr aufmerksam zu, wollte etwas sagen, beließ es aber dabei. Dies lag vermutlich an der Tatsache, dass Mina soeben angefangen hatte zu weinen, woraufhin Ms. Erics sie lediglich in den Arm nahm. "Ich habe Angst." sagte sie während die Tränen über ihre Wange liefen. Und das war die Wahrheit; sie hatte Angst, die Kontrolle über sich ein weiteres Mal zu verlieren. "Nach dem was du gerade erzählt hast, kann ich das zwar nachvollziehen, aber ich bin für dich da, okay? Immer." sagte ihre Lehrerin, als sie sich voneinander gelöst hatten. Mina war ihr zwar dankbar, aber das machte es ihr nicht einfacher, ganz im Gegenteil. Es fiel ihr schwer zu akzeptieren, dass man sich um sie sorgte, wenn das überhaupt Sorge war. Erst seit dem sie mit ihrer Lehrerin gesprochen hatte, wurde es schlimmer und intensiver. "Wissen Sie, bevor ich mit Ihnen gesprochen habe, war alles okay gewesen. Ich habe Jahrelang mit niemanden geredet, weil es auch keinen interessiert hat und dann kamen sie, das bringt mich völlig aus dem Konzept. Durch Sie habe ich die Kontrolle über mein Handeln verloren." gab sie also offen zurück und merkte erst im Nachhinein, dass dies ziemlich vorwurfsvoll klang. Aber das war es auch; ein Vorwurf. Das hieß aber noch lange nicht, dass sie ihrer Lehrerin nicht dankbar war, denn das war sie zweifellos. Es fiel ihr nunmal schwer, sich zu öffnen und die Verlustängste in Zorn zu halten. Dies war ihr schon fast unmöglich, denn diese hatten sie förmlich im Griff. Dazu kam aber auch die enorme Sympathie, welche sie für ihre Lehrerin empfand. Sie merkte, wie gern sie diese hatte und merkte zusätzlich, dass es ihr nicht passte. "Es ist normal, dass du dich so fühlst und es wird dauern bis du ohne Probleme mit mir reden kannst. Was hältst du davon, dass ich dir meine Nummer gebe und du mich anrufst, wenn was ist? Undzwar zu jeder Tageszeit." Und das war wieder etwas, was die junge Lehrkraft sympathischer machte und das sollte beim besten Willen nicht so sein. "Nein, nein alles gut. Vielleicht ist es auch einfach eine dumme Idee, dass ich überhaupt mit Ihnen rede. Ich bin mir sicher, dass ihre Klasse auf sie wartet." Mina hoffte, so das Gespräch beenden zu können aber diese winkte gegen ihre Erwartung ab. "Wir sind zu zweit, demnach habe ich ausreichend Zeit. Wie wäre es, wenn wir an die frische Luft gehen und ein bisschen spazieren. Wenn du magst, kannst du mir dann erklären, wie es zu deiner Situation kam. Natürlich nur, wenn du magst. Ich zwinge dich zu nichts, aber ich werde dich jetzt nicht alleine lassen." Da ihr scheinbar keine Wahl blieb, stimmte sie zu und ging mit Ms. Erics raus aus dem Gebäude. Zu Anfang herrschte tatsächlich Stille, da Mina nicht bereit war, über ihre Vergangenheit zu reden. Ursprünglich hatte sie auch gar nicht vorgehabt von dieser zu erzählen, schließlich tat sie es aber doch. "Meine Mutter musste mich vier Jahre lang alleine groß ziehen, weil mein Erzeuger diese verlassen hatte, als sie am Anfang der Schwangerschaft war. Als ich vier Jahre alt war, verstarb sie bei einem Autounfall, weshalb ich bisher in sämtlichen Pflegefamilien gewohnt habe. Leider kamen diese auf Dauer auch nicht mit mir klar, da ich ziemlich verschlossen war und schon damals nicht darüber reden wollte, wie es mir geht. Dementsprechend bestand meine Kindheit zum Großteil aus Umzügen, bis ich letztes Jahr dann endlich in eine eigene Wohnung gezogen bin. In der Zwischenzeit hat meine damalige beste Freundin und auch einzige Freundin Selbstmord begangen, was so ziemlich der nächste richtige Verlust war. Irgendwann bin ich mit meinem Schwarm zusammen gekommen, für den ich schon lange vorher Gefühle hatte. Er wollte schon recht früh mehr, also intimeres, wofür ich aber nicht bereit gewesen bin. Da er mich aber bedrängt hat und ich ihn nicht verlieren wollte, habe ich mich darauf eingelassen und mit ihm geschlafen. Ich war nicht wirklich unglücklich in der Beziehung, aber eben auch nicht glücklich, habe aber nichts gemacht um das zu ändern. Nachdem wir bereits ein Jahr in einer Beziehung waren, habe ich erfahren, dass er eine weitere Freundin hatte und somit verlor ich auch ihn. Das war der Punkt gewesen, ab welchem ich keine Freundschaften mehr bzw. Beziehungen eingegangen bin. Ab dem Punkt habe ich angefangen mich zu ritzen und regelmäßig Alkohol zu trinken. Damit habe ich vieles verdrängt, versucht zu verarbeiten und mich immer wieder daran zu erinnern, was passiert, wenn ich anderen den Zutritt in mein Leben gewähre." Ihre Lehrerin hatte sie aussprechen lassen, sie nicht unterbrochen und schien nun sprachlos zu sein. Mina fiel es keinesfalls schwer zu erzählen, nachdem sie den ersten Satz begonnen hatte, befand sich nun aber in ihrer Gedankenspirale. Sie war in dieser gefangen, hatte nicht einmal bemerkt, dass Ms. Erics etwas gesagt hatte. Über ihre Wangen liefen Tränen, woraufhin die junge Lehrkraft sie direkt in ihre Arme schloss und ihr die Sicherheit gab, diese sie soeben verloren hatte.

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