Kelly
"Danke."
"Für was? Ich muss mich bei dir bedanken. Immerhin hast du mir eine zweite Chance gegeben, dir alles zu erklären."
Ich kann nicht in Worte fassen, wie glücklich ich bin, dass Killian und ich unsere Differenzen geklärt haben und nun neu anfangen können. Als Bruder und Schwester. Gerade stehen wir vor seinem Auto, das widerum in der Einfahrt der Colemans steht. Nach meiner plötzlichen Bemerkung, die Uni welchseln zu wollen, habe ich beschlossen, so schnell wie möglich zu Harvey zurück zu müssen. Ich muss ihm irgendwie weiß machen, mein Leben nun wirklich selbst in die Hand zu nehmen und, dass der erste Schritt dazu ist, an eine Uni zu wechseln, welche uns um dreitausend Meilen trennen soll. Ich kann mir seinen Ausbruch an unkontrollierten Gefühlen jetzt schon bildlich vorstellen, sodass ich schnell den Kloß, der mit jeder Sekunde, die ich darüber nachdenke, weiter in meinem Hals wächst, runterschlucke und meinem Bruder um den Hals falle.
"Ich bin einfach froh, dass wir wieder zueinander gefunden haben. Ich meine, wenn wir unsere Eltern schon nicht mehr haben, ist es doch umso wichtiger, uns gegenseitig als Stütze zu wissen. Ich habe meinen großen Bruder vermisst." Etwas überrumpelt von meiner stürmischen Umarmung, legt Killian seine Arme um mich, ehe er mich so fest drückt, dass ich Angst bekomme, gleich keine Luft mehr zu bekommen. Ich habe meinen Bruder endlich wieder. An etwas anderes kann ich im Moment einfach nicht denken.
"Ich auch. Ich auch." Ich könnte schwören noch ein "Schrecklich, dass ein Unfall passieren musste, damit ich das erkenne." gehört zu haben, doch er hat es so in sich hinein genuschelt, dass ich beschließe, nicht weiter darauf einzugehen. Er hat Schuldgefühle. Ich erkenne es an seinen traurigen Augen. Es ist das gleiche Blau wie bei mir. Doch der Glanz darin fehlt. So ist es bei mir auch gewesen. Doch Harvey hat es geschafft, meine Augen wieder lebendig aussehen zu lassen. Und darüber bin ich unheimlich froh. Ich hoffe einfach, dass mein Bruder auch bald seine große Liebe findet. Er hat es verdient, endlich jemanden, außer mir, in seinem Leben zu haben, an den er sich lehnen kann, wenn er selbst keine Kraft mehr hat, aufrecht zu stehen. Eine Person, die es schafft, dass Killian seine starke, unantastbare Maske ablegen und endlich wieder er selbst sein kann. Er hat lange genug jemanden spielen müssen, der er nicht ist. Genauso wie ich.
"Und jetzt ab mit dir." Völlig aus dem Zusammenhang gerissen, blicke ich in das grinsende Gesicht meines Bruders. Es erreicht zwar nicht ganz seine Augen, aber es ist nah dran. Er verdient es, glücklich zu werden, schießt es mir wieder durch den Kopf.
"Dein Lächeln sagt mir, dass dieser Coleman wieder in deinem Kopf rumspukt. Also los, geh schon. Er beobachtet uns bestimmt schon längst durch irgendein Fenster." Mein Lächeln wird automatisch breiter. Und ausnahmsweise ist dieses Mal nicht allein Harvey der Grund, für dieses Lächeln, sondern auch mein Bruder. Ich höre an seinem liebevollen Unterton, dass er sich für mich freut.
"Ach hör' schon auf." Meine Wangen erhitzen sich leicht. So ist es immer, wenn irgendjemand mit mir über Harvey spricht. So wird es wahrscheinlich auch immer bleiben. "So schlimm ist er gar nicht." Ich weiß genau, Killian liegt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit richtig, bei seiner Vermutung, Harvey könnte uns in diesem Moment beobachten. Trotzdem fühle ich mich, als seine Freundin, dazu verpflichtet, ihn irgendwo zu verteidigen.
"Er macht meine kleine Schwester glücklich. Mehr brauche ich, um dich guten Gewissens gehen zu lassen." Gehen zu lassen. Es hört sich an, wie ein Abschied auf unbestimmte Zeit, was mir gar nicht gefällt. Nicht im Geringsten. Ich habe mich gerade wieder mit ihm zusammengerafft, da will er schon wieder gehen? Ich habe gehofft, dass er wenigstens noch ein oder zwei Wochen bleiben wird.
"Wie jetzt? Keine Als großer Bruder ist es meine Pflicht, misstrauisch gegenüber dem Freund meiner Schwester zu sein-Rede?" Meine Stimme klingt nicht so fest, wie ich es eigentlich beabsichtigt habe, um von meiner Enttäuschung darüber, dass mein Bruder mich schon wieder verlassen will, abzulenken. Mein Bruder sieht mir an, dass ich nur versuche, die Stimmung zu lockern. Er weiß, dass ich nicht damit gerechnet habe, mich so bald schon wieder von ihm verabschieden zu müssen. Auch sein Lächeln ist etwas mehr in sich zusammengefallen, er gibt sich Mühe, es aufrecht zu erhalten.
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Find myself - A lie. A love. A mess.
Teen FictionKelly ist nun 19 Jahre und steckt mitten in ihrem Studium für Architektur. Als sie durch ihren Nebenjob jedoch ihre Leidenschaft für die Musik und den Gesang wieder aufleben lässt, treten ihr plötzlich Erinnerungen ins Gedächnis, welche sich allerd...