KAPITEL 4

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Habt einen schönen Sonntag! 🙏☺️

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John

Seit Jimmy durch sein plötzliches Verschwinden allen Pflichten in der Familie entflohen ist, spitzt sich die Lage für uns restliche Geschwister zu. Neben Patricia ist nun schon der zweite von uns Großen komplett aus der Firma ausgestiegen. Kathy ist mit der Kaufabwicklung von Schloss Gymnich zur Zeit auch genug beschäftigt und so bleibt die meiste Arbeit an Joey und mir hängen. Da Joey allerdings schon vor Jimmys Flucht Vollzeit im Büro gearbeitet hat, muss ich nun Jimmys Fehlen bei der Tourplanung auffangen, zusätzlich zu meinen bisherigen Aufgaben in der Musikvideoproduktion und im Archiv. Es ist ein wahnsinniger Stress, ich habe kaum noch Freizeit und nicht zum ersten Mal frage ich mich, wie lange das so für mich eigentlich noch weitergehen kann. Mittlerweile bin ich schließlich auch schon über 30 und habe eigene Vorstellungen und Wünsche vom Leben, die ich bisher immer für die Familie zurückgestellt habe.
Denn mittlerweile gibt es da eben noch Maite. Sweet, beautiful Maite, meine beste Freundin und engste Vertraute, die aber eben in Spanien lebt. Wir telefonieren häufig und schreiben uns regelmäßig lange Briefe und mir ist absolut bewusst, dass sie die Frau meines Lebens ist. Wer, wenn nicht sie? Charakterlich sind wir uns unfassbar ähnlich, und ich fühle mich ihr auf einer emotionalen Ebene sehr nah und verbunden. Außerdem kennt sie mich wohl besser als viele meiner Geschwister, weil wir alles miteinander teilen, so als würden wir uns schon ewig kennen. Trotzdem, bisher sind wir „nur“ enge Freunde. Auf der einen Seite genieße ich unsere Freundschaft total, allerdings weiß ich auch, dass ich eigentlich mein ganzes Leben an ihrer Seite verbringen und mit ihr fest zusammen sein will. Ich träume oft von einer gemeinsamen Zukunft, einem eigenen Häuschen irgendwo in Spanien und vielleicht einer kleinen Familie. Dennoch ist mir absolut klar, dass das nicht gehen wird, solange ich weiterhin mit meiner Familie durch Europa reise.
Ich habe ja aus nächster Nähe gesehen, was mit den Beziehungen meiner Geschwister in den letzten Jahren passiert ist; am Ende sind sie alle unter dem Stress des Erfolges zerbrochen. An eine Fernbeziehung wie bei Jimmy und Tina will ich überhaupt nicht denken, denn selbst wenn Maite bereit wäre mich immer zu begleiten, bei Patricia und Kathy ist es ja sogar trotz des Mitreisens schlussendlich gescheitert. Wahrscheinlich ist es mein tief verankertes Pflichtbewusstsein und auch die Liebe zu meinen Geschwistern und Vater, die mich noch davon abhält einfach auch in einer spontanen Nacht-und-Nebel-Aktion die Band für Maite zu verlassen. Erst vor wenigen Tagen habe ich nun mit I really love you einen Song für sie geschrieben, in dem ich meine Gefühle endlich klipp und klar benenne und der höchstwahrscheinlich auf dem neuen Album landen wird. Ein kleines Risiko gehe ich damit zwar schon ein, aber ich bin mir inzwischen doch ziemlich sicher, dass sie auch tiefere Gefühle für mich hat.
Ich weiß, dass es mich sehr viel Mut kosten wird den Song gleich meinen Geschwistern in der heutigen Bandsession vorzustellen, aber arg viel länger kann ich meine Gefühle für Maite vor ihnen ohnehin nicht mehr verbergen. Ich will gerade noch schnell ein letztes Mal die Akkorde durchgehen, als das mobile Telefon in meiner Tasche zu klingeln beginnt. Kurz überlege ich einfach nicht ranzugehen, aber natürlich weiß ich auch, dass das nun mal meine Aufgabe ist. Seufzend fische ich das Handy aus der Tasche und füge mich meinem Schicksal: »John Kelly, who’s calling?«

Jimmy

Ich hole einmal tief Luft, als sich Johnny meldet. Nach fast fünf Wochen im Entzug ist es an der Zeit, dass ich meine Geschwister darüber informiere, was ich tue, und natürlich vermisse ich sie auch. Sehr. Aber inzwischen geht es mir besser, bis auf die Schlafstörungen und ab und an gewisse Ängste, die mich heimsuchen, habe ich keine Entzugserscheinungen mehr. Ich fühle mich gestärkt und insoweit gefestigt, ihnen zumindest in einem Telefonat gegenüber zu treten.
»Hello?«, fragt Johnny. »Jemand da?«
Ich räuspere mich. »Uhm… yeah, it’s… it’s me, Jimmy«, gebe ich mich dann zu erkennen.
Kurz ist mein Bruder still. »Jimmy, my God«, entfährt es Johnny dann. »That’s a surprise.«
»Sorry, I know«, gebe ich zu. »Sind die anderen in der Nähe? Ich würd gern… mit euch allen reden.« Patricia hat mir in unserem letzten Telefonat erzählt, dass unsere Geschwister gerade wieder in Köln sind und an neuen Songs schreiben. »Und wo ist Dad?«
»Bei der KelLife drüben, zu Terminen«, sagt Johnny. »Die anderen sind im Tonstudio.«
»Sehr gut«, nicke ich zufrieden.
»Warte, ich gehe schnell rüber und stelle dich laut. Guys, it’s Jimmy«, verkündet Johnny gleich darauf und augenblicklich ist es still im Hintergrund.
»Jimmy!«, höre ich dann Kathy, wie erwartet. »Are you serious? Du verschwindest einfach fast zwei Monate, meldest dich überhaupt nicht und jetzt rufst du einfach an?«
»Kathy«, höre ich Johnny mahnend. »Please, let him talk.«
»Thanks«, räuspere ich mich. »Hi, well… ich wollte mit euch allen reden, damit ihr es von mir hört. Ich bin in Dublin und seit fünf Wochen in einer Klinik. Ich mache einen Entzug.«

Jimmys Geheimnis IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt