Kapitel 5

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Kelly

Scheiße!

Harvey ist mir inzwischen so nah, dass vielleicht nur noch eine Hand zwischen uns passt. Harvey. Diesen Namen habe ich in meinem Leben noch nicht einmal gehört. Möglicherweise fasziniert er mich genau deshalb so sehr. Irgendwie klingt er geheimnisvoll und gleichzeitig so voller Stärke.

Mein Blick wandert vom Boden direkt in seine Augen, was, wie sich herausstellt, ein enormer Fehler gewesen ist. Dieses Grün könnte einen hypnotisieren, würde er es so wollen. Seine dunklen Haare hängen ihm leicht zerzaust im Gesicht, so als ob er heute schon öfters mit der Hand hindurch gefahren wäre. Zugerne würde ich es jetzt einmal sehen, wie seine Hand nach oben zu seinen Haaren gleitet, sich seine Finger mit den Strähnen verknoten und er sie so noch mehr verwüstet, als sie es ohnehin schon sind und... Stop! Genug der Schwärmerei! Wie zum Teufel schafft es dieser Kerl immer wieder auf's Neue, mich aus dem Konzept zu bringen? 

"Bist du so beeindruckt von mir, dass es dir glatt die Sprache verschlägt?" Ich erwache wieder aus meinen unentschuldbaren Gedanken, um sofort in sein grinsendes Gesicht zu sehen. Da ist es wieder. Dieses süffisante, hämische, verführerische, von sich selbst überzeugte und zu gleich so siegessichere Grinsen, welches sein makelloses Gesicht schmückt. So sehr ich mich auch gerade diesem Bann, welcher von ihm ausgeht, hingeben würde, er ist und bleibt ein arrogantes Arschloch. Ich kenne ihn noch nicht enmal wirklich, schießt es mir durch den Kopf. Dennoch, mein Körper, meine Gedanken sind viel zu überfordert. Auf der einen Seite würde ich meine Hände liebend gerne in seinen dichten Haaren vergraben und jede einzelne, versteckte blonde Strähne finden. Auf der anderen Seite jedoch gehen in meinen Gedanken, in meinem Kopf, tausende Warnblinklichter an, welche mir mehr als deutlich klar machen, dass alles, was mit ihm zu tun hat, eine verdammt schlechte Idee ist.

Ich reiße mich also wieder zusammen, nehme einen tiefen Atemzug und will gerade einen Schritt zurück machen, ehe ich es mir anders überlege. Ich mache es ihm ganz bestimmt nicht so leicht, dass er denken könnte, er und sein verführerisches Grinsen, welches er sicherlich bei jedem Mädchen zeigt, was nicht bei drei auf dem Baum ist, könnte auch nur in geringster Art und Weise eine Wirkung auf mich haben. Pah! Von wegen! Mal wieder eine glatte Lüge... Aber das muss er ja nicht wissen...

"Nicht ganz. Ich war nur zu geschockt darüber, wie stark du dich von deinem Ego schon selber hast blenden lassen." Ich trete absichtlich noch etwas näher an ihn heran, während ich diese Worte spreche, um diesem Harvey deutlich zu verstehen zu geben, dass ich nicht irgendeine Schlampe bin, die man mal eben für eine kurze Nummer entführen kann! Wie kann man denn nur so sehr von sich selbst überzeugt sein?! Ich bewege mich also wieder ein Stück von dem dunkelbraunen Jungen weg, damit ich ihm wieder in die Augen sehen kann. Auch wenn es mir verdammt schwer fällt, mich nicht in ihnen zu verlieren. Warum muss dieser Junge auch so wundervolle Augen haben? Die hat er doch gar nicht verdient!

"Ich meine, es gehört schon einiges an Egoismus und Dominanz dazu. Erst ein Mädchen flachzulegen, dieses dann in einem öffentlichen Diner vor den Augen anderer praktisch abzulecken und ihr die Zunge in den Hals zu stecken, und anschließend mit einer unbeteiligten Kellenerin mehr als offensichtlich zu flirten, während dieses Mädchen auf dem eigenen Schoß aufdringlich hin und her rutscht, um zu zeigen, dass sie es gleich in der Toilettenkabine treiben will. Meinst du nicht auch, Harvey?"

Seinen Namen betone ich am Ende extra provokant. Ich kann selber nicht glauben, wie gut es tut, das losgeworden zu sein. SchachMatt! An seinem Gesichtausdruck, aus dem nebenbei bemerkt das Grinsen von eben verschwunden ist, erkenne ich, dass meine Aussage ihn getroffen hat und nicht einfach spurlos an ihm vorbei gegangen ist. Denn auf seinem Gesicht bildet sich eine Mischung von Überraschung und Überforderung, wobei seine Augen aber auch einem Hauch von Wut aufblitzen lassen. Nun bin ich es, die ein siegessicheres Grinsen aufsetzt und ohne jegliche Selbstzweifel weiter spricht. Dennoch kann ich mir nach wie vor nicht erklären, warum ich in seiner Anwesenheit meine Schüchternheit sowie meine Selbstbeheerschung verliere und so ein Übermaß an Selbstbewusstsein an den Tag lege. 

Find myself - A lie. A love. A mess.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt