17. Kapitel (Lesenacht, Amaris)

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Gedankenverloren starre ich aus dem Fenster, während Thorins uns geschickt in den Verkehr einfädelt. Meinen Kopf habe ich habe ganz bewusst an das Fenster neben mir gelegt, um etwas nachdenken zu können.

Wie gerne würde ich jetzt auf meinem Motorrad sitzen und die Landschaft an mir vorbeiziehen sehen, einfach um meine Gedanken zu ordnen. In solchen Momenten betrachtet man Situationen einfach ganz anders, als wenn man mit beiden Beinen fest am Boden steht und die Schwerkraft einen teilweise zu erdrücken scheint.

Erstaunlicherweise war das Frühstück weniger schlimm, als ich zunächst gedacht habe. Natürlich kann man die Situation nicht gerade als perfekt bezeichnen, aber immerhin habe ich mit seiner Familie geredet und ich habe ihn nicht vor ihnen in irgendeiner Art und Weise gekillt.

Das kann man doch als Fortschritt betrachten, oder? Schließlich wollte ich ihm weniger den Kopf abreißen, als noch kurz vorher.

Generell habe ich das Gefühl, dass sich seit gestern Nacht irgendetwas zwischen uns verändert hat. Noch kann ich es nicht ganz einordnen, vor allem weiß ich nicht, ob es mir gefällt, aber irgendetwas ist definitiv passiert.

Auch habe ich das Gefühl, dass mein Körper seit gestern noch stärker auf Thorin und seine Reaktionen und Handlungen, reagiert. Und es irritiert mich enorm... Wieso muss auch immer alles, was mit Gefühlen zu tun hat, so scheiße kompliziert sein?

Innerlich stoße ich ein tiefes Seufzen aus. Während ich komplett in meine Gedankenwelt abgetaucht bin, dudelt das Radio leise irgendein Lied, was ich aber nur halbherzig wahrnehme. Ich glaube, es ist irgendetwas von der Band ,The Script' >Superheros< oder so ähnlich.... Aber natürlich kann ich mich auch täuschen...

Die Stille zwischen uns ist erstaunlicherweise nicht einmal unangenehm, sondern hat etwas Einvernehmliches, etwas Beruhigendes, was mich nun doch sehr wundert, wenn man bedenkt, wie die letzten Wochen zwischen uns verlaufen sind. Letzten Endes ist es Thorin, der die Stille zuerst durchbricht:

,,Es tut mir leid wegen vorhin. Eigentlich sollte das alles etwas... entspannter ablaufen." Auf seine Worte hin schweige ich nur. Was soll ich auch sagen? Alles gut? Oder: Mach dir keinen Kopf? Es ist für mich vollkommen in Ordnung gewesen, dass du mich deiner Familie einfach zum Fraß vorgeworfen hast?

All diese Antworten sind für mich keine wirkliche Möglichkeit. Von daher beschließe ich einem meiner Lebensmottos treu zu bleiben: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Naja, zumindest in manchen Lebenslagen. Auch wenn ich mich zugegebener Maßen nicht immer daran halte.

Offenbar bemerkt auch Thorin, dass es nichts bringt, mit mir ein Gespräch aufzubauen, denn er seufzt nur, bevor er abbiegt.

Plötzlich fällt mir jedoch auf, dass wir uns alles andere als auf dem Weg zu meiner Wohnung befinden! Was soll denn das jetzt? Wieso bringt er mich nicht nach Hause?! Wo bringt er mich um Himmels willen hin?! ,,Thorin?"

Meine Stimme ist gedrängt von einem leisen Vorwurf. Was hat er vor? Shit, warum bin ich nicht einfach nach Hause gelaufen? Kann ich ihm nicht einmal in dieser Hinsicht vertrauen?

,,Wir müssen reden, Amaris." Ganz sicher nicht! Es gäbe einiges, was ich aktuell gerne tun würde, aber dazu zählt sicherlich nicht der Aspekt, dass ich mich von ihm irgendwo hinbringen lasse! So weit kommt es noch! Das Einzige, mit dem ich heute noch spreche, ist mit meinem Bett und zwar nur mit meinem eigenen!

,,Wir? Nein, Thorin, du hattest deine Chance und du hast es offenbar nicht für nötig gehalten, mir die Wahrheit zu sagen! Also komm mir jetzt nicht so! Ich habe dir gesagt, dass ich dieses Spielchen nicht mitspielen werde! Und-"

Thorin entfährt ein Knurren, welches mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Halleuja! Was hat er nur ständig mit diesem ... Laut? Er ist doch kein Hund!

WolfsmondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt