Kapitel 29

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Magnus

Bei der Probe kurz darauf war ich mit den Gedanken ganz wo anders. Immer wieder vergaß ich einen Schritt oder verlor manchmal sogar fast das Gleichgewicht bei einer Drehung, was mir sonst nie passierte. Es war einfach wahnsinnig schwierig, sich auf Hodges Worte, die Musik und die Choreo zu fokussieren, wenn die Zweifel meinen Verstand kontrollierten. Wie graue Wolken hatten sie sich davor geschoben und nahmen mir die klare Sicht.

Es war fast, als hätte ich Engel und Teufel auf meinen Schultern sitzen. Der Teufel rief mir immer wieder zu, dass Alec möglicherweise nicht loyal mir gegenüber war, der Engel hingegen redete auf mich ein, dass das alles nur Einbildung war. Ich befand mich im Zwiespalt, in einer Zwickmühle und fand einfach keinen Ausweg. Die einzige Lösung war, mit Alec zu sprechen, das wusste ich.

Doch ich hatte auch Angst vor der Wahrheit. Denn sollte er Gefühle für jemand anderen haben, so war es mir fast lieber, ich würde es nicht wissen. Doch umso mehr ich darüber nachdachte, umso schlimmer wurde es.

Wie in Trance folgte ich den festgelegten Bewegungen und gab mir die größte Mühe, die Schritte sauber auszuführen, sodass es Keinem auffiel. Die erste Regel beim Tanzen lautete: Herz an, Kopf aus. Wie wichtig dies war, wurde mir gerade wieder einmal bewusst. So langsam wurde auch Hodge ungeduldig. Zwar hatten wir noch ein wenig Zeit bis zum Auftritt, doch wenn gerade der Lead Dancer in der ersten Reihe immer wieder stolperte, wurde auch der beste Trainer nervös.

Nachdem er zum wiederholten Male die Musik stoppen musste, schickte er uns für eine kleine Pause nach draußen an die frische Luft. Gerade als ich den anderen folgen wollte, wurde ich allerdings am Arm zurückgehalten. Hodge sah mich ernst an.

"Magnus, was ist da los? So wie heute warst du noch nie drauf! Hat es etwas mit Alec zu tun?"

Stumm biss ich mir auf die Unterlippe. Mir war klar, dass meine Unaufmerksamkeit nicht unentdeckt bleiben würde. Dennoch war es mir ein wenig unangenehm, mit Hodge darüber zu sprechen.

„Ich...", fing ich unsicher an, „Ich bin gerade einfach nicht ganz bei der Sache."

Das war wohl die dümmste Antwort überhaupt und ich hätte mich in diesem Augenblick am liebsten dafür geohrfeigt.

„Das merke ich", kommentierte Hodge trocken.

„Hör zu, was auch immer es ist, du schaffst es besser aus der Welt. Wir sind schon so weit gekommen und gerade jetzt, wo wir ums Finale kämpfen, brauchen wir von jedem die volle Konzentration."

„Ich weiß", murmelte ich betreten.

„Ich verspreche dir, ich gebe jetzt wirklich 110%."

Hodge nickte nur und klopfte mir dann auf die Schulter.

„Ich weiß, dass ich mich immer auf meinen Lead Dancer verlassen kann."

In dem Moment kamen auch gerade die Anderen zurück aus der Pause. Schnell nahm ich noch einen Schluck aus meiner Flasche, bevor ich mich wieder auf meine Position stellte. Natürlich war mir der besorgte Blick von Catarina nicht entgangen, doch Hodge hatte Recht. Ich musste mich jetzt voll und ganz aufs Tanzen konzentrieren und mein persönliches Drama nach hinten schieben.

Unser Trainer zählte uns ein und wir bewegten uns zur Musik über die Bühne. In meinem Kopf ging ich den Ablauf durch. Eine Armbewegung nach rechts, dann ein Schritt nach links, ein Sprung und mit überkreuzten Beinen landen, eine Drehung. Linker Arm hoch, rechter Arm hoch, nach unten beugen, wieder aufrichten, wieder eine Drehung.

Der Schweiß lief mir bereits in kleinen Tröpfchen über die Stirn, doch ich war voll in meinem Element. Wenn ich mich erstmal in das Gefühl fallen ließ, schaffte ich es, alles andere für den Moment auszublenden. Es gab nur mich, die Bühne und die Musik, die mich führte. Selbst Alec war somit vorübergehend vergessen.

Als das Lied endete, klatschte Hodge zufrieden in die Hände.

"Sehr gut. Damit hören wir für heute auf. Ruht euch den Rest des Tages aus, morgen möchte ich euch dann wieder vollzählig und in neuer Frische hier sehen!", rief er und damit verließen wir nacheinander die Bühne, um Backstage in unseren Gruppenraum zu gehen.

Unterwegs konnte ich Gelächter aus dem Raum von Alecs Band vernehmen, da sie meines Wissens nach vorhin auch noch geprobt hatten. Allerdings getrennt von uns, schließlich mussten wir die Musik immer wieder stoppen und gewisse Stellen in unserer Choreographie mehrfach wiederholen, was mit einer Liveband einfach nicht möglich wäre.

Stumm schlich ich den anderen hinterher in unseren Raum. Während diese sich munter über den Wettbewerb, die Musik oder Sonstiges unterhielten, zog ich mich nur gedankenverloren in einer Ecke um. Langsam kamen die Zweifel wieder hoch und das leichte Gefühl vom Tanzen war fast vollständig verschwunden.

Seufzend zog ich mir ein neues Shirt über und sah dann zu Cat, die gerade abwartend vor mir stand.

"Entschuldige bitte, hast du was gesagt?", murmelte ich.

"Magnus, was ist los mit dir? Du bist heute noch viel mehr durch den Wind als sonst, so kenne ich dich gar nicht. Du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn du reden willst?"

Ich seufzte.

"Danke Cat. Ich weiß."

Kurz umarmte mich meine beste Freundin und drehte sich dann wieder zu den anderen. Natürlich wusste ich, dass sie mir immer zuhören würde, doch gerade wollte ich einfach nicht darüber sprechen.

Um es zu vermeiden, Alec heute noch einmal über den Weg zu laufen, trödelte ich extra lange herum. Nach und nach verließ meine Gruppe den Raum, bis schließlich nur noch ich übrig war. Ich sah auf die Uhr und schulterte meine Tasche. Alec dürfte mittlerweile nicht mehr da sein.

Also löschte ich das Licht, verließ den Raum und folgte den langen Gängen nach draußen. Anfangs war es hier wirklich verwirrend gewesen, doch inzwischen fand ich mich ganz gut zurecht und verlief mich nicht mehr in diesem Labyrinth aus Gängen.

Erleichtert atmete ich auf, als die kühle Abendluft auf meine Haut traf. Mit einem Blick auf den Parkplatz stellte ich fest, dass Cat bereits nach Hause gefahren war und ich wohl den Bus nehmen müsste. Doch gerade, als ich mich auf den Weg zur nächsten Haltestelle machen wollte, hielt ich plötzlich inne.

Der Parkplatz war bis auf ein paar wenige Autos leer. Doch in einer der hinteren Ecke sah ich eine Gestalt gegen einen schwarzen Jeep gelehnt. Jede Wette war das mein Freund. Und noch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, bemerkte ich eine weitere Person, die genau auf ihn zusteuerte. Das schwindende Abendlicht machte es schwer, genaueres zu erkennen, jedoch war ich mir sicher, dass es sich um einen Mann handeln musste.

Langsam kam er Alec näher und ich konnte nur noch Alecs Hinterkopf sehen, da er auf der von mir abgewendeten Seite seines Autos stand. Wie erstarrt sah ich zu, wie sich zwei schlanke Hände um seinen Hals legten und seinen Kopf zu sich nach unten zogen.

Dieses Mal hatten sich meine Zweifel tatsächlich bewahrheitet und mein schlimmster Alptraum war real geworden.

Dancefloor - Malec AUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt