Kapitel 4

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*2012*

Alec

Hastig zog ich meine Schuhe und Jacke an, schulterte meinen Rucksack und gab meiner Mum einen Abschiedskuss. Normalerweise war ich immer der Pünktlichere, doch heute musste Izzy mal auf mich warten. Ich hatte gestern Abend noch lange wach gelegen und den neuen Superheldencomic gelesen, den mir Magnus geliehen hatte. Wir hatten beide den gleichen Geschmack und liebten es, uns über die neuesten Comics auszutauschen.

Manchmal konnte ich gar nicht wirklich begreifen, dass er mein bester Freund war. Bevor ich ihn kennengelernt hatte, hätte ich es nie für möglich gehalten, dass ich einen Menschen jemals so nah an mich heran lassen würde. Wir konnten über alles sprechen und verurteilten den Anderen nicht dafür. Naja, bis auf diese eine Sache...

In unserem Alter wurde es langsam immer mehr zum Thema, wer in wen verliebt war und wer wieviel Erfahrung in diesem Bereich hatte. Auch meine Eltern hatten schon nachgefragt, ob ich Interesse an einem Mädchen hätte. Aber um ehrlich zu sein, ekelte mich der Gedanke daran, ein Mädchen zu küssen, eher an. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass es mir mit einem Jungen viel mehr gefallen würde. Zwar war ich noch ungeküsst, aber ich wusste schon jetzt, dass ich anders war. Bis jetzt hatte ich auch noch mit niemandem darüber gesprochen, aber wenn, würde Magnus mich da wohl am ehesten verstehen...

Ein wiederholter Ruf meiner kleinen Schwester ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Hastig lief ich zu ihr in den Hof und gemeinsam machten wir uns mit den Rädern auf den Weg zur Schule. Mit einem Lächeln registrierte ich, dass mein Bauch vor Vorfreude etwas kribbelte, Magnus gleich zu sehen. Wir hatten an diesem Wochenende noch etwas gemeinsam unternommen und waren wieder am Baumhaus gewesen. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass mir Magnus irgendetwas verschwieg. Beim Abschied hatte er mich in eine feste Umarmung gezogen und sich regelrecht an mich geklammert. Vielleicht konnte ich ihn heute ja nochmal darauf ansprechen...

Als ich allerdings das Klassenzimmer betrat, war Magnus noch nicht da. Komisch, normalerweise war er immer vor mir hier. Aber auch, als unser Lehrer die erste Stunde begann, war er immer noch nicht aufgetaucht. Ebenso wenig, als es zur Pause klingelte. Normalerweise schrieben wir uns immer eine Nachricht, wenn wir nicht zur Schule kamen und brachten dem Anderen Arbeitsblätter und Mitschriebe mit.

Zum wiederholten mal blickte ich in der Pause auf das kleine schwarze Gerät, welches ich vor knapp 2 Jahren zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Immer noch nichts. Was aber noch merkwürdiger war: Meine Nachrichten hatten alle nur einen Haken, also wurden sie noch nicht einmal zugestellt. Seufzend steckte ich mein Handy zurück in meine Hosentasche, ehe die Pausenklingel läutete und ich zurück ins Gebäude lief.

Der restliche Tag zog sich wie Kaugummi, ohne Magnus war es einfach langweilig. Dennoch schrieb ich im Unterricht fleißig für ihn mit und beschloss, ihm das Material am Nachmittag vorbeizubringen. Vielleicht fand ich dann auch heraus, weshalb meine Nachrichten nicht ankamen.

Gesagt, getan. Nach der Schule beeilte ich mich sehr mit dem Mittagessen, was meine Mutter mit einem verwunderten Gesicht quittierte. Normalerweise ließ ich mich durch fast Nichts und Niemanden aus der Ruhe bringen, doch heute war es anders. Aber schließlich ging es hier auch um Magnus. Nachdem ich ihr hastig die Kurzfassung geschildert hatte, schnappte ich mir meinen Rucksack mit den Sachen für meinen besten Freund. Den Comic, den ich von ihm geliehen hatte und der mich gestern erst spät ins Bett gehen ließ, holte ich auch noch schnell aus meinem Zimmer und lief anschließend in den Hof.

Ich setzte meinen Helm auf, schwang mich auf mein Rad und fuhr los. Den Weg kannte ich mittlerweile im Schlaf. Keine zehn Minuten später stand ich vor dem Mehrfamilienhaus, in dem er gemeinsam mit seinen Eltern lebte. Ich schloss mein Rad an einer Straßenlaterne ab und ging zur Haustür, die offen stand. Im Hausflur war der Hausmeister unterwegs, dem ich schon des öfteren begegnet war. Verwundert sah er mich an, doch ich grüßte ihn nur im Vorbeigehen und nahm leichtfüßig die Treppen in den dritten Stock.

An seiner Wohnungstür fiel mir sofort der fehlende Kranz an der Tür auf. Für gewöhnlich hing Magnus' Mutter immer ein paar ineinander geflochtene Zweige auf, doch heute war keine Spur davon. Was mich aber noch mehr verwunderte, war das fehlende Klingelschild. Verwirrt drückte ich dennoch den Knopf und wartete. Und wartete. Und wartete. Ich betätigte den Knopf ein weiteres Mal, doch wieder rührte sich nichts. Lediglich das schrille Bimmeln, das mein Erscheinen ankündigte, schallte gedämpft zu mir nach draußen.

Bevor ich es ein weiteres Mal versuchen konnte, öffnete sich allerdings die Tür von der Wohnung gegenüber und die ältere Bewohnerin trat zusammen mit ihrem Dackel hinaus. Sie kannte ich ebenfalls vom Sehen. Als sie mich erblickte, sah sie mich ein wenig verwundert aber dennoch lächelnd an.

"Der Freund von Magnus", stellte sie fest.

"Bester Freund", verbesserte ich sie schnell, eine leichte Röte schlich sich auf meine Wangen, was ich aber ignorierte.

"Apropos, wissen Sie, wo er ist? Er war heute nicht in der Schule und ich wollte ihm den verpassten Lernstoff vorbeibringen."

Die Nachbarin sah mich schief an, während ihr Hund bereits ungeduldig an der Leine zerrte.

"Hat Magnus denn nichts gesagt? Er ist mit seiner Familie ausgezogen. Heute morgen haben sie das Auto mit den letzten Kisten beladen und sind weg gefahren."

Ich starrte sie an, als hätte sie mir gerade weismachen wollen, dass ihr Dackel fließend Französisch sprechen könnte.

"Was?!", brachte ich nur fassungslos hevor. Kurz holte ich tief Luft und sammelte mich, ehe ich weitersprach.

"Wissen Sie auch, wohin?", krächzte ich mit dünner Stimme.

Kurz schien sie zu überlegen ehe sie den Kopf schüttelte.

"Nein, aber ich glaube, in eine weiter entfernte Stadt."

Nachdem ihr kleiner Hund immer hibbeliger wurde, entschuldigte sie sich bei mir und verschwand mit ihrem Vierbeiner im Treppenhaus nach unten. Ich konnte nur ungläubig in die Ferne starren, während ihre Worte langsam zu mir durch drangen. Meine Beine gaben nach und ich sank langsam auf die Knie. Magnus war weggezogen, ohne mir etwas davon zu sagen. Dabei hatten wir uns versprochen, für immer zusammenzubleiben. Und jetzt war er einfach weg.

Dancefloor - Malec AUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt