Kapitel 5

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*2022*

Magnus

Stolz verbeugte ich mich gemeinsam mit meiner Gruppe. Tosender Applaus kam von Publikum, das ich allerdings kaum erkennen konnte, da mir die grellen Scheinwerfer direkt ins Gesicht leuchteten. Mittlerweile war ich ein berühmter Tänzer und gemeinsam mit meiner Gruppe gewann ich viele Wettbewerbe. Auf der Bühne fühlte ich mich wie Zuhause und ich liebte es, wenn ich mich einfach der Musik hingeben konnte. Schon immer hatte ich mich gut bewegen können, aber durch viel hartes Training hatte ich meine Moves über die Jahre perfektioniert. Mein Leben war also fast perfekt, aber eben nur fast.

Seit ich damals Florida verlassen hatte und nach New York gezogen war, war vieles passiert. Ich hatte auf einmal ein völlig neues Leben und anfangs ein paar Schwierigkeiten, mich daran anzupassen. In der Schule hatte ich dann aber Catarina aka Cat kennengelernt und seitdem war alles besser geworden. Genau wie ich liebte sie das Tanzen und schleppte mich mit zu ihrer Gruppe, die zweimal in der Woche zusammen trainierte. Vom ersten Tag an hatte es mir riesigen Spaß gemacht und ich war der Gruppe direkt beigetreten.

Cat und das Training hatten mir auch ein wenig den Schmerz nehmen können, als meine Mum zwei Jahre später tödlich verunglückt war. Mein Vater wendete sich nach ihrem Tod völlig von mir ab. Er wurde total kalt zu mir und war fast nur noch auf Geschäftsreisen. Kurz nach meinem 17. Geburtstag erhielt ich dann die Nachricht, dass er wegen illegalen Drogengeschäften im Gefängnis gelandet war.

Da ich noch minderjährig gewesen war, hatten Cats Eltern mich bei sich aufgenommen. Sie war meine allerbeste Freundin und wie eine Schwester für mich. Sie war auch die erste, die von meinem Coming-Out erfahren hatte. Inzwischen lebte ich offen bisexuell, hatte bisher aber noch nie Erfahrungen mit einem Mann sammeln können. Denn nach wie vor war da diese eine Sache, die ich sehr vermisste.

Jeden Abend bevor ich einschlief, sah ich seine blauen Augen genau vor mir. Es war mir damals alles andere als einfach gefallen, ihn zurückzulassen und ein neues Leben anzufangen. Bis heute hatte ich Schuldgefühle, dass ich ihm nichts davon erzählt hatte. Ich vermisste ihn schrecklich und auch Cat konnte mich kaum trösten, wenn ich deshalb mal wieder am Boden war. Ich wünschte mir sehnlichst, ihn eines Tages wiederzusehen, aber ich wusste auch, dass er mir wohl niemals zuhören würde.

Ich hatte meinen besten Freund einfach so im Stich gelassen und er hatte jedes Recht dazu, sauer auf mich zu sein. Heute war es vermutlich sowieso zu spät, schließlich waren 10 Jahre vergangen. Wir waren 12 Jahre alt, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Mittlerweile war ich 23 und er 22 und lebte vermutlich ein völlig anderes Leben in Florida. Vielleicht hatte er mich auch schon längst vergessen und einfach als vergangenen Kindheitsfreund abgestempelt? Zugegeben, der Gedanke daran war äußerst schmerzhaft.

Wieder blickte ich ins Publikum, nachdem wir uns noch einmal an den Händen gefasst und verbeugt hatten. Mein Blick wanderte über die wild gestikulierenden und jubelnden Gestalten, die ich nur schemenhaft erkennen konnte, bis ich plötzlich innehielt. In der ersten Reihe stand ein hochgewachsener junger Mann mit dunklen Wuschelhaaren. Aber das, was meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte, waren seine Augen. Sie waren strahlend blau und funkelten mir entgegen.

Im nächsten Moment schreckte ich aus dem Schlaf hoch und sah mich verwirrt um. Ich war in meinem Zimmer, im Haus von Cats Eltern. Seufzend ließ ich mich zurück in mein Kissen sinken. Es war bei weitem nicht das erste Mal, dass Alec mich in meinen Träumen verfolgte. Ein Blick auf meinen Wecker verriet mir, dass ich in 20 Minuten sowieso aufstehen müsste. Was soll's, nach diesem Traum hätte ich sowieso nicht weiterschlafen können. Also schlug ich die Decke zur Seite, nahm mir eine frische Boxershorts und tapste Bad.

Dort duschte ich, stylte anschließend meine Haare nach oben und trug ein wenig Eyeliner und glitzernden Lidschatten auf. Cat hatte mir mal zum Spaß etwas von ihrem Make-up geliehen, aber es hatte mir so gut gefallen, dass ich beschlossen hatte, mich ab sofort immer zu schminken. Was soll ich sagen, der Eyeliner war einfach zu meinem Markenzeichen geworden. Nach einer halben Stunde war ich fertig und kehrte in mein Zimmer zurück, um ratlos vor meinem riesigen Kleiderschrank zu stehen.

Schließlich entschied ich mich dann für ein rotes Shirt mit Glitzer und einer schwarzen, sehr enganliegenden Leggings. Später würde ich mich sowieso fürs Training nochmal umziehen müssen. Also nahm ich noch ein lila Tanktop und eine Sporthose aus dem Schrank, die ich zu meinen Turnschuhen in meine Sporttasche legte. Ich hatte schon immer ein Faible für farbenfrohe Klamotten.

Ich schulterte meine Tasche, lief die Treppen nach unten und stellte sie im Flur ab, bevor ich in die Küche ging. Dort stand bereits Cat mit einer Kaffeetasse in der Hand.

"Guten Morgen", begrüßte sie mich lächelnd, ehe sie mir eine zweite Tasse zuschob. Dankend nahm ich diese entgegen und nahm einen Schluck von dem schwarzen Gold. Ein Morgen ohne Kaffee war kein richtiger Morgen.

Nachdem wir uns ein wenig unterhalten und unsere Tassen ausgetrunken hatten, warf ich einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass es langsam Zeit war, zum Training zu fahren. Meine beste Freundin hatte ihre Tasche auch schon gepackt und so waren wir schnell fertig und liefen in die Garage, wo unser kleines Auto stand. Cat hatte es von ihren Eltern zum 19. Geburtstag bekommen, trotzdem hatte sie darauf bestanden, dass es uns beiden gehören sollte und ich es mit benutzen durfte.

Nach einer kurzen Fahrt durch die New Yorker Straßen, die heute Morgen verhältnismäßig sehr leer waren, erreichten wir auch schon das Tanzstudio. In der Umkleide hatte sich bereits fast die gesamte Gruppe versammelt und begrüßte uns fröhlich. Ich stellte meine Tasche auf einen freien Platz und holte meine Sportklamotten heraus.

Als alle umgezogen waren und Hodge, unser Trainer, ebenfalls eingetroffen war, versammelten wir uns in einem Kreis im Tanzraum. Da wir erst vor kurzem einen Auftritt gehabt hatten, wurde es nun Zeit für eine neue Choreographie zu einem neuen Lied, von dem wir noch nicht wussten, welches es war. Irgendwie war es Tradition, dass unser Trainer uns jedes Mal damit überraschte und außerdem kam es so auch zu keiner Diskussion in der Gruppe, wenn er die Lieder aussuchte. Nachdem wir uns aufgewärmt hatten, spielte Hodge uns dann zum ersten Mal das Lied vor, zu dem wir nun eine Choreo lernen würden.

Dancefloor - Malec AUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt