Kapitel 29

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Kelly

"Bist du dir sicher, dass ich nicht mitkommen soll? Ihr könnt doch auch hier sprechen." Mir ist klar, dass Harvey sich nur Sorgen macht, da die letzte Unterhaltung mit meinem Bruder nicht gerade gut ausgegangen ist. Aber ich muss einfach allein mit ihm sprechen. Es ist eine Angelegenheit, welche nur Killian und mich betrifft. Und ich brauche endlich Klarheit. Wäre Harvey dabei, würden mein Bruder und ich uns nicht so unterhalten, wie es vielleicht nötig wäre. 

"Ganz sicher. Ich rufe dich an, wenn etwas sein sollte. Mach dir keine Sorgen. Mir gehts gut." Harvey würde mich am liebsten nicht mehr aus seinen Armen lassen. Er ist der Meinung, zu viel Bewegung würde meinen schon angeschlagenen Rippen schaden. Ich finde es süß, viel sehr er sich um mich kümmert und irgendwo kann ich ihn auch verstehen. Immerhin bin ich vor drei Stunden frisch aus dem Krankenhaus gekommen. Dennoch bin ich mit neunzehn Jahren durchaus dazu fähig, selbst einschätzen zu können, in wie weit ich mich und meinen Körper belasten kann. 

"Das will ich hoffen! Er soll dich ja zurück fahren!" Ich muss kurz amüsiert auflachen. Ich habe bis eben versucht, möglichst ernst zu bleiben, aber wenn er dann so übertreibt, kann ich einfach nicht anders. "Ich meine es ernst, Kels! Ich... Du hattest einen Autounfall, der dich ins Koma befördert hat. Drei Tage lang musste ich mit der Angst leben, dass du nie wieder zurück kommst. Ich verkrafte das alles einfach nicht... Scheiße, klingt das kitschig." Er versucht zu lachen, doch sein Lächeln erreicht seine Augen nicht. Ich schließe sofort meine Arme um seine Mitte, als seine Worte zu mir durchdringen und mir beinahe, nur beinahe, die Tränen in die Augen treiben. Ich liebe ihn. Jeden verdammten Tag, jede bescheuerte Minute und jeder ätzende Sekunde ein wenig mehr.  

"Ich liebe dich, weißt du das eigentlich?" Ich sehe immer noch mit feuchten Augen und in seinen Armen liegend zu ihm auf. Ich bin mir immer noch unschlüssig, ob es mir die Tatsache, dass er einen guten Kopf größer ist als ich gefällt oder nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, wir leben nur so dahin. Auch wenn wir erst seit Kurzem zusammen sind, weiß ich nicht, ob er tatsächlich realisiert hat, wie stark meine Gefühle für ihn sind. Er gibt mir keinen Grund, an ihm zu zweifeln. Warum geht das nicht in mein bescheuertes Hirn?!

"Ja, ich glaube schon. Ich liebe dich auch, weißt du das eigentlich?" Das macht er oft. Meine Worte umdrehen und mich so mit meinen eigenen Aussagen konfrontieren. Das Schlimme an der ganzen Sache ist, dass er auch noch Spaß dabei hat. 

"Ja. Und jetzt küss' mich." Augenblicklich weiten sich seine Pupillen und sein altbewehrtes Grinsen ist zurück. Das ist der Harvey, in den ich mich verliebt habe. Mit dem ich jede Sekunde meines Lebens verbringen möchte. Seine Gesichtszüge sagen so viel wie 'Das lass ich mir nicht zwei mal sagen' und schon spüre ich seine weichen, vollen, warmen Lippen auf meinen. Das Feuerwerk ist bei jedem Kuss ein anderes, aber immer da. Und wie ich dich liebe

"So sehr ich dich auch mag, Kelly... aber nehmt euch ein Zimmer!" Schmunzelnd lösen wir uns wieder voneinander. Sophie hat das gleiche Temperament wie ihr großer Bruder. 

"Was willst du, Zwerg?" In seiner Stimme schwingt Belustigung mit. Sie hasst es, wenn Harvey sie 'Zwerg' nennt, genau deswegen tut er es. Große Brüder sind alle gleich. Seine warme Hand liegt mittlerweile wieder auf meiner Hüfte. Dieses bescheuerte Grinsen verschwindet so schnell wahrscheinlich nicht von meinen Lippen. Gut so!

"Es hat geklingelt, du Hohlbirne! Also trennt du dich jetzt von deiner Freundin und bewegst deinen Arsch Richtung Tür, oder muss ich das auch noch machen?!" Geschwisterliebe. Kurz spüre ich ein Stechen in meiner Brust, da es bei mir und meinem Bruder eine ganze Zeit lang auch so gelaufen ist. Streitereien und gleichzeitig völlige Harmonie. Ich vermisse meinen Bruder, wie er vor einigen Jahren gewesen ist. Nicht dieser durchweg erwachsene Mann, sondern ein Bruder. Mein Bruder. Mit dem ich habe lachen und weinen können. Der immer für mich da gewesen ist und mich vor allen Jungs hat beschützen wollen. Mein Herz davor hat schützen wollen, gebrochen zu werden. Und am Ende ist er derjenige gewesen, der meinem Herz die ersten Risse zugefügt hat. Nicht gebrochen aber verletzt hat. 

Find myself - A lie. A love. A mess.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt