Wir wünschen euch frohe Weihnachten! Genießt die freien Tage mit dem neuen Kapitel.
Eure Reniawen und Patricia_Raven
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Jimmy
Ich habe Gwen doch noch in einer kurzen Version erzählt, wie ich darauf gekommen bin, nach ihr zu suchen. Denn natürlich war mir klar, dass sie fragen würde. Also hab ich erzählt, dass ich einfach wissen wollte, wie es den Jungs und ihr inzwischen geht, wie sie mit dem Leben klarkommen. Und auch, dass die Suche bis auf Ryan recht frustrierend verlief, bis hin dazu, dass ich irgendwann aufgab, weil ich ja nur ihre alte Nummer hatte und über Tom überhaupt nichts herausbekam.
»That’s really sweet of you«, meint sie noch, bevor ich sie zum Hinterausgang begleite. Ich habe darauf bestanden, dass Tarzan sie zu ihrem Hotel fährt. »But you could have just asked for my number at the Rutland.«
»Yeah, well. That’s not really me«, gebe ich zu und reibe mir verlegen den Nacken. »Too easy, you know.« Ich zwinkere.
»Ah, you like the complicated way, I see«, lacht Gwen und ich lasse mich für einen Moment von ihrem fröhlichen Lachen und dem Funkeln in ihren braunen Augen fesseln. Ihre langen, roten Haare fallen offen über ihre Schultern und umrahmen ihr hübsches Gesicht. Es tat unglaublich gut, sie zu sehen, jemanden, von dem ich weiß, dass sie mich versteht, und ich will sie wirklich wiedersehen. »You’ve got my number now, to make it a bit easier.«
Sie zwinkert und ich muss grinsen. »I can’t promise that I won’t lose it or somethin’.«
»Well, in that case I’ve got yours and I’ll just call if you don’t«, schmunzelt sie.
»Sounds good«, nicke ich. Wir unterhalten uns noch ein wenig, dann ist der Moment des Abschieds gekommen. Ich umarme sie, ihr liebliches Parfum umhüllt mich und der Wunsch, dass wir uns bald wiedersehen, ist sehr deutlich und lässt sich auch nicht abschütteln, als ich in die Küche gehe, wo Joey an der Kaffeemaschine steht.
Verdutzt sieht er mich an und ich erinnere mich, dass er im Foyer oben am Treppenabsatz stand, als ich Gwen zum Hintereingang gebracht habe, und dass er kurz gewunken hat. »What, she doesn’t stay the night?«, fragt er mit einem leicht anzüglichen Grinsen.
Ich verdrehe theatralisch die Augen. »No, obviously not«, bemerke ich. »She’s not… well, not this. It’s Gwen. I know her from the Rutland. From the Entzug, you know. I told ya about the guys I made music with? She plays the Tin Whistle.«
Joey zieht eine Augenbraue hoch. »Und ihr trefft euch wieder?«
Mit ein bisschen Unbehagen wird mir klar, dass Joey überhaupt noch nicht weiß, dass ich nach Gwen gesucht habe. Es ist viel zu lange her, dass wir mal Zeit zu reden hatten. »Yeah, well, I was looking for her. Frustrated, because I only got an old number. One of the guys, Ryan, called the company a few weeks ago and talked to Johnny, he had Gwens number. I really wanted to see her again, and so did she. Was… good to see her again.«
»Well, maybe you could also think about joining us on stage again regularly, we’d really like see you at least once in a while«, bemerkt Joey spitz und mir fällt sehr wohl der Unterton in seiner Stimme auf.
Ich seufze und lehne mich an die Thekenkante, während er mir doch noch eine Tasse Kaffee reicht. Ich kann ihn ja verstehen. Gerade nach Kathys Ausstieg fehlt noch jemand auf der Bühne, und ich habe ja schon darüber nachgedacht, regelmäßig wieder mit den anderen aufzutreten. »You know it’s not that I’m not thinking about it«, beginne ich.
»Also, worauf wartest du? Wir werden nicht noch einen Ausstieg verkraften, Bro, zumal niemand weiß, was jetzt mit Trisha ist oder mit Johnny«, wird Joey da plötzlich sehr ernst. »Mir war das selbst nie so bewusst, früher haben wir die Straßenkonzerte manchmal zu fünft gerockt. Aber das ist jetzt einfach etwas total anderes.«
»Ich weiß«, erwidere ich und reibe mir den Nacken. »Ich weiß einfach nicht, ob ich es körperlich schaffe. Ich bin nach einem Konzert fertig, Bro, das ist anders als früher. Die Drogen haben etwas mit mir gemacht, ich weiß einfach nicht, ob ich dieses Pensum jeden Tag schaffe. Und bevor ich dann wieder komplett absagen muss…«
Joey verschränkt die Arme vor der Brust. »After all this time? I mean, it’s been more than a year ago.«
»Ja, ich weiß«, antworte ich. »Maybe it’s just… in my head, you know. Thinkin‘ too much about it. Ich bin keine Hilfe für die Band, wenn ich nach ein paar Auftritten hintereinander wieder komplett ausfalle.«
»But at least you would be there«, bemerkt Joey, ganz ohne irgendeinen Unterton jetzt, und ich schaue ihn an. »Das ist wichtig, Jimmy, vor allem für Barby, Maite und Paddy. Dass wir jetzt da sind.«
Natürlich hat er vollkommen recht. Mir wird klar, wie sehr meine Geschwister mich und auch Trisha brauchen, und vielleicht ist es wirklich ein Zeichen unserer Stärke, wenn ich ganz zurückkomme.
Ich nicke. »I’ll try, I promise. Thanks, man.« Joey hebt seine Hand, wir schlagen ein und es ist tatsächlich ein gutes Gefühl, wieder mal länger mit ihm geredet zu haben.
Anfang September 1999
Kathy
Seit meinem letzten Konzert in Halle vor knapp zwei Wochen stehen meine Gedanken einfach nicht mehr still. Der Abend ist fast wie in einem Rausch an mir vorbei gezogen und ich kann mich schon jetzt kaum mehr an Details erinnern. Und obwohl ich nach wie vor davon überzeugt bin, dass es die richtige Entscheidung war, bin ich ein wenig wehmütig. Am meisten beschäftigt mich aktuell Paddys und Barbys Reaktionen auf meinen Bandausstieg, beide sind immer noch nicht gut auf mich zu sprechen. Paddy ist in letzter Zeit generell oft schlecht gelaunt und motzt mich fast immer an, wenn wir uns sehen, Barby hingegen ist einfach viel zu nah am Wasser gebaut. Langsam glaube ich, dass beide nicht mehr so richtig zwischen der Band und der Familie unterscheiden können. Denn nur, weil ich musikalisch von jetzt an eigene Wege gehen werde, würde ich doch im Privaten meine Familie niemals im Stich lassen. Dafür bin ich nach wie vor ein viel zu großer Familienmensch und wohne ja auch noch weiterhin im Schloss. Ständig fliegen mir in den letzten Tagen einzelne Textzeilen zu, die sich alle im Großen und Ganzen um dieses Thema drehen, Familie vs. Selbstständigkeit, Abschied vs. Kontinuität. Doch noch fehlt mir der entscheidende Durchbruch, um die Fragmente wirklich als ernstzunehmende Songidee gebrauchen zu können.
Rückhalt habe ich in den letzten Wochen vermehrt bei John gefunden. Seit ich meinen Ausstieg bekannt gegeben habe, haben wir oft miteinander geredet, meistens auch über sehr persönliche Themen. Es ist schon lustig, dass wir trotz des geringen Altersunterschiedes davor nie so wirklich eng waren, aber gerade Johnny war unter uns Geschwistern schon immer eher ein Einzelgänger. Ehrlich gesagt hat es mich aber überhaupt nicht überrascht von ihm zu hören, dass er ebenfalls über einen Austritt aus der Band nachdenkt. Maite ist einfach nicht der Typ von Frau, der Kira und Tanja sind. Sie ist nicht dafür gemacht jemandem von uns hinterher zu reisen oder ihr bisheriges Leben komplett über den Haufen zu werfen. Patricia hatte das Glück, dass Denis wegen ihr nach seinem Auslandsjahr nicht wieder in seine Heimat Russland zurückgekehrt ist, aber sowohl Johnny als auch ich wissen, dass Maite für einen solchen Schritt viel zu sehr in Spanien verwurzelt ist. Und mir ist klar, dass er sie genau deswegen liebt, weil sie eben ihren eigenen Kopf hat und ihm nicht wie ein Schoßhündchen hinterherrennt. Ich hoffe sehr, dass es nach seinem Ausstieg mit den beiden klappen wird, denn sie passen in meinen Augen mit ihrer eher schüchternen, poetischen Art unfassbar gut zusammen.
Immer wieder habe ich mich jetzt in letzter Zeit auch gefragt, wie es mit meiner Solokarriere nun eigentlich weiter gehen soll. Mir ist bewusst, dass ich nach dem ganzen Rummel der letzten Jahre erstmal eine Pause vom Showbusiness brauche, um mich zu erholen, um für Sean während seines ersten Schuljahres da zu sein und um mir überhaupt klar zu werden, in welche musikalische Richtung ich als Solokünstlerin schlussendlich gehen will. Grundsätzlich interessiere ich mich für Pop, Irish Folk, Spanische Musik, Gospel und Klassik, aber mir ist durchaus bewusst, dass ich mich wahrscheinlich für einen Stil entscheiden muss. Anders ist es fast nicht möglich, kommerziellen Erfolg zu haben. Momentan kann ich mich noch überhaupt nicht festlegen, daher habe ich mich erstmal für Gesangsstunden im klassischen sowie im populären Stil angemeldet, um meine Gesangstechniken weiter zu verbessern und nicht aus der Übung zu kommen. Wieder muss ich an die Textfragmente denken, die mir schon die ganze Zeit im Kopf herum schwirren und beschließe, sie endlich mal aufzuschreiben.
The road was long, but I was strong. And through the storms I carried on… I’ll be here where I belong, I’ll be here where I’m strong… All by myself but not alone, I have my family and a home… Ich summe beim Schreiben schon ein wenig vor mich hin, als plötzlich die Tür zu meiner Suite mit einem leisen Quietschen aufgeht. Schon erwarte ich, dass Sean neben mir auf das Bett hüpft, aber es ist John, der vorsichtig zur Tür hereinschaut: »Oh, sorry, am I disturbing you? I can come again later if -«
»No, it’s okay Johnny, please come in«, unterbreche ich ihn, denn mir ist gerade spontan ein Geistesblitz gekommen. »Actually, it’s perfect because I’m writing on a new song and could use your help. You know, maybe it could be our song for saying goodbye to the Kelly Family audience, if you want?«, fahre ich etwas zögerlicher fort und blicke abwartend zu meinem Bruder, der immer noch in der Türe steht. Ich weiß wirklich nicht, ob ich ihn gerade mit meiner Frage überfordere, denn wir haben bisher nur sehr selten gemeinsam an Songs geschrieben. Ich frage mich gerade ein wenig warum eigentlich, aber es hat sich wohl einfach nie ergeben. Doch Johns Blick wechselt schnell von nachdenklich zu einem sanften Lächeln.
»It would be an honour, sis. What have you got so far?« Er kommt ein paar Schritte auf mich zu und anhand seiner Mimik und Gestik merke ich, dass er von meinem Vorschlag ehrlich berührt ist. Mir ist sofort klar, dass aus meiner Idee nicht nur ein gemeinsamer Song, sondern auch ein gemeinsames Duett werden soll.
Gwen
Mitte September 1999
Seit etwa zwei Wochen bin ich nun wieder zurück in Irland. Der Alltag hat mich wieder, und wie immer fällt es mir nach den drei Wochen Urlaub, die ich jedes Jahr zum Reisen nutze, schwer, mich wieder auf meinen Job zu konzentrieren. Ich will die Welt sehen, am liebsten jedes Land, und auf meinem Reisewunschzettel gibt es noch ein paar weiße Flecken. Die USA zum Beispiel, Neuseeland, Australien. Aber vor Fernreisen hatte ich schon immer Respekt, und seit dem Tod meiner Eltern und meinem Abrutsch war daran ohnehin nicht mehr zu denken.
Doch diese vergangenen drei Wochen bleiben in meinem Kopf, vor allem natürlich wegen James. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so schön sein würde, ihn wieder zu sehen, und tatsächlich muss ich immer noch an unser Treffen denken. Wie offensichtlich er sich über meinen Besuch gefreut hat, und vor allem, dass er nach mir gesucht hat. Diese Tatsache hängt in meinem Kopf fest, denn wir haben zwar einige Zeit zusammen im Entzug verbracht, hauptsächlich aber, um Musik zu machen. Natürlich haben wir auch geredet, aber ich habe damals sehr schnell bemerkt, dass er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Und ich ja auch mit mir. Nach dem Entzug habe ich durchaus noch ein paar Mal an die Jungs denken müssen, auch daran, dass ich keine Telefonnummern hatte, aber ich wäre nicht auf die Idee gekommen, nach ihnen zu suchen. Dafür haben wir alle unsere eigenen Leben, und irgendwie kannte ich die Jungs dann doch nicht gut genug dafür. Aber umso süßer war es von James, dass er uns finden wollte.
Als ich heute meine Sommerjacke in den Schrank hängen wollte, weil es jetzt Mitte September doch etwas kühl dafür ist, ist mir der Zettel mit James‘ Nummer in die Hände gefallen. Mit einer Tasse Tee stehe ich in meiner Wohnung am Fenster und überlege, ob ich James einfach anrufen soll. Er hat natürlich nicht gesagt, wann ein guter Zeitpunkt ist ihn zu erreichen, aber er hat sich auch noch nicht bei mir gemeldet. Er hat erzählt, dass er wieder regelmäßiger mit seiner Familie auftreten will, also habe ich keine andere Wahl als es einfach zu versuchen. Es ist erst kurz vor sechs Uhr abends, sodass die Family wohl noch nicht auf einer Bühne steht, und schließlich wähle ich einfach seine Nummer.
Es klingelt ein paar Mal und ich will schon wieder ernüchtert auflegen, als James sich doch meldet. »Hi James, it’s me, Gwen«, sage ich.
»I know, saved your number, otherwise I maybe wouldn't have picked up«, grinst er. »Uhm… good to hear from you. Back home safely?«
»Yeah, back to normal«, schmunzle ich. »Sorry for the wait, but I... needed a bit to find back to work and such.«
»That’s okay«, höre ich James lächeln. »Same with me. More shows and I still need more recovery than I thought.«
»But is it okay being back like this?«, erkundige ich mich.
»It is«, erwidert er. »Important after Kathy left the band. You should have seen Paddy when I told them that I’ll be back regularly. He was so relieved he almost cried like a baby. He didn’t of course, but I think it’s really a help.«
»And you?«, muss ich dann aber doch fragen, weil es ein bisschen den Eindruck erweckt, dass er es für seine Familie tut. Das aber ist schon einmal ziemlich schief gegangen. »I mean, is it what you really want?«
»I’m a musician«, meint James. »And we're family. I’ve really missed it, just wasn’t sure if my body and health would be ready. Maybe it’s just… in my head, you know.«
Ich nicke. Das kann ich doch wieder zu gut verstehen. »I know«, antworte ich. »It’s always in our heads. We need to carry on, James, that’s the big deal.«
»And it’s what nobody else understands«, seufzt James. »They try to, but they haven’t been through it. Like you and me.«
Ich nicke wieder, vergesse, dass er das nicht sehen kann und fühle, wie gut es tut, jemanden zu haben, der einen versteht. Und ich glaube, dass es James genauso guttut.
»What are you doing right now?«, reißt er mich ein wenig aus den Gedanken.
»Nothing special«, erzähle ich. »Just stored the summer outfits in the closet and that’s when I found your number. Having a tea right now… maybe I’ll play the Tin Whistle a bit later. I miss making music.«
»I missed talking to you«, rutscht es James ein wenig heraus und ich muss schmunzeln. »I mean… it was great to see you and I’d love to meet again. I know it’s a bit complicated and you’ll have to come to Germany, but… I’d really love to see you again.«
»It’s not like it’s too complicated to travel to Cologne, you know«, schmunzle ich.
»Yeah, but the flight and everything…«, meint James.
»I think I can afford this at times«, grinse ich nun deutlicher. »I’ve got a job, my parents left me a bit of money, it’s not like I’m poor or somethin’. And… I’d also love to meet again soon. We’ll find a date.« Kurz beiße ich mir auf die Lippen, aber James geht nicht auf diese flapsige Bemerkung ein.
»I think we’ve got some free weekends next month«, meint er stattdessen. »Maybe the middle or end of October.«
»Sounds great. And I’m really looking forward to that«, lächle ich und ja – ich freue mich wirklich, ihn schon im Oktober wiederzusehen.

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Jimmys Geheimnis II
FanfictionApril 1998. Auf dem Zenit des Erfolgs stehen bei der Kelly Family große Umbrüche an. Jimmy nimmt überraschend eine Auszeit, Patricia spielt mit dem Gedanken, ins Kloster einzutreten. Dennoch laufen die Vorbereitungen für das neue Album auf Hochtoure...