Ich bekomme nicht wirklich mit, wie mich das Vorbereitungsteam fertig macht und Celestia mir beim anziehen von Kleid und Schuhen hilft. Das Kleid ist wieder blau, aber nicht dunkel- sondern zartblau. Ich trage flache weiße Ballerinas und meine Haare hat Celestia wieder nur leicht gelockt. Auch mit dem Make up haben sie sich zurückgehalten. Ich sehe harmlos aus. Unschuldig. Unschuldig, obwohl ich so viele Tribute getötet habe. Sie waren unschuldig, alle, außer Bianca vielleicht, aber ich habe sie getötet. Meine Brust wird mir eng und schwer. Jetzt sitzen in den anderen Distrikten Familien und trauern um ihre Kinder, die nicht mehr zurück kommen werden. Nie wieder. Wegen mir. Weil ich sie getötet habe.
Wir fahren mit dem Aufzug hinunter auf die Ebene, wo damals das Training stattfand. Es ist üblich, dass die Sieger und ihr Team aus dem Bühnenboden auftauchen. Zuerst das Vorbereitungsteam, dann die Betreuerin, die Stylistin, die Mentorin und schließlich die Siegerin. Wir befinden uns in einem spärlich beleuchteten Areal unterhalb der Bühne. Celestia und das Vorbereitungsteam ziehen sich zurück, um die eigenen Kostüme anzulegen und lassen mich und Cashmere alleine. Ich bemerke, dass meine Hand zittert erst, als Cashmere sie nimmt und ich ansieht. „Du schaffst das. Du hast die Spiele gewonnen, das schaffst du auch noch. Danach können wir nach Hause", sagt sie. „Nach Hause", wiederhole ich ihre Worte. „Ja, nur noch das hier, dann können wir nach Hause", erklärt sie mir, wie einem kleinen Kind, aber genauso fühle ich mich irgendwie auch. Ich fühle mich unfähig dies hier alleine zu schaffen und habe Angst davor, obwohl es keinen wirklichen Grund dafür gibt. „So solltest deinen Platz einnehmen", meint meine Schwester und führt mich zu der Metallscheibe. „Du schaffst das. Das ist dein Abend. Genieße ihn." Sie küsst mich auf die Stirn und verschwindet in der Dunkelheit. Ich versuche wieder mich auf meinen Atem zu konzentrieren und meine immer noch zitternden Hände unter Kontrolle zu bringen. Wenigstens verdeckt mein Kleid, dass mir bis zu den Waden geht, meine schlotternden Knie. Früher habe ich mir diesen Moment immer ausgemalt und davon geträumt, auch mal hier zu stehen. Jetzt kommt es mir vor, wie ein Albtraum.
Atme. Atme. Genieße es. Es kann nichts passieren. Das sage ich mir immer wieder, während ich über mir höre, wie mein Vorbereitungsteam, dann Dalia und Celestia ihre Auftritte haben. Dann hebt mich die Scheibe auf die Bühne. Das Licht blendet mich und ich höre das Gebrüll und die Jubelrufe der Menge. Ich gehe zu Caesar Flickerman herüber. Er beglückwünscht mich und bietet mir den Siegerstuhl an. Wie jedes Jahr, wird ein Film mit den Höhepunkten der Spiele eingeblendet. Ich verbanne alle Gefühle aus meinem Gesicht und sehe zu, ohne wirklich mitzubekommen, was gezeigt wird. Ich kann nicht nochmal mitansehen, wie meine dreiundzwanzig Mitstreiter sterben. Das Gemetzel am Füllhorn zeigen sie ausgiebig. Wie ich dem Mädchen aus 6 das Leben rette. Der grausame Tod von dem Mädchen aus 12. Es ist schrecklich, denn alle, die auf dem Bildschirm zu sehen sind, sind tot. Alle außer ich. Dann werden abwechselnd die sterbenden Tribute und ich gezeigt. Mein Gesicht bleibt die ganze Zeit ausdruckslos, selbst als Meira das Mädchen aus 6 tötet, sogar als ich Nero töte. Dann die Verkündung des Festmahls, Letas Tod, Apards Tod, sie zeigen ihn in voller Länge und ich kann nicht anders, ich sehe weg. Ich kann unmöglich nochmal mit ansehen, wie er stirbt. Dann mein Aufschrei, wie Bianca mich fast tötet und wie ich am Ende sie töte. Dann ist es endlich vorbei und Präsident Snow persönlich betritt die Bühne, gefolgt von einem kleinen Mädchen, das ein Kissen mit der Krone trägt. Der Präsident kommt auf mich zu und legt mir lächelnd die Krone auf den Kopf. Es folgen endlose Verbeugungen und Hochrufe und mir fällt fast der Arm ab, so viel winke ich, als Caesar Flickerman den Zuschauern endlich eine gute Nacht wünscht. Den Rest des Abends bekomme ich nur halb mit, ich werde zum Präsidentensitz gefahren, wo das Siegerbankett stattfindet. Auch das Interview am nächsten Tag zieht einfach an mir vorbei und bleibt mir nicht wirklich in Erinnerung und dann sitze ich auch schon im Zug auf den Weg zurück nach Distrikt 1. Endlich wieder nach Hause. Endlich wieder in Sicherheit. Ich habe es geschafft, ich habe die Spiele überlebt und jetzt weiß ich auch, was sie in den Augen meiner Geschwister verändert hat. Ich weiß es, weil es bei mir genauso ist. Es ist dieses etwas, dass die Spiele uns nehmen. Jedem und man kann nichts dagegen tun. Es sind die Erinnerungen an die Spiele und die kann man nicht einfach wegschieben, dazu sind sie zu schlimm.
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When I die
FanfictionSaphira Ritchson, die kleine Schwester von Gloss und Cashmere, wurde für die 68. Hungerspiele ausgewählt. Erst ist sie recht erfreut, doch dann wird ihr ehemaliger bester Freund als männlicher Tribut für Distrikt 1 ausgewählt. Und Saphira ist sich...