6. Kapitel (Thorin)

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Bereits vor unserem letzten vor drei Tagen Treffen, ist mir schon lange bewusst gewesen, dass ich sie verletzt habe. Aber erst durch unser Wiedersehen wurde mir bewusst, wie sehr. Wie sehr ich es verbockt, wie viel ich falsch gemacht habe!

Ich hätte mich eher melden können. Nein, ich hätte es tun müssen! Schließlich bin ich nicht erst seit ein paar Tagen wieder in der Stadt... Und wäre mir ihr Geruch unter all jenen, die an diesem Morgen in der Luft hingen, nicht aufgefallen, hätte ich wohl auch nichts an den Umständen geändert.

Vielleicht war es Feigheit oder aber ich wusste einfach nicht, wie ich auf sie zu gehen sollte. Doch es hätte Wege gegeben... Wege, die ich hätte gehen können, wenn ich nur eher den Mut gehabt hätte, ihr in die Augen zu schauen!

Diese schon immer das Gefährlichste an Amaris. In diesen konnte man, sofern sie es denn zu ließ, immer ihre wahren Gefühle erkennen. Doch im Gegensatz zu damals, hat sie die Tore zu ihrer Seele nun vor mir verschlossen.

Bei unserem Treffen im Café habe ich ihre Wut gespürt, ja. Verdammt, sie ist förmlich in Wellen zu mir herübergeschwappt! Und dieser Schmerz... So viel Schmerz... Was mich aber schier umgehauen hat, ist trotz allem diese Begegnung nach vier Jahren. Ich kann es nicht beschreiben, aber mich durchfuhr ein heftiges Kribbeln, als ich sie angeschaut habe und eine ungeahnte Sehnsucht nach ihr, ist in mir aufgekeimt. Bis jetzt habe ich so etwas noch nie gespürt, bei niemand anderem, zumindest bis zu diesem Augenblick.

Es lässt sich nicht leugnen, dass sie auch mir in den letzten Jahren wahnsinnig gefehlt hat. Man vergisst einen Menschen, mit dem man groß geworden ist, mit dem man einen Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat, nicht einfach so...

Gerade dann nicht, wenn besagte Person einen so essentiellen Bestandteil davon ausgemacht hat. Seit ich denken kann, war Amaris immer da. Egal in welcher Situation, da ist immer sie! Bis zu diesem verdammten Tag vor vier Jahren...

Ich kann gar nicht beschreiben, wie leid es mir tut, dass ich mich damals nicht von ihr verabschiedet, dass ich sie so im Unklaren gelassen habe. Es ist unverzeihlich, auch wenn ich keine Wahl hatte! Damals, wie heute.

Sie hätte eine ehrliche Erklärung verdammt noch einmal verdient! Und so sehr ich mich dafür selbst geißeln könnte, ich konnte sie ihr leider auch bei unserem Treffen im Café nicht liefern, so sehr ich auch wollte...

Unsere Regeln sind da sehr deutlich. Gerade, was die Konsequenzen angeht. Und da ich sie nie wissentlich in Gefahr bringen würde...



Frustriert über mich selbst, treibe ich mich selbst zu einem immer schnelleren Tempo an. Meine Pfoten fliegen fast schon über das blassgrüne Gras, während die Landschaft an mir vorbei zieht und der Wind mir durch mein grau-braunes Fell streift.

Doch so schnell ich auch renne und alles andere um mich herum ausblende, so kann ich doch nicht ihren enttäuschten Ausdruck und das wütende Funkeln darin verdrängen. Es hat mich fast umgebracht zu wissen, dass ich der Grund bin. FUCK! Ich habe es verdammt nochmal verbockt! Auch wenn ich zumindest teilweise, nichts dafür konnte...

Das Leben als Werwolf in einem Rudel hat sicherlich viele Vorteile. Dennoch erdrücken die Nachteile einen manchmal. Einer von diesen ist unter anderem der, dass man sich gegen den Befehl seines Alphas nicht wehren kann, so sehr es einem selbst möglicherweise auch widersprechen mag.

Es ist einfach unmöglich! Je weniger dominant man ist, desto schwieriger wird es. Und wie oft habe ich diesen Fakt in den vergangenen Jahren bereits verflucht, wie sehr habe ich mir gewünscht, etwas an meiner Lage ändern zu können, allein wegen ihr...

WolfsmondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt