Kapitel 39

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Hinata saß auf den Treppen vor dem Haus.
Sein Koffer befand sich bereits in dem Taxi, das ihn – zusammen mit seiner Schwester, die sich gerade etwas Zeit ließ, um sich fertig zu machen – zum Flughafen bringen sollte.
Sein Fuß wippte nervös auf und ab. Am Vorabend hatte er die ganze Situation mit Kageyama durchbesprochen, war dabei auf eine Idee gekommen, die er nun mit Natsu bereden musste.
 
Es würde die größte Lüge werden, die er jemals durchgezogen hatte, aber ihm blieb keine andere Möglichkeit, wenn er wollte, dass die Beziehung mit dem Setter nicht erneut zerbrach.
Manchmal hasste er es zu lügen, vor allem wenn es um seine kleine Schwester ging. Er musste zugeben, dass ihn allein der Gedanke daran zur Übelkeit brachte.
 
Auf keinen Fall durfte das alles herauskommen. Nie und nimmer.
Er würde mehr denn je aufpassen, jeden Schritt beachten und sich nicht auffällig verhalten, das schwor er sich.
 
Er nahm wahr, wie die Haustür geöffnet wurde, und Natsu trat mit einem mittelgroßen Koffer und einem Rucksack aus dem Haus. „Kann losgehen!“, sagte sie glücklich.
 
Hinata erhob sich und sah zu ihrem Koffer. „Hast du dein ganzes Zimmer mitgenommen?“
„Nein, das sind nur die wichtigsten Sachen. Ich musste eh schon ziemlich viel da lassen.“
 
Der Ältere hob verdutzt die Augenbrauen, sah zu seiner Mutter, die kopfschüttelnd die Schultern hob, sich dann ihrer Tochter zu wandte. „Vergiss nicht, wenn du in der Stadt bist, dann pass immer auf deine Sachen auf! Und bleib niemals allein, ja?!“
„Jaja. Ich pass schon auf, Mom.“
 
Ayumi verschränkte locker die Arme, nickte verstehend. Ihre Hand legte sie auf ihr Dekolleté, auf den Anhänger ihrer Kette, dann sah sie zu ihrem Sohn. „Pass auf sie auf. Meldet euch bitte. Oder nein, ich melde mich. Ich will mindestens einmal am Tag wissen, ob alles okay ist.“
„Mom, sie ist für ein paar Tage in der Hauptstadt mit mir und Akio. Ich war alleine in Rio und nicht mal da hast du dir so Sorgen gemacht wie jetzt.“
 
Ihr klappte die Kinnlade runter, während sie verdutzt zu ihm sah. „Also bitte! Frag mal deine Schwester, wie ich vor Sorge durchs ganze Haus gerannt bin und geputzt habe!“
Er sah zu Natsu, die langsam nickte. „Hat sie wirklich.“
„Oh. Okay. Trotzdem.“
 
Die drei lachten auf, dann sah Hinata auf die Uhr. Er wollte das ganze einfach schnell hinter sich bringen.
„Wir müssen jetzt langsam los“, sagte er, und es dauerte keine zwei Sekunden, bis Natsu ihre Mutter noch einmal umarmt und sich auf den Weg zum Taxi gemacht hatte.
„Bis nächste Woche!“ Er wollte sich gerade umdrehen, als seine Mutter ihn plötzlich auch umarmte.
 
Verwundert erstarrte er eine Zeit lang, bis er die Situation realisierte. Verdutzt umarmte er sie zurück, während sie ihren Kopf in seiner Halsbeuge vergrub. „Es kommt mir so vor, als wär’s gestern gewesen, als du mit deinen Teamkameraden das erste Mal nach Tokio zu diesem Trainingscamp gefahren bist.“
Hinata lächelte in die Umarmung hinein. „Die Zeit vergeht einfach zu schnell…“
„Und wie“, flüsterte sie, drückte ihm dann einen Kuss auf die Stirn. „Pass auf dich auf.“
Er nickte. „Du auch auf dich.“
 
Sie nickte ebenfalls.
 
Dann machte Hinata sich ebenso auf den Weg zum Taxi.
 
 
Am Flughafen angekommen zog Hinata seine Schwester erstmal zu dem nächsten Platz, wo keine Leute und keine Kameras waren.
Die ganze Zeit über hatte er nervös aus dem Fenster gesehen und sich überlegt, was er nun genau sagen sollte, dabei nervös an seinem Fingernagel gekaut und versucht, ruhig zu bleiben.
 
Nun starrte er in Natsus verwirrtes Gesicht und wusste erst recht nicht, was er sagen sollte.
 
„Ist was?“, fragte sie nach einer Weile.
 
Hinata sah sich um, atmete tief durch und wandte sich nun zu ihr. „Pass auf…“, begann er. „Ich weiß, was Mom zu der ganzen Sache gesagt hat, und ich weiß, was ihre Pläne dafür sind, und ich weiß, wie gern du Akio hast und ich weiß auch, wie das ist, wenn man sich unbedingt sehen will.“
Kurz blieb es still. „Okay?“ Es klang eher wie eine Frage, deshalb sprach er schnell weiter.
„Und… deshalb… dachte ich mir… also…“ Er seufzte, strich sich über die Stirn – es war viel schlimmer, als er es sich vorgestellt hatte. „Von mir aus kannst du bei ihm bleiben“, sagte er schnell.
Sofort war in ihren Augen dieses Funkeln, dieses Strahlen, diese Begeisterung.
„Aber Mom darf nichts davon erfahren.“
Sie nickte. „Wie willst du das anstellen?“
„Wir fliegen jetzt dort hin, das Taxi setzt dich dann bei ihm ab, ich fahr weiter.“
„Zum Hotel?“
„Ne- J-Ja, zum Hotel.“ Er räusperte sich, sah wieder durch die Gegend.
Misstrauisch zog sie die Augenbrauen zusammen. „Shoyo?“
„Ja?“
„Du erzählst mir nicht die ganze Wahrheit.“
„Doch.“
„Nein.“
„Entweder du glaubst mir jetzt oder du bleibst im… Hotel.“
 
Kurz sagte niemand etwas. „Wie heißt das Hotel?“, fragte sie.
Hinata schluckte.
Vielleicht hätte er mit dieser Frage rechnen sollen.
„Ist das wichtig? Du bist eh in deinem eigenen.“
Die misstrauische Falte zwischen ihren Augenbrauen wurde tiefer. „Nur aus Neugierde. Also?“
„Willst du jetzt zu ihm oder nicht?“
„Natürlich.“
„Dann frag nicht so viel!“, verlangte er etwas lauter.
 
Wieder blieb es still.
 
„Pass auf… du bleibst bei ihm, wenn Mom anruft, behalten wir das Bild aufrecht, als würdest du nachts bei mir sein. Ich rufe dich jeden Tag an, um sicherzugehen, dass alles okay ist. Haben wir uns jetzt verstanden?“
 
Sie zögerte, doch nach ungefähr zwei Minuten nickte sie. „Okay“, sagte sie leise.
 
Er war sich sicher, dass sie alles hinterfragte, was er ihr gerade vorgetäuscht hatte – irgendwie war er auch erleichtert darüber, dass sie nicht alles sofort glaubte, was man ihr erzählte. Konnte ihr im Leben nur helfen.
Hoffte er zumindest.
 
 
In der Zeit im Flugzeug hatten sie kaum gesprochen, da sich jeder auf seine Sachen konzentriert hatte. Natsu hatte gelesen, ihr Bruder hatte die Aussicht genossen und war ab und an einmal eingedöst.
Nun saßen sie im Taxi, das soeben in der Nähe eines kleinen Parks geparkt hatte – zur Sicherheit, da Hinata zurzeit absolut niemandem vertraute, und bei seiner Schwester wollte er da noch einmal auf eine Nummer sicher gehen.
 
Natsu packte ihr Handy gerade in ihre Tasche, als Hinata sich an sie wandte. „Du weißt, was die Abmache ist.“
„Jaja. Keine Sorge, ich werd‘ Mom nichts sagen. Da wär‘ ich ja lebensmüde…“
„Eben. Und du meldest dich.“
„Wenn das so weiter geht, muss ich jeden Tag damit verbringen, einen nach dem Anderen aus unserer Familie anzurufen, um Bescheid zu geben, dass es mir gut geht.“
Hinata schmunzelte etwas. „Tja… so groß ist unsere Familie dann auch nicht.“
Natsu lehnte sich gegen den Sitz, lächelte und sah zu ihrem Bruder, der nun in seinem Rucksack herum kramte.
„Bevor ich’s vergesse…“, murmelte er, holte eine Tüte hervor, die er ihr überreichte.
Zögerlich nahm sie sie. „Was ist da-“ Sobald sie die Tüte geöffnet hatte, hatte sie sie auch schon wieder geschlossen – dabei sah sie Hinata, der gerade grinsend zur Seite sah, mit ihrem bösesten Blick an. „Ernsthaft?“
Der Ältere blickte zu ihr. „Jap. Ich habe keine Lust, jetzt schon Onkel zu werden und ich glaube Mom kriegt ‘nen Schock, wenn sie Oma werden sollte.“
 
Natsu schloss die Augen, seufzte laut. „Keine Sorge, daran habe ich selbst auch schon gedacht.“
 
Ihr Bruder hob begeistert die Augenbrauen. „Wie hast du’s geschafft, die vor Mom zu verstecken?“
„Sie schaut nie in meine Schublade.“
 
Hinata riss verwundert die Augen auf. „WAS?!“
Natsu lächelte zufrieden, nickte dabei.
„Bei mir war es immer egal, wo ich die versteckt hab… Ich dachte teilweise schon, sie hat so einen Sechsten Sinn, um Kondome finden zu können und genau zu wissen, wann wir sie verwenden.“
Natsu lachte auf.
„Ist doch so.“
„Als Akio mal bei mir war ist sie auch alle zwei Minuten in meinem Zimmer gestanden oder zumindest vorbeigegangen, um sicherzugehen, dass da nichts passierte.“
 
Hinata seufzte, schüttelte den Kopf.
Seine Schwester sah auf die Uhr, dann packte sie die kleine Tüte doch in ihren Rucksack. „Ich muss jetzt mal los.“ Sie beugte sich zu ihm, umarmte ihn, und Hinata umarmte sie zurück.
 
Der Taxifahrer war schon vor einer halben Ewigkeit ausgestiegen und stellte ihren Koffer gerade auf den Gehsteig, während sich die Geschwister verabschiedeten.
„Ich hab dich lieb, Onii-chan.“
„Ich dich auch. Hab viel Spaß, ja?“
„Du auch!“
 
Sie lösten sich voneinander, dann öffnete Natsu die Tür und ging zu ihrem Koffer. Sie bedankte sich beim Taxifahrer, der nun wieder ins Auto einstieg – dann machte sie sich auf den Weg zum Treffpunkt.
 
Hinata atmete etwas angespannt durch, dann öffnete er Maps auf seinem Handy. Er wusste inzwischen, wie das Hotel hieß, bei dem er scheinbar übernachten würde – im Flugzeug hatte er sich so unauffällig wie möglich eines rausgesucht, das nicht weit entfernt von Kageyamas Wohnung, aber auch nicht zu nahe zu dieser war.
Er erklärte dem Fahrer, wo er hin musste, und versuchte dabei, die Nervosität, die sich langsam in ihm bildete, so gut es ging zu verstecken.
 
Beim Hotel angekommen bezahlte er den Taxifahrer, der das Geld dankend entgegennahm und sich dann freundlich verabschiedete.
Hinata wartete, bis der Mann wieder in sein Auto eingestiegen und weggefahren war – dann setzte er sich seine Sonnenbrille auf, zog seine Kapuze weiter ins Gesicht, sodass man seine auffälligen, orangenen Haare kaum noch sehen konnte, und machte sich auf den Weg.
 
Genau Zehn Minuten dauerte es, bis er bei der Wohnung ankam.
Bevor er in die Nähe der Eingangstür kam, sah er sich immer wieder um, um sicherzugehen, dass niemand hier war – dann trat er mit schnellen Schritten auf die Tür zu und klingelte beim Namen seines Freundes.
 
Und dann wartete er eine gefühlte Ewigkeit.
Nach ein paar Minuten kramte er sein Handy aus der Tasche, wählte Kageyamas Nummer und hielt es ans Ohr.
 
„Ja?“
„Kannst du bitte aufmachen? Ich steh hier seit paar Minuten.“
„Hast du nicht geklingelt?“
„Doch?“
„Oh. Hab’s wohl überhört, sorry.“
„Schon gut.“
 
Das Geräusch, das deutete, dass die Tür nun geöffnet werden konnte, erklang, und Hinata griff nach dem Türgriff und betrat schnellstmöglich das Gebäude, beendete dabei das Gespräch.
Seinen kleinen Koffer hob er an, dann lief er die Treppen hoch, und war glücklich, als er endlich im zweiten Stock ankam – das war sogar für ihn anstrengend gewesen.
Oben angekommen nahm er die Sonnenbrille ab und ging zu der Tür, in deren Rahmen Kageyama stand.
 
Hinata sah auf den ersten Blick, dass ihn etwas beschäftigte, aber er wollte darüber nicht nachdenken.
Als Kageyama ihn sah, bildete sich auf seinem Gesicht ein Lächeln – so schnell konnte der Kleinere gar nicht reagieren, war er auf ihn zugelaufen und hatte ihn hochgehoben.
Hinata erschrak etwas, doch zögerte keine Sekunde, seine Arme um den Hals des Setters zu legen und dessen Lippen mit seinen zu verbinden.
Nach einem sehr langen Begrüßungskuss ließ Kageyama Hinata wieder los, doch Letzterer nahm seine Arme nicht von seinem Hals, weshalb der Dunkelhaarige sich nun etwas nach unten bücken musste – missfiel ihm nicht, denn nun hatte er eine Ausrede, seinem Geliebten noch weitere Küsse auf die Lippen zu drücken.
 
Hinata lachte etwas auf. „Okay, okay. Wir sollten reingehen.“
Kageyama wurde rot. „Ja… sollten wir wohl.“
 
Sie lachten beide auf, dann nahm Kageyama Hinatas Koffer und schob ihn in seine Wohnung. Hinata lief ihm hinterher und schloss die Tür hinter sich.
 
Er brauchte einen Moment, um sich wieder zurechtzufinden – dauerte ungefähr zwei Minuten, bis er die vertraute Umgebung wieder ins Gedächtnis gerufen hatte.
 
Er legte seinen Rucksack ab, legte ihn auf die Abstellbank im Vorraum und zog seine Schuhe brav aus, bevor er seinem Freund hinterherlief, der seinen Koffer gerade die ganze Wohnung erkunden ließ.
 
„Da ist nicht wirklich was krass Wertvolles drin, falls du deshalb damit wegläufst!“, rief er.
„Ich bring ihn nur ins Schlafzimmer!“, rief der etwas Jüngere zurück.
 
Hinata folgte ihm in eben dieses Zimmer, um festzustellen, was er da mit seinem Gepäck machte.
Säuberlich und ordentlich wie er war verstaute Kageyama den Koffer mitten im Zimmer, sodass er eigentlich im Weg stand, aber Hinata kannte ihn ja gut genug, um zu wissen, dass Kageyamas Gedanken gerade bei etwas Anderem waren.
 
Zwei Sekunden später wurde seine Vermutung bestätigt, als der Setter zu ihm kam und sein Gesicht mit seinen Händen umschloss, ihm dabei zunächst sanfte Küsse auf die Lippen drückte. Hinata erwiderte sie sofort, und als er Kageyamas Zunge spüren konnte, wie sie um Einlass bat, zögerte er keine Fünf Sekunden, um ihm diesen zu gewähren und ihn wieder näher zu sich zu ziehen.
Sie lächelten beide in die Küsse hinein, bis der Setter Hinata wieder hochhob und aufs Bett warf, sich dabei über ihm platzierte und sofort wieder nach seinen Lippen suchte.
 
Die Schmetterlinge in seinem Bauch spürte er sofort wieder, sein Herz schlug immer schneller – und beinahe im selben Takt wie das seines Partners.

Let my Heart beat for you - KageHinaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt