𝙲𝙷𝙰𝙿𝚃𝙴𝚁 𝚂𝙴𝚅𝙴𝙽

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~ „In 20 Jahren wirst Du dich mehr ärgern über die Dinge, die du nicht getan hast, als über die, die du getan hast. Also wirf die Leinen und segle fort aus deinem sicheren Hafen. Fange den Wind in deinen Segeln. Forsche. Träume. Entdecke." ~
(Mark Twain)

𝓕rustriert ließ ich mich auf die Matratze fallen und starrte an die Decke. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
Tatsächlich beschrieben diese Dokumente, wer die Familie Summers wirklich war.
Mrs. und Mr. Summers arbeiteten tatsächlich bei dem FBI als eine Art undercover Agenten und Grace half ihnen, an Informationen zu kommen.
Sie studierte auch keine Literatur, sondern Kriminalpsychologie.
Wären nicht einige Fotos in den Dokumenten gewesen, hätte ich stark an diesen Tatsachen gezweifelt. Auf einigen Fotos jedoch, war zu sehen, wie meine Adoptiveltern sich bei Tatorten aufhielten oder Verhaftungen durchführten.
Wie konnte es sein, das mir das all die Jahre nicht aufgefallen war? Und wieso hatten sie mir das niemals erzählt? Warum hielten sie das vor mir geheim? Immerhin war ich wie eine Tochter für sie.
Und dann war da noch Grace, der ich immer alles erzählte. Ich dachte, auch sie würde mir alles erzählen.
Da habe ich mich wohl geirrt, dachte ich traurig.
Wie konnte sie mir so etwas nur antun? Und mich dann auch noch in die Höhle des Löwen schicken, zu diesen De Luca Brüdern? Mit dem vollen Bewusstsein, das diese das Oberhaupt der italienischen Mafia waren?
Ich war nicht nur enttäuscht und verletzt von ihr, ich war so unglaublich wütend auf sie.
Mit dem was die Brüder mir erzählt hatten, hatten sie es tatsächlich geschafft, das ich nicht mehr zurück wollte. Wie sollte ich auch reagieren, wenn ich auf Grace traf? Das Warum, wollte ich zumindest jetzt nicht erfahren und wer wusste schon, ob Graces Antwort dann nicht auch eine Lüge war? Unsere komplette Freundschaft war eine Lüge gewesen.
Doch wo sollte ich hin? Weder konnte ich zu meinen Adoptiveltern, da diese mich auch belogen hatten, noch konnte ich ins Wohnheim zurück, weil dort Grace auf mich wartete.
Die Brüder jedoch, so mysteriös sie auch waren, waren bis jetzt, die meiste Zeit ehrlich zu mir gewesen.
Sie mochten zwar kriminell sein, aber alles was sie bis jetzt getan hatten, hatten sie nur getan, um mich zu beschützen, vor Dingen, die mir bis jetzt noch unbekannt waren. Zudem könnte ich mit ihrem Angebot eine Menge Geld ansparen, um mich so von Grace und meinen Adoptiveltern zu lösen.
Ich traf den Entschluss, vorerst hier zu bleiben, bei den Brüdern, auch wenn das alles noch so absurd war, wäre ich hier wohl besser aufgehoben gewesen, als bei Grace.
In meinem Leben war ich noch nie so wütend gewesen oder so dermaßen enttäuscht worden.
Die Wut begann mich komplett einzunehmen und ich fing an zu schreien.
Mein komplettes Leben war eine Lüge gewesen.
Gerade zweifelte ich an allem was ich hatte.
Wie ein kleines Kind strampelte ich wild auf dem Bett rum und schrie mir die Seele aus dem Leib.
Vor Wut bildeten sich Tränen in meinen Augen.
Ich boxte in die Matratze, in das Kissen und zerriss die Dokumente. Es fühlte sich so an, als würde ich wahnsinnig vor Wut werden.
Doch dann verlor ich plötzlich die Kraft und ließ mich erschöpft auf die Matratze fallen.
„Bist du fertig mit deinem Wutanfall?", hörte ich eine weibliche Stimme vom Ende des Zimmers.
Erschrocken wandte ich mich zur Tür und dort stand tatsächlich jemand.
Beschämt richtete ich mich auf.
Wie lange stand sie da schon? Wer war sie überhaupt?
Sie machte mir einen zierlichen Eindruck und dennoch strahlte sie eine gewisse Stärke aus.
Ihre langen, schwarzen Haare hatte sie zu einem Zopf nach hinten gebunden und ihre grünen Augen stachen nur so hervor. Sie war unglaublich hübsch.
„Wer bist du?", stotterte ich.
Mir war nicht klar, ob vor Schock oder wegen ihrem atemberaubenden Aussehen.
„Micaela. Und du musst Chloe sein, oder?", ihre Stimme klang gleichgültig. Ihr Augen wanderten skeptisch zu den Fetzen Papieren, die über all um das Bett lagen. Für sie mag es ein Chaos sein, für mich war es mein Leben, das nun in viele kleine Teile zerrissen war.
Als ich sie so betrachtete, wurde mir irgendwie mulmig. War sie etwa auch so ein Escort Mädchen für die Brüder, so wie ich es werden sollte? Immerhin war sie echt hübsch.
„Bist du ...", ich konnte es nicht aussprechen.
Ihre Anwesenheit schüchterte mich irgendwie ein. Ich wusste nicht mal, wie lange sie schon da stand. Wahrscheinlich hatte sie meinen kindlichen Wutausbruch auch noch gesehen.
Sie schüttelte sich angewidert: „Ich bin ihre Beraterin oder sagen wir eher, deine Aufpasserin."
Verdutzt sah ich sie an: „Du? Mein Aufpasser?"
Micaela nickte nur.
„Wofür brauche ich eine Aufpasserin?", fragte ich erstaunt.
„Damit du nicht wegläufst.", wieder dieser gleichgültige Ton von ihr.
Wenn sie wüsste, das ich nach den Informationen die ich erhalten hatte, keine Lust mehr hatte zu flüchten, wäre sie ihren Job wahrscheinlich wieder los. Es war merkwürdig, das die Brüder glaubten, ich bräuchte einen Babysitter. Außerdem, wie sollte Micaela mich daran hindern können abzuhauen? Sie war viel zu zierlich.
„Komm, ich bringe dich zur Küche. Die Jungs wollen, das du etwas isst.", sagte Micaela, als ich nicht mehr reagierte.
Ich rappelte mich auf und freute mich, endlich aus diesem Zimmer zu kommen, Hunger hatte ich jedoch keinen.
Seid letzter Nacht veränderte sich alles um mich und ich musste damit erst einmal klar kommen.
Ganz besonders mit der Wahrheit über meine Familie. Daran hatte ich wohl noch länger zu knabbern.
Micaela verließ das Zimmer und ich folgte ihr mit einem gewissen Abstand. Als ich durch die Tür trat, befand ich mich auf einem langen, dunklen Flur. Das einzige Licht, damit ich zumindest etwas sehen konnte, stammte von dem Zimmer aus das ich gerade kam.
Wieso waren denn alle Türen verschlossen?
Neugierig blieb ich vor einer dieser Türen stehen und wollte sie gerade öffnen.
„Nicht!", rief Micaela und kam sofort auf mich zugestürmt. Abrupt hielt ich in meiner Bewegung inne, aus Respekt vor ihrem Ton. 
„Du hast in diesen Räumen nichts zu suchen.", fauchte sie mich an.
„Wieso?", fragte ich unschuldig und klimperte mit den Wimpern.
Jetzt wurde mir auch langsam klar, was Micaela's eigentlich Aufgabe war. Sie bewachte mich und zwar nicht damit ich nicht weglief, sondern damit ich nicht in diesem Haus rumschnüffelte.
„Darum.", antwortete sie knapp und griff bestimmt nach meinem Arm.
Für ihre zierliche Figur hatte sie einen Griff wie ein Mann, es fühlte sich schon fast schmerzhaft an. Dann zog sie mich mit Leichtigkeit hinter sich her, die Treppe hinab.
„Du kannst mich loslassen. Du tust mir weh!", beschwerte ich mich, bevor wir die untere Etage erreicht hatten.
Erst jetzt fiel mir auf, wie groß dieses Haus überhaupt war. Wahrscheinlich war es nicht mal ein Haus, sondern eine Villa. So, wie ich es zu Anfang von Alessandro und seinem Bündel Geld erwartet hatte.
Ich war so erstaunt als wir unten ankamen, das ich Micaela's schmerzhaften Griff nicht mehr spürte. Mitten im Flur blieb ich stehen und sah mich um.
Der Eingangsbereich war riesig, von ihm gingen mehrere Räume ab. Hier waren die Türen nicht verschlossen. Die hellen Farben, wie in meinem oberen Zimmer, wurden hier beibehalten.
Dann zog Micaela wieder an meinem Arm und ich folgte ihr. Sie ließ mir kaum Zeit mich umzusehen.
Plötzlich betraten wir die Küche, hier stockte mir der Atem. Auch dieser Raum war groß und hell.
Die Küchenschränke hatten eine weiße Front, die auf Hochglanz poliert waren. Ein Stück weiter stand eine Kochinsel mit einem Tresen und Barhockern davor. An der gegenüberliegenden Seite von dem Eingang, durch den wir gerade gekommen waren, war eine riesige Glasfront.
Durch diese Glasfront konnte ich auf eine Terrasse und eine grüne Wiesen schauen.
Doch irgendetwas störte mein Blickfeld.
Neben der Terrassentüre standen zwei breitschultrige Männer in einem schwarzen Anzug und Sonnenbrillen.
An ihren Hüften trugen sie Holster, aus denen eine Waffe ragte. Weswegen standen sie hier? War es wirklich nötig, das die da stehen mussten?
„Das sind Wachhunde. Die laufen auch manchmal durch das Haus, also erschreck dich nicht. Was möchtest du essen?", fragte Micaela belanglos, als wäre das alles so normal.
Naja, für sie ist es wahrscheinlich auch normal, dachte ich.
Micaela wühlte in dem Kühlschrank rum und wartete nicht mal auf meine Antwort.
Sie wandte sich mit vollen Händen zu dem Tresen und stellte die Sachen ab. Langsam ging ich zu einem Barhocker und setzte mich.
Bis jetzt hatte ich immer noch keinen Hunger, aber wie sagte man so schön, der Hunger kam beim Essen.
Micaela hatte Salate und Obst auf den Tresen gestellt. Ich schnappte mir einen Salat.
„Warmes Essen gibt es später.", sagte sie dann und nahm sich einen Apfel.
Genüsslich biss sie in den Apfel und das laute Knacken hallte von den Wänden wieder.
Lustlos stocherte ich in dem Salat rum.
Er sah zwar lecker aus, aber ich hatte wirklich keinen Hunger. Wenn ich das Essen so betrachtete, wurde mir schlecht.
Die Sache mit Grace und den De Luca Brüdern schlug mir auf den Magen, ich wollte einfach nur alleine sein.
Diese ganze Situation war unerklärlich für mich.
Wie war ich nur hier rein geraten?
Dann sah ich Micaela an, die ihren Apfel schon fast aufgegessen hatte, und mir kam eine Idee.

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