69 - Sarah erzählt ihrer Oma die Wahrheit

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"Willst du einen Kaffee?" fragte Sarah ihren Mann, der sich sichtlich erledigt an den Kühlschrank lehnte.
"Ja, bitte. Aber vielleicht nicht ganz so stark wie sonst" murmelte er.
"Ach ja, wegen gestern - tut mir leid, dass ich mich so blöd benommen habe. Ich wollte mich gar nicht betrinken." kleinlaut presste er die Worte heraus.
Sarah stellte ihm die dampfende Tasse hin und schaute ihn an.
"Soll ich dir etwas zu essen machen oder hast du eher keinen Hunger?
"Musst du nicht. Ich trinke erstmal meinen Kaffee und lege mich dann ins Bett, ich fühle mich komplett ausgelaugt. Willst du denn gar nichts zu meiner Entschuldigung sagen?" 
"Ich gehe heute Mittag zu Oma zum Essen, habe ich ihr gestern versprochen. Kommst du alleine klar?
Aja, Entschuldigung angenommen"
antwortete sie knapp.
Sie hatte keine Lust auf eine weitere Diskussion und da Felix jedes ihrer Worte auf die Goldwaage zu legen schien, hatte sie beschlossen, so wenig wie möglich zu sagen. Zumindest mal für heute.

Sarah hatte entschieden in die Alfama zu laufen, das Wetter war super und die Bewegung tat ihr gut. Es half beim Nachdenken.
Obwohl sie wusste, dass ihre Großmutter sie über alles liebte, hatte sie doch Angst, ihr von Lyann zu erzählen.
Anna war eine gläubige Frau, sie betete jeden Tag mehrmals und ging jeden Sonntag zur Messe.
Für sie war das Sakrament der Ehe heilig und sie hielt nichts von Scheidung. Nach dem Tod ihres Mannes Adriano stand fest, dass sie für den Rest ihres Lebens alleine bleiben würde - so gehörte es sich einfach. Als ihre Tochter Susana sich von Diego scheiden ließ, war sie außer sich gewesen. Und dann noch die zweite Ehe mit einem Deutschen. 
Inzwischen hatte sie den Schock zwar verdaut, aber ein Teil von ihr hatte Richard noch lange abgelehnt. Denn er war der Grund, warum sie ihre Tochter und ihre Enkelkinder hatte gehen lassen müssen. Doch als Diego starb, hatte sich ihre Meinung über ihn geändert. Der blonde Deutsche hatte sich sein ganzes Leben vorbildlich um Sarah und ihren Bruder gekümmert, sie getröstet und sie gänzlich unterstützt - besonders Sarah die nach dem Tod ihres Vater total aufgelöst war. Erst da hatte sie begriffen, dass er ein wirklich guter Mann war und ein Vater wie man es nur für seine Enkelkinder wünschen konnte.
Anna war stolz und auch ein wenig stur, doch sie hatte eingesehen, dass sie hier einen Fehler gemacht hatte. Heute war sie Richard dankbar.

Ihre Tante Rosalie arbeitete im Laden, sie und ihre Großmutter wechselten sich ab. Als Lola Sarah entdeckte, rannte sie laut bellend auf sie zu und sprang wie ein Flummy an ihrem Bein hoch.
"Hey mein Mädchen, na freust du dich mich zu sehen?" Sie ging in die Hocke und die kleine Hündin leckte ihr aufgeregt über das Gesicht.
"Ah Sarah, was machst du denn hier?" ertönte die Stimme ihrer Tante.
"Ich wollte zu Oma" antwortete die junge Frau und versuchte Lolas flinker Zunge auszuweichen.
"Dich für deinen Mann nochmal entschuldigen? Habt ihr etwa Streit? Er hat sich ja gestern wirklich daneben benommen" die Augenbrauen hatte sie hochgezogen und ihre Stimme klang streng.
"Jedes Paar hat mal ein wenig Stress, ist doch normal. Dazu der Sekt. Naja, egal. Ich geh dann mal hoch zu ihr" Tante Rosalie war die letzte, mit der sie jetzt über ihren Ehemann reden wollte.

"So mein Kind, jetzt erzähl mal" ihre Großmutter sah sie eindringlich an.
Während des Kochens wollte Sarah noch nichts von Lyann erzählen, sie brauchte dafür ihre volle Konzentration und es war ihr zu wichtig um es einfach so beiläufig anzusprechen.
"Ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll. In meinem Kopf habe ich dieses Gespräch schon ganz oft durchgespielt, aber gerade fehlen mir die Worte"
Nervös zupfte sie an einer dunklen Locke herum.
Es fiel ihr schwer, der alten Dame in die Augen zu schauen. Sie hatte wahnsinnige Angst vor ihrer Reaktion.
"Das macht mich traurig, Sarah. Du kannst mir alles sagen. Vielleicht hilft es dir, wenn ich anfange. Soll ich?" Anna hatte ihre Hand auf Sarahs gelegt und streichelte sie liebevoll.
Die Augen ihrer Enkelin glitzerten feucht, sie nickte einfach nur wortlos.
Anna holte tief Luft und begann zu sprechen
"Ich weiß noch, wann mir das erste Mal aufgefallen ist, dass etwas an dir verändert ist. Kurz nachdem du aus Deutschland zurückgekommen bist, warst du bei mir im Laden. Du hattest nicht viel Zeit, aber ich habe sofort gespürt, dass es dir nicht gut ging. Du sahst unglaublich traurig aus, so als hätte etwas ganz tief deine Seele erschüttert.
Dann kam Nanos Ausstellung und du warst so gestresst, dass ich mich nicht getraut habe, dich darauf anzusprechen. Doch kurz danach schien es dir aber wieder besser zu gehen. Du hast wieder etwas zugenommen und sahst glücklich aus.
Und in den letzten Wochen hat sich dieser Eindruck noch verstärkt. Es ist schwierig zu erklären, aber es wirkt als wärst du angekommen.
Als wärst du endlich du selbst.
Nicht dass du dich vorher verstellt hast, aber ich glaube, du wusstest vorher nicht, wer du eigentlich bist, Sarah.
Die vergangenen Jahre waren sehr schwierig für dich, das weiß ich - Diegos Tod, das Erbe, dein Umzug nach Lissabon, die Trennung von deinen Freunden und deiner Mutter. 
Du warst vieles in dieser Zeit - Tochter, Schwester, Ehefrau, Enkelin, Erbin. Aber jetzt bist du einfach nur Sarah. Verstehst du?"
Annas Blick ruhte auf ihrer Enkelin, die sichtlich mit den Tränen kämpfte.
"Ich habe mich verliebt, Oma.
In eine Frau" brach es aus Sarah heraus.
"Sie heißt Lyann und wohnt in Hamburg"

7 Tage (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt