Schlaf
„22,50€, bitte."
Der ältere Herr mit Drei-Tage-Bart und brauner Weste schaute an Fiona herunter. Ihr Kleid saß nicht mehr so akkurat an ihrem Körper wie noch am Abend zu vor. Ihre Haare waren leicht zerzaust und ihr Make-Up unter den Augen verschmiert.
Die Sonne war bereits über Berlin aufgegangen und reflektierte sich in den Scheiben des weißen Mehrfamilienhaus vor ihnen.
Sie kramte in ihrer schwarzen Umhängetasche und drückte dem Fahrer einen 20- und einen 5€ Schein in die Hand.
„Stimmt so, danke."Sie stieg aus dem Taxi und sah sich um. Es war noch relativ ruhig auf den Straßen. Das Café gegenüber ihrer Wohnung öffnete die Türen. Ein Kaffee war grade genau das, was Fiona brauchte. Dringend.
Mit dem heißen Kaffee in der einen und dem Schlüssel in der anderen Hand, öffnete sie die Wohnungstür. Leise trat sie hinein. Wenn Lara noch schlafen würde, wollte sie diese auf gar keinen Fall wecken. Sie streifte sich die High Heels von den Füßen und tippelte Barfuß in die Küche. Dort kramte sie die Zigarettenschachtel aus ihrer Tasche und öffnete die Tür zum Balkon. Sie merkte erst jetzt, dass sie die Luft anhielt und stieß einen erleichterten Seufzer aus. Sie war Zuhause. Den Walk of Shame hatte sie erfolgreich hinter sich gebracht.
Fiona ließ sich auf dem selbstgebauten Palettensofa nieder, zündete eine Zigarette an und stieß den Rauch aus ihrer Lunge.
Dann hörte sie ein leises Vibrieren in ihrer Tasche, griff hinein und holte ihr Handy hervor.Patrick: Danke für die schöne Nacht. Ich hoffe, du bist gut Zuhause angekommen. Hätte auch nichts dagegen gehabt, dich noch länger hier zu behalten ;) Was hältst du von Essen gehen heute Abend? Gegen 7? Ich hole dich ab.
Fiona lächelte. Was war da heute Nacht nur passiert? Patrick und sie hatten sich noch lange unterhalten. Über die gemeinsame Schulzeit, ihre Eltern, das Studium und dann? Dann war es einfach passiert. Ihr Jugendliches-Ich war in ihr vor Freude im Dreieck gesprungen. So viele Jahre wollte sie genau das und jetzt war es passiert. Sie hatten Sex. Richtig, richtig guten Sex. Bei dem Gedanken an die vergangenen Stunden kribbelte es in Fionas Bauch. Genau so hatte sie es sich immer vorgestellt. Er war so sanft und liebevoll gewesen, als wäre sie aus Porzellan und er hätte Angst, sie kaputt zu machen.
Fiona ließ sich seufzend in die Rückenlehne fallen und schwelgte noch kurz in Erinnerungen.„Guten Morgen." ertönte Laras hohe Stimme und Fiona erschrak.
„Du bist schon wach?" fragte sie überrascht.
„Naja." begann Lara und grinste heftig. „Ehrlich gesagt, habe ich noch gar nicht geschlafen."
„Wie jetzt?"
Hinter Laras Schulter lugte ein weiteres Gesicht hervor. Große, braune Augen, volle Lippen und ein ebenmäßiger Teint. Sie erkannte schnell, wer es war. Adriana, ebenfalls eine ehemalige Klassenkameradin von ihr.
„Hi." begrüßte sie Fiona lächelnd.
„Hey." entgegnete Fiona leicht überfordert. „Hast du... ich meine, habt ihr... ich wusste nicht, dass du..."
„Ja und ja." lachte Adriana. „Ich habe mich erst nach der Schulzeit geouted. Kannst du also nicht wissen."
„Ah okay." nickte Fiona. „Ich habe dich gestern gar nicht gesehen."
„Sie kam auch erst, als du schon weg warst." erklärte Lara.
„Musste vorher noch arbeiten." fügte Adriana hinzu.
„Verstehe. Eh, möchtet ihr vielleicht auch einen Kaffee? Der hier ist zwar aus dem Café unten, aber ich kann euch einen machen, wenn ihr wollt." sprach Fiona.
„Nein, danke. Aber ich würde eine Zigarette nehmen, wenn du eine hast." lachte Adriana über Fionas sichtliche Überforderung und setzte sich neben sie.
„Klar." Fiona hielt ihr die geöffnete Zigarettenschachtel hin.
„Und du? Warst du die ganze Nacht weg?" fragte Lara mit einem frechen Grinsen im Gesicht.
„Ja, ich bin eben erst nach Hause gekommen."
„Mhm, sieht man. Wilde Nacht, was?" lachte sie. „Hach, ich bin ja so stolz auf dich. Es wurde wirklich mal wieder Zeit, dass du ordentlich durchgebürstet wirst."
Fiona schüttelte schmunzelnd den Kopf.
„Wer ist denn der Glückliche? Jemand aus unserer alten Klasse etwa?" fragte Adriana neugierig.
„Er heißt Patrick. So hieß er doch, oder?" nahm Lara ihr die Antwort vorweg und ihre Begleitung sah Fiona mit großen Augen an.
„Patrick? Der, mit dem du früher immer rumgehangen hast?"
„Ja, genau der." gab Fiona kleinlaut zu.
„Wie süß! Ich habe mir damals schon immer gedacht, dass ihr ein schönes Paar abgeben würdet." entgegnete Adriana freudig.
„Ach ja?"
„Klar. Hab mich immer gewundert, warum der nie an dir interessiert war. Du warst doch immer ne Hübsche."
„Oh." Fiona spürte, wie sie leicht rot wurde. „Danke."
Sie hatte damals nie viel mit Adriana zutun gehabt. Sie war das beliebteste Mädchen ihrer Klasse. Jemand wie Fiona hielt sich immer lieber von jemandem wie ihr fern. Auch wenn sie ihr nie was getan hatte, hatte sie immer das Gefühl gehabt, dass Adriana sie nicht mögen würde. Scheinbar war dieser Eindruck falsch. Oder sie war jetzt nur nett zu Fiona, weil sie grade mit ihrer besten Freundin geschlafen hatte.
„War das jetzt ein einmaliges Ding zwischen euch oder wird daraus mehr?" fragte Lara.
„Er möchte heute Abend mit mir Essen gehen."
„Uuuuh." Lara tanzte mit den Augenbrauen auf und ab. „Da hast du wohl so einiges richtig gemacht, gestern Nacht."
„Scheinbar." lachte Fiona und ihr Herz schlug schneller bei dem Gedanken daran, Patrick später wieder zu sehen. „Ich werde jetzt erstmal duschen und dann brauche ich ne ordentliche Mütze voll Schlaf. Davon habe heute nämlich noch nicht so viel bekommen."
„Das glaube ich dir." lachte Lara.
„Also." Fiona stand vom Sofa auf und wandte sich an die beiden. „War schön, dich wieder gesehen zu haben, Adriana."
„Nenn mich ruhig Ana." erklärte diese und lächelte sanft.
Fiona erwiderte das Lächeln. „Wir werden uns bestimmt mal wieder sehen."
„Da bin ich mir ziemlich sicher." machte Lara klar und streichelte Ana über den Rücken.
Fiona nickte grinsend und übertrat die Schwelle zum Wohnzimmer.„Schlaf gut!" rief Lara ihr hinterher.
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Überwiegend Macho (Felix Lobrecht FF)
Fiksi PenggemarFiona ist 32 Jahre alt, gelernte Modedesignerin und aufgewachsen zwischen Junkies und Plattenbausiedlungen. Sie selbst kommt aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Anders, als ihre ehemaligen Klassenkameraden, von denen sie dachte, sie nie wieder sehen...