85 - Sarah flüchtet auf die Insel

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Juni 2023, Lissabon 

Das Kreischen der Möwen war eines ihrer Lieblingsgeräusche. Denn das bedeutete, dass das Meer nicht weit sein konnte.
Sarah saß auf ihrem Handtuch und versuchte sich auf das neue Buch, welches sie gestern erst gekauft hatte, zu konzentrieren. Sie hatte sich für einen leichten Liebesroman entschieden, so richtige Urlaubslektüre. Doch selbst dafür reichte ihre Konzentration nicht aus. Immer wieder schweiften ihren Gedanken ab.
Die Trennung von Felix war das einzig Richtige gewesen, auch wenn sie niemals seinen enttäuschten Gesichtsausdruck vergessen würde.
Sarah war direkt danach in ihr Strandhaus gezogen, sie wollte Felix genügend Raum geben.
Er hatte zwar angeboten vorübergehend bei Nano zu übernachten, aber dass kam für Sarah nicjt in Frage. Er hatte schließlich nichts falsch gemacht und deshalb wollte sie auch nicht, dass er sich etwas neues suchen musste. Und ins Strandhaus wäre er niemals gegangen, er mochte zwar das Meer, aber hier in Cascais fühlte er sich nicht wohl.
Felix war ein Stadtkind - er liebte den Trubel und die Menschenmassen, außerdem war seine neue Arbeitsstelle nicht weit weg von ihrer Wohnung gelegen.
Seitdem Sarah ausgezogen war, hatten die beiden sich nicht mehr gesehen, aber sie telefonierten jeden Tag für wenige Minuten. Damit sie wenigstens hörte, dass es ihm einigermaßen gut ging. Für beide war es sehr schwer, doch Felix hatte sich offensichtlich schon eine Weile darauf vorbereitet und wirkte relativ gefasst.
Noch hatte sich die Portugiesin keine Gedanken zum Thema Scheidung gemacht, aber früher oder später mussten sie das Ganze angehen. Durch den Ehevertrag war der finanzielle Teil zum Glück bereits geregelt, doch darum ging es Sarah sowieso nicht. Von ihrer Seite aus konnte Felix alles haben, was er wollte. Geld war ihr vollkommen egal, sie hatte mehr als genug davon.
Aber sie kannte ihren Mann gut genug, er hatte daran noch weniger Interesse als sie selbst.
Sarah musste sich nun damit auseinandersetzen, wie ihr Leben zukünftig aussehen sollte.
Doch wo bitte sollte sie nur anfangen?
Auf der einen Seite wäre sie natürlich am liebsten sofort zu Lyann gegangen, aber sie wusste einfach nicht wie.
Vielleicht war es besser, wenn sie sich selbst noch eine Weile Zeit gab um die letzten Wochen zu verarbeiten. Sie wollte erstmal ein wenig heilen, bevor sie Lyann gegenüber trat.
Zu sagen, dass es ihr gerade gut ging, wäre übertrieben gewesen, aber sie war erleichtert endlich eine Entscheidung getroffen zu haben.
Sie fühlte sich nicht mehr so leer und der dumpfe Schmerz in ihrem Inneren ließ immer mehr nach.
Sie hatte auch wieder Appetit, was ein sehr gutes Zeichen war.
Francois und Pilar hatten das Geschäftliche weitestgehend im Griff, im Moment gab es für Sarah keinen Grund akut einzugreifen.
Natürlich wäre es besser, wenn sie in Paris wäre, doch im Moment hatten ihr Privatleben und ihre Gesundheit Vorrang.
Ihre Freunde und Familie hatten sehr bestürzt wegen der Trennung reagiert, doch keiner war sonderlich überrascht gewesen. Es hatte sich lange genug angekündigt.
Sarah konnte sich ein Leben ohne Felix nicht vorstellen, doch sie wusste nicht, ob eine Freundschaft mit ihm jemals möglich war. Und wenn, wie sollte diese dann aussehen? Er gehörte schließlich auch zu ihrer Familie.
Ob Lyann überhaupt akzeptieren könnte, wenn sie weiterhin mit ihm Kontakt haben würde?
Doch das war alles Zukunftsmusik, Sarah musste sich nun erstmal um sich selbst kümmern.
Das war für die nächste Tage ihr Plan - am Strand sein, schwimmen gehen, lesen, gut essen, richtig viel schlafen - einfach mal die Seele baumeln lassen. 

Dem Alltag zu entfliehen gestaltete sich in Lissabon leider etwas schwieriger als gedacht, deshalb beschloss Sarah ganz spontan weg zu fliegen.
Zuerst hatte sie an Madeira gedacht, sich dann aber doch für Formentera entschieden. Denn auf der kleinen Insel im Mittelmeer gab es sehr wenig zu tun - nur schöne Strände mit kristallklarem Wasser, wilde Felsformaturen und unberührte Natur, also perfekt für ihr Vorhaben.
Sie hatte sich eine kleine Strandhütte gemietet und gleich ein Auto dazu.
Leider gab es keinen Direktflug auf die kleine Insel, sie musste erst nach Ibiza und dann mit der Fähre nach Formentera überfahren. Doch das war kein Problem, Sarah hatte Zeit und die Überfahrt dauerte nur 35 Minuten.
Endlich im Paradies angekommen, holte sie zuerst ihr Auto ab und fuhr umgehend den nächsten Supermarkt an.
Da sie geplant hatte sich komplett selbst zu versorgen, benötigte sie so einiges an Lebensmitteln.

7 Tage (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt