KAPITEL 8

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Ein Kapitel, das ich auch wieder sehr geliebt habe.. Joey und Tanja haben sehr viel Spaß gemacht zu schreiben.
Genießt den Sonntag!

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Anfang September 1998

Jimmy

Ich bin jetzt inzwischen seit über drei Monaten im Entzug, und auch wenn ich mich hier immer noch sehr wohl fühle, werden die Gedanken daran, zu meiner Familie zurück zu kehren, immer deutlicher. Ich weiß, dass ich nicht ewig bleiben kann, mein Therapeut hat auch schon erwähnt, dass ich wohl keine Verlängerung mehr bekommen werde. Um ehrlich zu sein, vermisse ich die Bühne auch immer mehr. Und gerade, weil mir der Besuch auf der Loreley gezeigt hat, welche Dinge mir noch Respekt einflößen, haben wir genau diese Sachen zuletzt in den Sitzungen angesprochen. Natürlich weiß ich, dass ich die Fanhysterie, die Verleihungen und die Versuchungen, die mit Allem einhergehen werden, nicht vorher üben kann. Aber ich weiß, wie verlockend das alles wieder sein kann, und ich will definitiv nicht in einen Rückfall geraten. Dafür fühle ich mich jetzt einfach zu gut.
In der heutigen Sitzung hat mein Therapeut mir geraten, mich im Hintergrund zu halten, wenn es soweit ist – die Verleihungen zu meiden, den Anderen das Rampenlicht zu überlassen. Eigentlich habe ich Bauchschmerzen dabei, denn Paddy steht schon genug im Vordergrund, aber ich werde wohl keine Wahl haben.
»Reden Sie mit Ihren Geschwistern und Ihrem Vater, das ist das Wichtigste«, beendet der Arzt die Stunde. »Sie haben das große Glück, dass Sie mit Ihrer Familie in einer Band spielen. Mit den Personen, die Sie schon Ihr Leben lang kennen. Vertrauen Sie ihnen ein bisschen – und sich selbst, James. Sie sind gefestigter, und eine Rückkehr in Ihr altes Leben mit neuer Kraft ist enorm wichtig.«

Nachdenklich kehre ich in mein Zimmer zurück, das ich inzwischen mit einem jungen Typ aus Kilkenny teile. Er ist nicht sehr gesprächig, was nicht weiter schlimm ist. Ich habe mich bis auf die Band nur auf mich konzentriert. Ich habe noch keine Ahnung, was Dad dazu sagen wird, dass ich wieder zurückkehren will, ich weiß nicht mal, wie er es jetzt findet, dass ich den Entzug gemacht habe. Trisha hat erzählt, dass er anfangs ausgeflippt ist, aber wohl eher, weil ich einfach abgehauen bin. Dass ich den Entzug machen musste, sollte er am besten verstehen. Ich schnappe mir meine Gitarre und schlendere in den Park, wo wir uns eigentlich wieder treffen wollten, aber heute höre ich keine Musik. Gwen sitzt auf einer der Parkbänke, die Tin Whistle nur in ihrer Hand, und schaut gedankenversunken vor sich hin. Ich setze mich neben sie und stelle die Gitarre ab.
»Not in the mood for music today?«, frage ich.
Gwen schaut auf und schüttelt sanft den Kopf. »Not really, sorry«, gibt sie zu und holt tief Luft.

Bevor sie weiterreden kann, gesellen sich auch Ryan und Tom zu uns, aber ihnen scheint es ähnlich zu gehen. Und auch meine Gedanken kreisen noch um die Therapiestunde. »I’ll be leaving in a few days«, erzählt Gwen dann plötzlich und ich schaue erstaunt auf. Okay, sie war schon hier, bevor ich kam, also ist es eigentlich nur logisch, dass sie bald gehen wird. Abgesehen davon habe ich immer noch keine Ahnung, warum sie eigentlich hier ist.
»You’re not that excited«, stelle ich fest.
Gwen legt den Kopf schief. »My parents died in a car crash two years ago«, beginnt sie dann zu erzählen und ich sehe sie erschrocken an. »I couldn’t… cope with it, I was in Italy travelling when it happened, and…« Ihre Stimme wird leise, dann holt sie tief Luft. »A friend gave me weed and Ecstasy to forget all that shit for a while.. It worked, but afterwards all the self-accusations came back. My brother finally brought me here.«
»I’m very sorry for your loss«, bekunde ich, kann ich ihren Schmerz doch nur zu gut nachfühlen. Auch Tom und Ryan nicken verständnisvoll.
»Thank you«, erwidert sie leise. »Don’t know if I’m ready, you know… for the world.«
Ich hebe die Schultern. »Don’t know either. I’ll be leaving soon too, I guess.«

Gwen sieht mich stirnrunzelnd an. »I always thought I know you from somewhere, I’m sorry«, überlegt sie.
Ich atme tief durch. Es scheint Zeit zu sein für Ehrlichkeit. »You do. Maybe. My name’s Victor James. Kelly. From…«
»Right, you’re from that band I saw three years ago, I think… I loved the Irish style of them. What was their name again, Kelly…?«, fragt Gwen.
»The Kelly Family«, antworte ich. »Yeah, I am.«
»Strange that you are here now«, stellt Tom fest und ich seufze. »I know them too, you are more successful in Germany than in Ireland.«
»We are, but we are Irish«, erzähle ich dann doch ein bisschen. »My great-grandpa left Ireland long ago, my oldest siblings were born in the USA. We were street musicians for a long time, the success came like overnight in 1994, and it was… well, too much for me. All the awards we got, all the attention, all the people we met… I mean, I got the Echo, the most important Music Award in Germany, from Tina Turner. I… needed the weed to get through it, playing concerts every day and all the work besides. I mean… I want to go back, it’s my family, but…«
»You’re not sure if you’re ready«, stellt Gwen fest und ich kann nur nicken.
»I guess we all won’t know until we face it«, meint Ryan, und ich kann ihm ja nur zustimmen. Wir werden nicht wissen, ob wir bereit sind, wenn wir den Schritt zurück nicht wagen.

Jimmys Geheimnis IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt