45 - 2. Teil Premiere Sarah

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01.10.2022 - Lissabon 

Sarah stand mit einem Glas Champagner etwas abseits der Partygesellschaft in der Ecke und ließ ihren Blick durch den großen Raum schweifen.
Der Abend lief bisher super, Pilar und Nano standen bei einem älteren Ehepaar und erklärten ihnen offensichtlich das Verkaufskonzept.
Nano nippte hin und wieder an seinem Glas, er hasste Champagner normalerweise, aber heute würde es hier kein Bier geben und er brauchte den Alkohol um seine Nerven zu beruhigen.
Seine Wangen waren gerötet vor Aufregung und sein Blick ging nervös umher. Sarah wusste, dass solche Veranstaltungen für ihn der absolute Albtraum waren, aber sie gehörten nun mal zum Business dazu.
Ihm fiel es schwer, den Menschen seine Kunst mit Worten näher bringen, für ihn waren seine Bilder selbsterklärend. 
Diesen Part übernahm Pilar für ihn.
Sie konnte in den Werken der Künstler deren Intention und Idee verstehen und sie anderen Menschen verbal vermitteln.
Als sie Pilar vor vier Jahren in einer Galerie in Madrid kennenlernte, war sie sofort fasziniert von der blonden Spanierin gewesen. Wenn sie über die Kunst sprach, hatte sie ein Funkeln in den Augen und in jedem ihrer Worte steckte so viel Liebe und Begeisterung, dass sie alle um sich herum total in ihren Bann zog.
Es war außergewöhnlich und Sarah suchte sofort den Kontakt zu ihr.
Pilar lebte offen lesbisch und versteckte sich und ihre jeweilige Partnerin nicht vor der Öffentlichkeit. Aber die Beziehungen hielten nie wirklich lange, denn Pilars große Liebe war die Kunst und sie arbeitete Tag und Nacht wie eine Besessene.
Obwohl die beiden Frauen sich optisch attraktiv fanden, waren sie von Beginn an ausschließlich an einer platonischen Beziehung interessiert.

Sarah ließ ihren Blick erneut umhergehen.
Ihre Augen erfassten ihren Mann Felix, der wie bereits angekündigt mit Paco in der Ecke stand. Die beiden ungleichen Männer unterhielten sich angeregt, doch Sarah wusste, dass dies eher aus der Not heraus geboren war.
Denn Felix und ihr Bruder hatten nichts gemeinsam und ihr Mann mochte den jungen Mann auch nicht sonderlich.
Paco trug einen edlen schwarzen Designeranzug, der perfekt saß - Natürlich.
Wie nicht anders zu erwarten eine Maßanfertigung.
Dazu glänzende schwarze Lederschuhe, ebenfalls von einem Luxuslabel stammend.
Seine dunklen Locken hatte er nach hinten gegelt und seine großen braunen Augen glänzten im Licht. Paco sah aus wie eine jüngere Kopie ihres Vaters - die selbe markante Nase, derselbe große Mund mit den vollen Lippen und das selbe spitze Kinn. Paco wusste ganz genau, dass er unverschämt gut aussah und spielte damit.
"Wie Diego" dachte Sarah.
Paco war von Natur aus selbstbewusst und wirkte auf seine Mitmenschen oft angsteinflößend und arrogant. Er war wie Felix recht groß, aber neben ihrem breitgebauten muskulösen Mann wirkte ihr Bruder eher schlank.
Sarah betrachtete sein Profil und sah nur Diego vor sich.
Auch seine Stimme klang wie die ihres Vaters, manchmal bekam Sarah eine Gänsehaut, wenn sie Paco reden hörte.
Die Erinnerungen an Diego ließen Sarahs Hand zittern, der Champagner schwappte sanft in ihrem Glas.
Nano und Paco waren zwar Zwillingsbrüder, aber die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein.
Denn Nano war für einen Mann mit 1,75m eher klein und seine Figur wirkte fast schon zierlich.
Seine großen Augen waren braun und hatten einen warmen goldenen Schimmer, doch sein Blick war meistens eher abwesend. Es war so als ob Nano in seiner eigenen Welt lebte.
Seine Stimme war tief und kräftig, doch er sprach stets sehr leise - außer wenn er mit seinen Freunden oder anderen ihm vertrauten Personen über Kunst sprach.
Schon als kleiner Junge hatte er immer nur gemalt, Sarah kannte ihn quasi nur mit Stift und Block in seinen kleinen Händen.
Jeder konnte sehen, dass er eine besondere Gabe hatte, das Malen war seine Leidenschaft.
Er trug ein ähnliches Outfit wie Felix, nur in anderen Farben. Das Oberteil mit seinem eigens kreierten Design stand ihm gut, auch hier passten die Tättowierungen an den Unterarmen dazu.
Seine langen dunklen Locken hatte er in einen flachen Pferdeschwanz gebunden und um seinen Hals trug er eine breite Kette aus Gold. 
Mit seiner Hand fuhr er ständig über seinen gepflegten Bart - ein nervöser Tick.
An jedem seiner schlanken Finger trug er einen goldenen Ring.
Als Sarah den breiten Siegelring an seinem Ringfinger näher betrachtete, begann sich die Flüssigkeit in ihrem Glas erneut zu bewegen.
Der Ring hatte Diego gehört und seit 3 1/2 Jahren trug Nano ihn.
Die Portugiesin schüttelte sich, denn sie wollte nicht an ihren Vater denken. Nicht hier und nicht jetzt, sie hatte die letzten Wochen schon genug gelitten.
Sie führte ihr Glas zum Mund und leerte es in einem Zug. Bevor sie sich wieder zu unter die Gesellschaft mischte, atmete sie noch einmal tief durch.

