Kapitel 4

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Kelly

Seine Augen sind das Erste, was mir auffällt. Auch wenn er seine Hände in den Taschen seiner schwarzen, ganz offensichtlich bereits des Öfteren getragenen, Lederjacke vergraben hat und ihm seine hellbraunen Haare leicht in die Stirn fallen, da nun offenbar das Haarspray vom Morgen an Wirkung verliert. Jetzt fallen mir plötzlich die kaum sichtbaren blonden Strähnen auf, welche diesem Braun eine ganz andere Wirkung verleihen. Seine schwarze Jeans, die scheinbar auch nicht erst gestern gekauft worden ist, zieht ebenfalls für wenige Sekunden meinen Blick auf sich. Alles an ihm faziniert mich auf eine komische Art und Weise. Gleichzeitig spüre ich eine unbeschreibliche Abneigung ihm gegenüber. Ich habe sein arrogantes Verhalten von diesem Morgen nicht vergessen. Prinzessin... Du hast Feuer. Ich mag Feuer... Ich verstehe wirklich nicht, warum ich seine Worte, seine Stimme, einfach nicht aus meinem Kopf bekommen will.

Ich ziehe leicht den Kopf ein und blicke zur Seite, in der Hoffnung, er würde mich so nicht erkennen. Während er am Tresen vorbei läuft, selbst sein Gang ist irgendwie anders, weht ein seltsamer Geruch zu mir rüber, welcher mich sehr an den eines laufenden Motors vom Motorrad erinnert. Ich liebe diesen Geruch und muss mich daher schwer zusammen reisen, nicht noch stärker, gar auffällig, diesen Duft einzusaugen. 

Mein Blick schweift zu Camyl, welche nach wie vor neben mir steht und erkenne, anhand ihrer  Nase, welche sie gerümpft hat, dass sie ebenfalls diesen Duft riecht, ihn aber ganz und gar nicht leiden kann. 

Danach schaue ich wieder zu ihm. Er lässt sich gerade in diesem Moment neben einer Wasserstoffblonden aufgeprezelten Studentin nieder. Sie trägt ein pinkes, bauchfreies Shirt, kombiniert mit einer blauen Jeans-Shorts, welche für meinen Geschmack von einem Blinden geschnitten worden ist. Zu behaupten, ihr Hinterteil leicht erahnen zu können, wäre eindeutig untertrieben. Barbie hat dazu High-Heels mit einem gefühlten fünf Meter Absatz an den Füßen, in denen sie selbst kaum laufen kann. Warum? Ich meine, was findet man daran? Es erschließt sich mir von Grund auf nunmal nicht, warum manche Mädchen, oder wohl eher junge Frauen, der Meinung sind, sich für irgendwelche - wahrscheinlich wildfremden- Typen aufbrezeln zu müssen. Fehlt es ihnen so sehr an Selbstwertgefühl? Das sagt genau die Richtige...

"Na Kelly? Willst du deinen ersten Tisch bedienen? Ein wenig üben? Ich kann dir ja helfen. Oder Ginger hilft dir." 

Ich hoffe inständig, mich gerade verhört zu haben. Mo's Worte sickern nun langsam zu mir durch, während mein Blick nach wie vor auf den großen Tisch in der hinteren rechten Ecke des Diners gerichtet ist. 

"Kelly? Hörst du uns überhaupt zu?" Erst mit Camyls Worten löse ich meinen Blick entgültig von der Gruppe Jugendlicher und wende mich wieder meiner Arbeit zu. Seit fünf Minuten will ich eigentlich diesen Latte fertig stellen! 

"Äh, wie? Ähm... ich meine... klar. Was war nochmal die Frage?" Oh man, ich muss unbedingt an meiner Konzentrationsfähigkeit arbeiten. Glücklicherweise scheinen Camyl und Mo nichts hinter meinen Blicken zu dieser bestimmten Person zu vermuten, da beide lediglich ein belustigtes Grinsen auf den Lippen haben. Das liegt aber wahrscheinlich eher an meiner bescheuerten Anwort auf Camyls Frage. Ich habe mir ja praktisch selbst widersprochen. Peinlich! 

"Ach, wo bist du denn mit den Gedanken? Du bist doch erst eine halbe Stunde hier, wenn überhaupt. Also?! Willst du den neuen Tisch bedinen? So als kleine Übung, das du reinkommst. Ich oder Ginger helfen dir auch, wenn du möchtest." Auch wenn Mo zu Anfang sehr streng klang, hat er doch ein freundliches, gut gemeintes und vor allem ehrliches Lächeln im Gesicht. 

Durch Mo's Worte wird mir wie aus dem Nichts bewusst, dass ich sie alle erst seit einer verdammt kurzen Zeit kenne. Eine verdammte halbe Stunde! Dennoch habe ich längst jeden Einzelnen von ihnen ins Herz geschlossen. Mo's lockere Art, mit allem umzugehen... Die Hilfsbereitschaft von Camyl... Die Kommentare von Oliver oder auch die coole, freche Schlagfertigkeit von Ginger. Und ich bin mir sicher, auch den Rest des Teams in einem solch wundervollem Licht zu sehen. Als ich mir selbst eingestehen muss, ein weiteres Mal mit den Gedanken abgeschwiffen zu sein, wende ich mich hilflos und verlegen zu gleich wieder an meine Kollegen, während ich über die mir eigentlich gestellte Frage nachdenke.  

Find myself - A lie. A love. A mess.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt