Habt einen schönen Sonntag, ihr Lieben!
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Anfang Januar 1999
Joey
Dieses Silvester war mit Abstand eines der coolsten, das wir seit langem gefeiert haben. Nicht nur, dass wir mit unserem Schloss eine richtig tolle Location hatten und viele Freunde einladen konnten, Tanja hat meine Einladung angenommen, und Patricia hat sich sogar mit Denis unterhalten. Sie standen sehr lange zusammen, und schlussendlich habe ich die beiden sogar tanzen gesehen. Auch als wir dann alle zusammen die letzten 10 Sekunden bis 24 Uhr runtergezählt haben, standen Trisha und Denis nebeneinander, und mir sind natürlich auch die Blicke nicht entgangen, mit denen er sie quasi ununterbrochen gemustert hat. Bis ich schließlich einen Stoß von Tanja in die Seite bekam, wir gemeinsam anstießen und ihre wunderschönen Augen mich vollkommen von allem anderen abgelenkt haben. Ich konnte einfach nicht anders und musste sie in dem Moment küssen, und es war verdammt schön. Und mir war vollkommen egal, dass es vor allen anderen war. Mit ihr ist es nicht wie mit all den anderen Frauen vorher, es ist besonders, sehr besonders. Ich weiß schon länger, dass ich keine andere Frau brauche oder will als Tanja, und als ich sie dann gefragt habe, ob sie nicht über Nacht bleiben wolle, war für mich auch längst klar, dass das kein One Night Stand bleiben soll.
Die Nacht mit Tanja war der absolute Hammer, und ich würde sie am liebsten gar nicht gehen lassen. Sie ist sogar am Morgen geblieben, und auch wenn wir viele neugierige Blicke ernten, als wir gemeinsam in die große Küche zum Neujahrsfrühstück kommen, ist mir das vollkommen egal. »Ey Joey, holst du Tanja demnächst auch mit einem Zwölftonner zu den Konzerten ab wie damals deine erste Freundin?«, muss Jimmy natürlich prompt witzeln.
Glücklicherweise habe ich Tanja diese Story schon längst erzählt, und sie prustet in ihre Kaffeetasse. »Das würd ich zu gerne sehen«, lacht sie.
»Ich würde dich auch laufend von überall her abholen, aber das wäre nicht annähernd angemessen für eine Frau deiner Klasse«, erwidere ich ihr nur mit einem tiefen Blick. Und ich kann mich nicht zurück halten, ihr wieder vor allen einen Kuss zu geben.
Tanja blinzelt ziemlich überrascht, sicher weil ich direkt vor allen so klar mache, wieviel sie mir bedeutet, aber nun stellt wenigstens niemand mehr Fragen.
Tanja bleibt sogar bis zum zweiten Januar, einen Tag bevor wir zu den ersten Konzerten nach Spanien fliegen, auf Gymnich. Mir fällt es wirklich schwer, mich von ihr zu verabschieden, und ihr »Wann sehen wir uns wieder?«, sorgt augenblicklich dafür, dass mir Jimmys Desaster mit Tina in den Sinn kommt.
»So oft wie nur irgendwie möglich«, erwidere ich. »Alles andere funktioniert nicht.«
Tanjas Lächeln, ihr warmer Blick und der anschließende tiefe Kuss sind genug Bestätigung, dass sie ebenso denkt wie ich. »Wann immer ich kann, bin ich bei dir, okay?«, erklärt sie, und ich schwöre, ich hätte mich spätestens jetzt komplett in diese Frau verliebt.
»She’ll be worth it, bro«, meint Jimmy neben mir, nachdem sie wirklich gegangen ist. »Don’t mess it up.«
Er klopft mir auf die Schultern und ich kann nicht anders als zu grinsen. »Idiot. But yeah, she is. By the way, Trish schien sich ja ausgesprochen gut mit Denis verstanden zu haben«, stelle ich dann fest.
»Hat sie, und hey, ich hab eben etwas gehört«, raunt mein Bruder verschwörerisch. »Sie haben telefoniert. Vorhin.«
»Na also«, grinse ich in mich hinein. »You think that’s it? No more Kloster und so?«
Jimmy hebt die Schultern. »I hope so. Can’t stand her thinking like that.«
»Me neither«, stimme ich zu und halte Jimmy meine Hand zum Highfive hin. Patricia, da waren Jimmy und ich uns von Anfang an einig, gehört zu uns. Und niemals in irgendein Kloster.
John
»I really love you, I really love you, I really love you again«, schallt laut mein Song aus der tragbaren Lautsprecherbox. Es ist noch früh am Morgen und wir drehen heute das dazugehörige Video an den berühmten weißen Windmühlen von Consuegra, etwa eineinhalb Stunden Autofahrt südlich von Madrid. Wobei „wir“ heute eigentlich nur mich meint, zusammen mit einem angemieteten Kamerateam und einigen Schauspielern aus der Gegend, denen ich gerade meinen Song zum ersten Mal vorspiele.
Seit vier Tagen sind wir jetzt in Spanien und spielen Konzerte, zuletzt gestern in Madrid. Während der ersten beiden Konzerten in Pamplona und Saragossa hat mich Maite besuchen können und wir zwei haben die Zeit zwischen den Konzerten bestmöglich genutzt. Inzwischen ist es ja auch längst kein Geheimnis mehr, dass uns Maite wegen mir und nicht etwa wegen Trisha besuchen kommt. Leider konnte sie uns nicht noch bis nach Madrid begleiten, aber schon die wenige Zeit hat dafür gereicht mich wieder komplett in ihren Bann zu ziehen. Was Maite mit mir anstellt, wenn sie in meiner Nähe ist, ist einfach magisch, auch zwei Tage später fühle ich mich immer noch ein wenig entrückt von der echten Welt. Ich muss mich seitdem wirklich sehr zusammenreißen, um bei der Sache zu bleiben und nicht ständig in Träumereien abzudriften. Natürlich hilft mir dabei die Tatsache, dass wir heute ausgerechnet das Musikvideo zu „ihrem“ Song drehen, absolut nicht.
Im Gegensatz zu mir konnten meine Geschwister heute in unserem Hotel in Madrid ausschlafen. Ich hatte sie gestern noch gefragt, ob sie zum Zuschauen mitkommen wollen, aber nach den letzten Tagen voller Konzerten haben sie es verständlicher Weise doch vorgezogen, länger liegen zu bleiben. Was ja aber auch nicht weiter schlimm ist, denn heute wird sowieso nur den Story-Teil des Musikvideos gedreht, bei dem ich Regie führe und gleichzeitig auch die Hauptrolle spiele. Gemeinsam mit den Bandaufnahmen, die wir schon an Neujahr im Weinkeller von Gymnich gedreht haben, wird daraus am Ende das fertige Video geschnitten.
Noch während die Sonne aufgeht drehen wir die ersten Szenen, in denen ein junges Mädchen an der Hand des Großvaters um ihre verstorbenen Eltern trauert. Danach geht es direkt an den Mühlen selbst weiter, denn in einer davon lebt und arbeitet der Großvater im Video. Sogar einen Lastenesel konnten wir auf meinen Wunsch hin in der Nähe noch ausleihen und ich denke, er sorgt für das richtige ländliche Flair, das ich mir für das Video vorgestellt habe. Das Mädchen lernt im Video nun einen Jungen kennen, der mit dem Esel Korn zur Mühle bringt. Wir drehen einige Szenen mit den beiden Kinderschauspielern, und ich bin wirklich begeistert, wie professionell sie ihre Sache machen. In den Drehpausen wird dann natürlich aber auch etwas herumgetobt und viel gelacht. Einmal mehr bin ich froh, dass ich fließend Spanisch spreche und mich mit allen gut unterhalten kann, vor allem mit Felipe, der im Video den alten Mann spielt und mit Lucía, die das erwachsen gewordene Mädchen darstellt. Die Grundidee der Story ist ähnlich zu Jimmys Nanana-Video, denn auch bei I really love you werden die Kinder schließlich erwachsen. Natürlich liegt es dann an mir den erwachsenen Mann, der schlussendlich den alten Müller um die Hand seiner Enkelin bittet, zu verkörpern.
Es ist schon ein bisschen seltsam, diese Szene mit Felipe zu drehen, spukt doch in meinem Kopf schon seit Monaten eine Vorstellung davon herum, wie ich bei Carlos irgendwann um Maites Hand anhalten will. Und gerade seit vorgestern ist mir dieses Bild wieder präsenter denn je, scheint dieser Traum doch nun gar nicht mehr so unerreichbar oder in allzu weiter Ferne wie bisher. Doch noch fehlt mir der Mut, Maites Vater wirklich mit diesem Anliegen entgegenzutreten.
Die Sonne geht schon unter, als wir die letzten Szenen abdrehen. Zuerst spiele ich Gitarre und singe zu dem Playback, während sich Lucía an meiner Schulter festhält und mich dabei ein bisschen für die Kamera anschmachtet. Es kostet mich einiges an Mühe dabei ernst zu bleiben und mehr als einmal driften meine Gedanken dabei auch ganz woanders hin. Ich bin sehr froh, als nach ein paar Anläufen auch diese Szene schließlich im Kasten ist. Abschließend tanzt Lucía noch für eine kurze Sequenz im Schein der Scheinwerfer vor der Mühle, dann ist der Drehtag endlich zu Ende.
Jimmy
Zurück in Deutschland drehen wir neben den ersten Konzerten des neuen Jahres weitere Videos zum neuen Album. Als nächstes sind die Clips zu Hooks und Oh it hurts dran, und ich bin erleichtert, dass Barby und Maite gemeinsam entschieden haben, auf Gymnich zu drehen. Hier haben wir inzwischen alles an einem Fleck, und natürlich ist es viel praktischer, nicht noch zusätzlich zwischen den Drehs reisen zu müssen. Barby hat für uns alle ein wenig altertümliche Klamotten aus einem Theaterfundus ausgesucht, wir drehen ihr Video in einem Teil der älteren Gemäuer von Gymnich. Joey darf Barbys Betrügerfreund spielen, bekommt dafür von ihr eine Perücke mit eng am Kopf anliegenden kurzen, schwarzen Haaren aufgedrückt, und ich kann nicht anders als zu lachen.
»Steht dir«, muss ich meinen Bruder einfach aufziehen, ernte einen bösen Blick von Joey und klopfe ihm grinsend auf die Schulter.
»Alles für Barby«, brummt Joey.
»Sure«, lache ich auf. »Alles nur für Barby.«
Oh it hurts drehen wir hauptsächlich draußen auf dem weitläufigen Gelände des Schlosses, es ist arschkalt, und am zweiten Drehtag regnet es. Ich hasse den Januar. Kein Plan, warum Maite sich in den Kopf gesetzt hat, die ganze Zeit durch den Wald zu schleichen, aber es passt natürlich zum melancholischen Songtext. Auch Adam ist zum ersten Mal bei einem unserer Clips dabei, was nur okay ist, schließlich ist er auch im Augenblick fester Bestandteil der Band. Ich freue mich darüber, dass meine Schwestern mir beim Dreh die Leitung übergeben haben, und ich liebe es wie immer, mit dem Drehteam zu arbeiten. Zumindest lenkt es mich davon ab, dass meine Gedanken immer weiter um Ryan, Tom und Gwen kreisen. Immer öfter frage ich mich, wie es ihnen wohl geht… ob sie es geschafft haben. Was sie gerade machen, wo sie sind. Ob Gwen wieder so viel reist, wie sie damals erzählt hat. Ich wünsche es ihnen sehr.
Vielleicht denke ich gerade deshalb wieder häufiger an die drei, weil ich mich im Augenblick wirklich gut fühle. Wir haben meine Solosongs wieder in die Setlists für die Konzerte genommen, und die Fans feiern vor allem Nanana genauso wie früher. Bei den ersten Malen schießen natürlich Erinnerungen durch meine Gedanken, als ich den Song wieder performe, aber es macht mich sehr stolz, dass die Fans Nanana so lieben, und mit diesem Abstand von zwei Jahren zu der Trennung von Tina ist es dann auch okay.
Es ist, als wäre ich nie weggewesen, aber ich bin froh, dass Adam uns trotzdem noch unterstützt. Ich bin immer noch ziemlich platt nach den Konzerten, auch wenn es mir gesundheitlich wieder gut geht. Ich habe lange keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken, auch nicht, wenn wir abends doch mal zusammen sitzen. Natürlich kommt mir auch zugute, dass wir weniger zu TV-Shows eingeladen sind als noch vor ein paar Jahren, auch wenn für dieses Jahr schon ein paar Fernsehtermine fest eingeplant sind. Aber ich bin mir sicher, dass ich das nicht mehr brauche – die Exzesse auf den After-Show-Parties, die Drogen, die Abstürze. Ich bin froh, dass es vorbei ist, dass ich meine Aufgaben habe und wieder bei meiner Familie bin. Und eben genau das wünsche ich meinen Freunden auch.
»That was great work, bro«, sagt Johnny da neben mir und klopft mir auf die Schulter. Gerade haben wir uns den letzten Take vom Oh it hurts-Video angesehen, Maite spricht ziemlich begeistert mit dem Produzenten.
»Yeah, was fun again«, stimme ich zu, immer noch in Gedanken versunken. Natürlich haben wir keine Telefonnummern ausgetauscht, wir waren ja schließlich in einer Klinik und dann doch am meisten mit uns selbst beschäftigt. Zudem wusste ich, dass ich nach Deutschland zurückkehren würde.
»Nicht ganz bei der Sache?«, schmunzelt Johnny. »Das war doch eigentlich mein Part in letzter Zeit.«
»Stimmt allerdings, gut, dass ich wieder ein Auge auf die Dreharbeiten hab, was?«, grinse ich. Seit wir in Spanien waren, ist Johnny wieder sehr mit seinen Gedanken woanders, und natürlich ist es kein Geheimnis, wo. Dann seufze ich. »Ich hab nur… I told you about my friends back at the Entzug? Those I made music with? Ich frag mich manchmal, wie’s ihnen so geht. Ob sie’s gepackt haben und so.«
Während das Drehteam alle Utensilien einpackt, schlendern wir zum Hauptgebäude zurück. Maite und Johnny haben mich in ihre Mitte genommen, ich freue mich jetzt echt, ins Warme zu kommen. »Habt ihr keine Nummern ausgetauscht oder so?«, kommt natürlich prompt die Frage meines Bruders.
»Of course not«, seufze ich. »Ich wollte den Entzug hinter mich bringen, das war auch nicht gerade leicht. Aber, you know… it helped so much knowing they were suffering the same and yet we shared the same love for music. Ich würde einfach gern wissen, ob es ihnen gutgeht.« Ich zucke die Schultern, denn natürlich ist mir klar, dass ich das nicht einfach so herausfinden kann.
»Und wenn du mal in der Klinik anrufst?«, überlegt Maite natürlich prompt. »Hey, die müssten doch die Nummern haben.«
»Ich kann da kaum einfach nach fast einem dreiviertel Jahr anrufen«, erwidere ich, aber Maites Detektivsinn kenne ich selbstverständlich noch gut genug.
»Wieso nicht?«, meint sie. »Versuchs doch einfach mal.«
Allerdings vergesse ich diesen Plan erstmal wieder, denn Kathy und Barby haben Essen vorbereitet und in den folgenden Tagen Anfang Februar sind Johnny und ich mit dem Schneiden der Videos beschäftigt. Aber ich hätte wissen müssen, dass Maite diese Sache nicht ruhen lassen wird.
»Ey, Jimmy, was ist eigentlich mit deinen Freunden, did you find out anything?«, fragt sie irgendwann morgens.
»Well, no, haven’t had time yet and…«, beginne ich, aber Maite lässt nicht locker.
»Ruf doch endlich einfach mal an, wie hieß das gleich, wo du warst?«, fragt sie.
Aber jetzt hat sie meine Neugierde tatsächlich geweckt, und ich bin selbst gespannt, ob ich über die Entzugsklinik etwas herausfinden kann. »Rutland Center«, antworte ich. »I’ll look for the number and tell you.«

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Jimmys Geheimnis II
Fiksi PenggemarApril 1998. Auf dem Zenit des Erfolgs stehen bei der Kelly Family große Umbrüche an. Jimmy nimmt überraschend eine Auszeit, Patricia spielt mit dem Gedanken, ins Kloster einzutreten. Dennoch laufen die Vorbereitungen für das neue Album auf Hochtoure...