"Eine wundervolle Ausstellung, Sarah. Eine gelungene Premiere" sagte die blonde ältere Dame vor ihr.
Ihr Name war Marcia Esmeralda Paleo Hierra, die Geschäftsführerin des erfolgreichen Luxuslabels Fiora. Sarah kannte sie schon lange, sie war eine alte Freundin ihres Vaters.
"Marcia, vielen Dank. Ich gebe es gerne an Pilar weiter, sie hat das alles entworfen und geplant. Ihr allein gebührt der Dank - und natürlich meinem talentierten Bruder" Sarah lachte.
Marcia lächelte ebenfalls "Und wer hat Pilar nach Lissabon geholt? Denken Sie mal darüber nach Sarah " Sie zwinkerte ihr zu und hob das Glas zum Toast.

Sarahs Füße brannten mittlerweile wie die Hölle, doch der Abend war noch nicht überstanden.
Sie hatte nun mit all den wichtigen Kontaktpersonen auf ihrer To-Do-Liste gesprochen und wollte ehrlich gesagt nur noch nach Hause in ihr Bett.
Plötzlich legte sich ein Arm um ihre Taille und zog sie sanft an sich heran.
"Du siehst müde aus, mein Liebling" flüsterte ihr Felix ins Ohr.
Sarah lehnte sich dankbar an die breite Brust ihres Mannes, so konnte sie ihre Füße etwas entlasten.
"So gerne würde ich jetzt einfach abhauen, aber leider geht das noch nicht. Wie lief dein Abend bisher? Hat Paco von seiner neuesten Eroberung geschwärmt oder dir von seinen vielen Tennis-Dates berichtet?"
Ihr Mann schnaubte kurz und verdrehte die Augen.
"Oh, frag bitte nicht. Ich weiß jetzt alles über Tennis, was ich niemals wissen wollte, glaube mir. Wie können er und Nano miteinander verwandt sein. Wenn Nano nicht Diegos Augen hätte, könnte man echt denken, er hätte einen anderen Vater. 
Wollte Merdeces denn nicht auch kommen? Ist ja schließlich ein großer Abend für ihren Sohn?"
Sarah war bei dem Namen ihres Vaters kurz zusammengezuckt, doch sie fing sich schnell wieder.
"Laut Nano war sie nicht in der Lage heute Mittag.
Angeblich hatte sie schlimme Migräne, aber wir wissen wohl alle, dass sie einfach nicht kommen wollte. Ich rede mit ihm nicht mehr über seine Mutter, denn wir streiten ansonsten nur.
Hast du gesehen, wie Paco vor den Fotografen posiert und Interviews gegeben hat? Man könnte meinen, er wäre der Künstler und das hier wäre seine Ausstellung" Sarah klang genervt.
"Er ist eben der Sohn seines Vaters, Liebling.
Bald ist es aber geschafft. Wir werfen uns jetzt einfach zusammen ins Getümmel und täuschen einfach vor, dass wir einen riesen Spaß haben"
Felix lachte und nahm ihr Hand.
Dann zog er sie liebevoll mit sich, auf seinen Lippen ein glückliches Lächeln.

Seit Sarahs Rückkehr hatte sie ihren Mann nicht mehr so gelassen gesehen, es freute sie unwahrscheinlich. Doch trotzdem spürte sie einen kleinen Schmerz in ihrem Herzen, denn plötzlich flackerte ein Bild vor ihrem Auge auf.

Lyanns grüne Augen, die sie verliebt ansahen.

7 Tage (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt