Kapitel 42

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Die halbe Nacht hatte Hinata damit verbracht, sich herumzudrehen, um eine halbwegs angenehme Position zum Schlafen zu finden – er fand keine Ruhe, egal was er versuchte, und als er Kageyama ausversehen zum vierten Mal aufweckte, gab er es auf und versuchte, so wie er gerade lag, einzuschlafen.
Vergeblich.
Am Morgen, als es Zeit zum Aufstehen war, hatte er gerade einmal Vier Stunden Schlaf gehabt.
 
Und er hatte noch ein Interview bei einem der größten Nachrichtenagenturen von Tokio zu geben.
Am liebsten wäre er im Bett geblieben und hätte gesagt, er habe verschlafen. Aber da das Interview am vorangegangenen Tag halbwegs okay verlaufen war, rechnete er nicht wirklich mit etwas Schlimmen.
 
Schon beim Frühstück war es einige Male passiert, dass ihm die Augen zugefallen waren – hoffentlich besserte sich das noch im Laufe des Tages, sonst wäre er echt aufgeschmissen.
Als er fertig war, lehnte er sich gegen Kageyama, der heute einmal neben ihm saß und gerade seinen letzten Bissen nahm.
 
„Ist es schon zu spät, um abzusagen?“, fragte Hinata leise.
Kageyama legte einen Arm um ihn, drückte ihm einen Kuss auf den Kopf. „Du schaffst das schon. Du hast bis jetzt alles geschafft, da ist dieses Interview doch im Vergleich dazu nichts.“
„Stimmt schon. Aber ich will trotzdem nicht. Mir geht diese Fragerei so auf die Nerven…“
„Mir ja auch. Aber da müssen wir nun mal durch.“
„Mhm…“
 
 
 
 
„Brauchst du noch ‘n Kaffee?“, fragte Inunaki ihn, als dem Orangehaarigen erneut die Augen zufielen.
Letzterer verneinte, setzte sich wieder aufrecht und strich sich verschlafen durchs Gesicht. „Wird schon.“
„Hast du nicht gut geschlafen?“, erkundigte sich Bokuto, woraufhin Hinata einfach nickte – nicht jeder musste die Wahrheit wissen, und schon gar nicht, wenn sie sich einmal mehr in einem Warteraum von einem Newsstudio befanden.
 
Sein Handy vibrierte wieder in seiner Hosentasche, und während der Rest des Teams wieder über irgendwelche Themen zu reden begann, nahm er es heraus, las die Nachricht, die auf dem Display erschien, und steckte das Gerät wieder weg.
 
Mom
Rufst du mich jetzt endlich
mal zurück??
Wir müssen reden.
So bald wie möglich.
                          12:27
 
Natürlich hatte er keine Zeit und auch keine Lust, zurückzurufen, sonst hätte er es schon längst getan – er wollte sich einfach diese ewigen Standpauken seiner Mutter nicht mehr geben, denn langsam gingen ihm diese dezent auf die Nerven. Lieber verbrachte er diese Zeit mit Kageyama, den er nicht so oft sah, wie er es gerne wollen würde.
 
„Okay, ihr seid dran!“, rief Foster ihnen zu, worauf sich das Team einmal mehr erhob und in den großen Aufnahmeraum ging.
 
„Willkommen!“, wünschte ihnen eine Reporterin, die sich noch schnell die langen, glatten, braunen Haare richtete und dann zu ihnen stolzierte, um jedem einmal die Hände zu schütteln.
 
Danach setzten sie sich alle auf die – zugegeben – ziemlich bequemen Sessel, von denen jedem ein eigener zur Verfügung gestellt war.
 
„Also gut…“, sagte sie leise, sah durch ihre Notizkarten, bevor sie dem Kameramann ein Zeichen gab. „Ich heiße euch herzlich Willkommen beim TokioNews-Zentrum. Mein Name ist Konya Kayami, und ich werde euch, den Mitgliedern der MSBY Black Jackals, heute ein paar Fragen stellen.“
„Sehr gerne“, antwortete Meian.
Wieder sah Konya durch ihre Notizen, bevor sie mit der ersten Frage begann. „Also gut, jetzt beginnt ja bald die Sommersaison. Was genau habt ihr denn für Ziele? Arbeitet ihr da auf etwas hin oder nehmt ihr das eher gelassen?“
 
Nach einer kurzen Denkpause begann Meian, über all die Dinge, die sie eben als Team geplant hatten, zu erzählen, die Reporterin hörte ihm gespannt zu, und die anderen saßen daneben, ließen ein schönes Lächeln auf dem Gesicht und sagten nur ab und zu etwas dazwischen.
Noch ein paar allgemeine Fragen folgten, bevor es mit den Einzelfragen losging – natürlich war der Kapitän als erstes dran, dann folgte Inunaki und schließlich Joffe, der ja als Neuer im Team wie jedes Mal bis jetzt der Interessanteste war.
 
Er bekam bis dato die meisten Fragen gestellt, war bei seinen Antworten jedoch noch etwas zögerlich, was nicht unbedingt schlecht war – schließlich befanden sie sich bei Journalisten, die genau wussten, was sie da taten.
 
Gerade beantwortete er die Frage, wieso er denn ein Teil des Teams hatte sein wollen, als ein etwas dünnerer Mann mit großer Brille vom Backstage-Bereich hervortrat und Konya etwas ins Ohr flüsterte.
 
Es dauerte keine zwei Sekunden, bis ihre Augen sich interessiert weiteten und ein Grinsen auf ihrem Gesicht erschien. Sie nickte dem Mann zu, der ihr daraufhin etwas auf seinem Tablet zeigte.
Sie nickte erneut, dann verschwand der Mann wieder in den anderen Bereich, während Konya für einen Moment nachdachte.
 
„Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie unterbreche“, sagte sie zu Joffe, der daraufhin nickte, als Symbol, dass er die Entschuldigung annahm. „Aber… wir haben soeben eine interessante Meldung reinbekommen, die ich gerne besprechen würde, und die vermutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen wird.“
 
Hinata rollte möglichst unauffällig mit den Augen, seufzte leise – ihm gingen diese Reporter so sehr auf die Nerven, dass er schon lieber mit seiner Mutter telefonieren würde.
Er sah auf seine Füße, wartete darauf, dass Konya weitersprach, die anscheinend gerade Regieanweisungen aufs Ohr bekam.
 
„Hinata, ich hätte eine Frage an Sie.“
 
Sofort zuckte der Wing Spiker zusammen – er wusste nicht, wieso, aber sein Herz schlug plötzlich etwas schneller.
„Die wäre?“, fragte er verwirrt, während das halbe Team ihn anstarrte.“
 
Konya setzte dieses unschuldige Lächeln auf, hinter dem sich in Wahrheit ein solch interessiertes Lachen versteckte, das man sonst nur von Bösewichten aus Filmen kannte.
„Sie sind jetzt auch bereits seit drei Jahren ein Mitglied dieses Teams, nicht? Ich schätze, Sie haben sich inzwischen ziemlich gut eingelebt.“
„Das habe ich.“
„Das freut mich.“ Natürlich war es ihr egal, denn etwas Anderes interessierte sie gerade mehr, das hörte man sofort. „Wie genau schaffen Sie es denn eigentlich, Training, Turniere und Ihre Beziehung unter einen Hut zu bekommen?“
 
Hinata zögerte – zuerst hatte er das Wort Beziehung nicht mitbekommen, doch als ihm der Satz noch einmal durch den Kopf schwebte, registrierte er es.
„Ich denke, Sie haben da etwas missverstanden. Ich bin in keiner Beziehung.“
„Nicht?“
„Nein.“
„Und was ist mit dem Setter der Schweiden Adlers? Gab es da nicht einmal Gefühle zwischen Ihnen?“
 
Und es ging wieder los.
 
„Ja, die gab es.“ Er bemühte sich wahnsinnig, ruhig zu bleiben – innerlich schrie er schon.
Gab?“
„Genau. Das mit uns ist lange vorbei“, log er.
 
Konya lächelte wieder, legte den Kopf etwas schief. „Achja? So ist das also…“ Sie lachte kurz auf, zeigte dann auf den Bildschirm, der sich neben ihnen befand.
 
Hinatas Herz rutschte ihm beinahe in die Hose, als er das Bild darauf sah – die Straße, die vom Regen komplett nass war, der Himmel, der so dunkel wie die Nacht war, in der das Bild aufgenommen worden war, das Restaurant, das mitten im Bild gut zu sehen war, das alles kannte er.
Und vor dem Restaurant, genau in der Mitte, sah er sich und Kageyama, wie sie da standen, sich in den Armen hielten – und sich küssten.
 
Es fühlte sich an, wie eine Ewigkeit, in der alle auf das Bild starrten und keiner etwas sagte.
 
„Das… das bin ich nicht“, sagte er – er wusste, dass das eine schlechte Ausrede war, denn man erkannte sie beide darauf, als wären es Einzelportraits von ihnen.
 
Konya klickte weiter, kam zu einem weiteren Foto, auf dem sie nebeneinander standen, in die Ferne sahen, und nun erkannte man ihre Gesichter noch besser.
 
„Sicher?“, fragte sie, legte wieder den Kopf schief.
„Ja.“
„Ich glaube nicht. Man erkennt eindeutig, dass Sie beide das sind.“
„Find ich nicht.“
„Der Rest der Welt schon.“
 
Er schluckte. „Was… was meinen Sie?“
„Naja, das Bild hat sich in den zwei Stunden, in denen es nun online ist, ziemlich verbreitet.“
 
Hinata riss die Augen auf, schluckte wieder. Sein Puls stieg so hoch, dass es fast schon ungesund wirkte, seine Hände begannen zu zittern, und die Angst stieg in ihm hoch.
 
„Ich denke, diese Frage ist etwas zu persönlich“, unterbrach Meian das Gespräch.
 
„Unsere Zeit ist sowieso vorbei. Ich danke Ihnen für das Interview, und wünsche Ihnen noch eine schöne Heimreise!“
 
Die Verabschiedung folgte, doch Hinata bekam von ihr kaum etwas mit.
 
Erst, als er sich wieder im Backstage-Bereich befand, fand er in die Realität zurück, obwohl die Welt um ihn herum sich immer noch wie wild drehte.
 
Er lehnte sich gegen einen der Tische, versuchte, durchzuatmen, als er merkte, wie sich jemand ihm näherte.
 
„Ich will jetzt bitte wissen, ob das wirklich du bist!“, verlangte der Libero laut – er wirkte etwas wütend.
„Lass es, Inunaki“, sagte Tomas.
„Verstehst du’s nicht?!“, fuhr er ihn an. „Er macht mit ‘nem Typen von unserem Erzfeind-Team rum und du sagst, ich soll’s lassen?!“
 
Meian betrat ebenfalls den Raum, ging zielstrebig auf Hinata zu.
Zwei Zentimeter vor ihm blieb er stehen, hielt ihm sein Handy vors Gesicht – darauf zu sehen war ein Beitrag von Instagram, der wieder das Foto von vorhin zeigte.
Und wieder war es, als würde Hinata die Luft wegbleiben.
 
Das durfte doch nicht wahr sein.
 
„Bist du das?“, fragte Meian scheinbar ruhig.
Hinata antwortete nicht.
„Bist du das?!“, fragte er etwas unruhiger.
Er schüttelte den Kopf.
„Lüg mich jetzt ja nicht an! Das kannst du dir gerade echt nicht leisten!“, sagte er ihm wütend.
 
Der Orangehaarige biss sich auf die Unterlippe, unterdrückte sich die Tränen, und das war dem Älteren anscheinend Antwort genug, denn er nahm sein Handy wieder zu sich, schüttelte den Kopf.
„Ich glaub’s nicht…“, sagte er leise.
 
„Ja und?! Lasst mich doch mein Leben leben, wie ich will!“, sagte Hinata lauter.
„Verdammt nochmal, du knutschst mit dem Zuspieler eines Teams, das zu unseren größten Feinden gehört, rum, und denkst wirklich, wir können das jetzt einfach so stehen lassen?!“
„Meine Worte!“, warf Inunaki ein.
„Mensch, dieses Foto ist in allen Zeitungen und auf jeder Volleyball-interessierten Seite zu finden und wurde schon Millionenmal geteilt! Du denkst WIRKLICH, ALLEN ERNSTES, dass wir DAS so stehen lassen können?!“
 
Hinata schüttelte den Kopf, wischte sich die Tränen aus den Augen. „Nein, das denke ich nicht. Glaubst du, mir ist allen Ernstes nicht bewusst, was das bedeutet?!“ Er wurde wieder lauter, doch es war ihm in diesem Moment egal.
 
„Jungs!“, warf der Trainer ein, woraufhin sie alle verstummten.
 
Einige Sekunden blieb es still, bis Foster weitersprach. „Kommt jetzt erstmal runter“, sagte er dann. Wieder herrschte die Stille, dann suchte er den Blickkontakt zu Hinata. „Ich würde gern mit dir unter vier Augen reden, Hinata.“

Let my Heart beat for you - KageHinaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt