KAPITEL 1

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Kapitel eins heute für euch. Habt ganz viel Spaß beim Lesen!

@Patricia_Raven und
Reniawen

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Ende April 1998

Patricia

»Wie, du bist auch abgehauen? Jimmy, verdammt, wo bist du?« Völlig entgeistert starre ich den Telefonhörer dem kleinen Ferienhaus in Killarney an, in der ich mich seit etwa einem halben Jahr einquartiert habe.
»Yeah, listen Trisha, I’m in Ireland too but the others don’t know and I don‘t want them to know it.« Jimmy klingt ein wenig durch den Wind, aber gleichzeitig auch sehr zufrieden mit sich und der Welt, was mich zwar ein stückweit beruhigt, aber umso verwirrter macht: »Was machst du dann in Irland und wieso – Wait, but you can’t come to Killarney, Kathy will probably call me soon and-«
»Trisha, calm down, please«, lacht Jimmy, aber wird dann doch schnell wieder ernst, »Breathe, mir geht es gut und nein, ich komme auch nicht nach Killarney. I’ve got a plan this time, I’m in Dublin. Ähm, couldn’t take it anymore, the drugs and everything, you know…« Am Ende bricht er ab und für ein paar Sekunden herrscht Schweigen in der Leitung, bevor ich mich traue die Frage zu stellen, die mir förmlich auf der Zunge brennt: »So you’re finally doing the Entzug, Jimmy?« Diesmal ist es mein Bruder, der ein wenig herumdruckst, bevor er antwortet: »Yes… I know, du hast mir schon vor ein paar Monaten dazu geraten, but I wasn’t ready yet and I knew that I couldn’t do it in Germany where the fans are everywhere… And nobody would have allowed me to take a break anyway, if I had asked.«
Gegen Ende klingt seine Stimme verbittert, aber ich weiß genauso gut wie er, dass er Recht hat. Weder Vater noch Kathy oder Joey, der mittlerweile in der Firma das Sagen hat, hätte Jimmy eine längere Bandauszeit erlaubt.

Allerdings bin ich noch viel mehr froh und erleichtert, dass er endlich diesen Schritt gewagt hat; die Notwendigkeit selbst sieht, sich um seine Gesundheit zu kümmern. Völlig egal, wie viel früher er das vielleicht schon hätte einsehen können. Wir haben eben alle einen Kelly-Dickschädel. »You’re probably right, Jimmy… Honestly, I’m proud of you, okay? And thanks for telling me, ich wäre wahrscheinlich halb durchgedreht, wenn Kathy mich später angerufen hätte«, gestehe ich ihm und muss dabei sogar ein bisschen gegen die Tränen anblinzeln. Ich bin wirklich fürchterlich stolz auf meinen großen kleinen Bruder und auch ein bisschen gerührt, dass er sich mir anvertraut hat.
»I know, sis, that’s why I‘ve called you«, lacht Jimmy durch den Hörer und ich muss auch grinsen, weil er mich einfach zu gut kennt. »And because I trust you to keep my secret.« »Natürlich«, antworte ich nachdrücklich und meine es auch genau so. Schon als Kinder hatten wir oft gemeinsame Geheimnisse vor den anderen und das wird wohl auch immer so bleiben. »Aber bitte melde dich ab und zu, okay? Just now and then, that I know that you’re doing fine«, komme ich dann doch nicht umher ihn zu bitten. Denn dass ich mir immer Sorgen um ihn mache, egal wie alt wir sind, das wird wohl ebenso bleiben.
»I’ll try«, murmelt Jimmy vage und ich kann dabei nur belustigt meine Augen verdrehen, welche Antwort hätte ich von ihm sonst erwarten sollen. »Take care, sis, see ya.«

Etwas überrumpelt von dem plötzlichen Gesprächsende starre ich mit dem Hörer in der Hand die kahle Steinwand gegenüber an. Meine Gedanken schwirren wild durcheinander und ich muss mir erstmal wirklich klarmachen, was Jimmys Ausbruch bedeutet. Natürlich kann ich ihn mit seinem Wunsch nach Autonomie verstehen, bestens, bin ich doch vor nicht allzu langer Zeit erst selbst von unserem irischen Wohnsitz East Grove zuerst in ein Kloster geflohen, bevor ich offiziell nach Killarney ausgezogen bin. Ich hatte mich gerade heftig mit meinem Vater zerstritten, bis heute haben wir keinen Kontakt zueinander, und ich wusste, dass ich mein eigenes Leben außerhalb der Familie brauche. Wo ich zumindest neben meinen weiterhin bestehenden Verpflichtungen in der Band selbst entscheiden kann, was ich mit meinem restlichen Leben anstelle.
Der Grund für den Streit mit meinem Vater war Liam, der mir letzten Sommer endlich einen Antrag gemacht hat. Ich war überglücklich, wir planten bereits unsere Hochzeit, doch mein Vater weigerte sich vehement der Heirat zuzustimmen, was am Ende dazu führte, dass Liam sich von mir und seinem Job als Bodyguard getrennt hat. Er hat das ganze Hin und Her nicht mehr ertragen, mir vorgeworfen, dass ich schwach sei und mich nicht gegen meinen Vater durchsetzen könne. Jetzt sehe ich ein, dass er recht hatte und bis heute frage ich mich regelmäßig, was wohl gewesen wäre, wenn ich mich gegen meinen Vater aufgelehnt hätte, den Mut und die Stärke dazu gehabt hätte. Und manchmal hoffe ich auch immer noch, dass Liam einfach zu mir zurückkommt, auch wenn ich weiß, dass das nicht mehr passieren wird. Wahrscheinlich ging es Jimmy in den ersten Monaten nach der Trennung von Tina genauso. Ich weiß zumindest, dass er ebenso wie ich bei Liam dachte, in Tina die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Erst seit meiner eigenen Trennung kann ich nachvollziehen, wie es ihm wohl ergangen sein muss, und ich werde ein bisschen traurig bei dem Gedanken, dass er in der Zeit nach der Trennung fast alles mit sich selbst ausgemacht hat. Selbst mich hat er regelmäßig abgeblockt, er wollte keine Hilfe von niemandem, bis er schlussendlich wieder schrittweise den härteren Drogen verfallen ist. Über die letzten Monate hinweg habe ich ihn mit immer wachsender Besorgnis beobachtet, doch er hat wie immer jede Hilfe verweigert, zumindest bis heute.
Das erneute Läuten des Telefons reißt mich aus den Gedanken und entsetzt stelle ich fest, dass es draußen bereits dunkel geworden ist. Scheinbar habe ich vor lauter Grübeln komplett die Zeit vergessen.

Jimmys Geheimnis IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt