51 - 12.10. Lissabon Sarah

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12.10.2022 Lissabon

Seit Sarah mit Lyann telefoniert hatte, fühlte sie sich in Felix' Nähe furchtbar schuldig.
Sie hatte ihre Vereinbarung verletzt und bisher hatte sie es auch noch nicht geschafft, es ihm zu beichten.
Jedes Mal, wenn sie kurz davor war, es ihm zu sagen, überkam sie eine lähmende Angst.
Denn Felix würde mit hoher Wahrscheinlichkeit vollkommen ausrasten - zu Recht.
Und er würde ihr auch die entscheidende Frage stellen - "Warum?"
Und diese Wahrheit auszusprechen würde ihr gemeinsames Leben komplett auf den Kopf stellen und es löste die totale Panik in Sarah aus.
Aber endlich zu ihren Gefühlen zu stehen, auch wenn es bisher nur vor sich selbst war, hatte auch etwas Erleichterndes.
Sie war in Lyann verliebt.
Es war nicht nur eine kleine Schwärmerei oder eine leichte Verknalltheit, es war mehr als das.
Sie wollte mit Lyann zusammen sein, so richtig.
Und da begann der komplizierte Part.
Denn Sarah liebte natürlich auch Felix, er war ihr Mann und auch nur der Gedanke daran, ihn zu verlassen, brach ihr das Herz in tausend kleine Stücke.
Auch ihre Gefühle für die junge Fussballerin änderten nichts an dieser Tatsache.
Oft hatte sie von anderen gehört, die behaupteten, zwei Menschen gleichzeitig zu lieben und bisher hatte Sarah das für totalen Quatsch gehalten.
Denn in ihrer Vorstellung konnte man nur eine Person wirklich lieben.
Doch jetzt musste Sarah zugeben, dass sie damals einfach nur keine Ahnung gehabt hatte. Sie hatte selbstgefällig und arrogant reagiert, so als ob sie sich ein Urteil über die Beziehungen und Gefühle anderer hätte erlauben können.
Doch was sollte sie jetzt tun? So wie es aktuell war, konnte es nicht weitergehen. Sie würde das nicht mehr lange durchstehen - weder körperlich noch mental.
Noch nie hatte sie etwas vor Felix verborgen, niemals hatte sie ein solches Geheimnis vor ihm gehabt.
Sarah musste mit ihrem Mann reden, doch sie hatte keine Ahnung wie sie das Gespräch anfangen sollte.
Heute war Mittwoch, sie hatte sich dazu aufgerafft ins Büro zu gehen.
Eigentlich hätte sie mehrere Termine gehabt, doch diese hatte sie bereits in die nächste Woche verschoben.
Aber sie musste noch einige Unterlagen unterschreiben und mit Pilar die kommenden Projekte besprechen. Die Spanierin würde sich dann erstmal um alles weitere kümmern.
Außerdem würde Pilar ihr heute die endgültigen Zahlen von Nanos Ausstellung präsentieren, Sarah wusste bereits, dass die Einnahmen ihre Erwartungen deutlich übertroffen hatten.
Pilar hatte durch die Entscheidung, Nanos Meisterwerke in einem Auktionsverfahren anzubieten, deutlich höhere Summen erzielen können. So etwas war in der Kunstszene eher unüblich, gerade im Hinblick auf aktuell laufende Ausstellungen. Aber es war ein cleverer Schachzug von Pilar gewesen, Nanos Bekanntheit in diesem Sinne auszunutzen.

"Du wirst es nicht glauben, meine Liebe. Nach ungefähr 100 Telefonten ist es nun quasi offiziell - - wir könnten Miguel Gonzalez Delgado für die Galerie bekommen, du kennst ihn auch oder? Der Typ ist zwar ein großmauliger Narzisst, aber eben auch ein Genie und heißbegehrt. Und ich habe schon die perfekte Idee, wie wir dieses Projekt abwickeln können. Was denkst du?"
Pilars Augen funkelten vor Aufregung.
Sarah lachte "Ja, natürlich kenne ich ihn - wer nicht. Aber unsere letzte Begegnung macht eher wenig Lust auf mehr. Seine Werke sind allerdings der Wahnsinn und nach Nanos Ausstellung wäre das definitiv ein richtiger Coup. Wie ein Paukenschlag. Aber gegen Miguel ist Nano zahm wie ein Lämmchen, das weißt du?"
Pilar stand auf und lief in ihrem Büro umher. Das machte sie immer, wenn sie unter Strom stand.
"Sarah, ich kenne den Typ Künstler. Man muss sein Ego streicheln, aber ich traue mir das zu. Miguel hat damals in Madrid ausgestellt und wir haben uns recht gut verstanden. Also soweit man sich mit so jemanden gut verstehen kann. Und da ich eine Lesbe bin, wird er sicher nicht auf die Idee kommen, mich vögeln zu wollen"
Pilar grinste dreckig.
"Aber wenn das mit Miguel gut laufen sollte, dann können wir uns vor Anfragen und Projekten die nächsten fünf Jahren nicht mehr retten".
Sarah konnte sehen, wie ihre Mitarbeiterin bereits Feuer und Flamme war und sie sich auch nicht mehr umstimmen lassen würde.
"Ok, dann buche ein Abendessen mit ihm, dann sehen wir weiter" sie zwinkerte Pilar zu und lachte.

Den ganzen Nachmittag hatte Sarah am Telefon gehangen. Alle wollten ihr gratulieren und sie auf irgendwelche Veranstaltungen einladen. Ihr Kopf dröhnte bereits. Es war jetzt 17: 24 Uhr, sie brauchte dringend eine Pause.
Felix war heute nach Porto gefahren, er tättowierte dort auf einer großen Convention, er würde zwei Nächte dort sein. Was bedeutete, dass Sarah sich die nächsten Tage Gedanken über ihre Zukunft machen musste.

Sarah schnappte sich ihre Tasche und steckte kurz den Kopf in Pilars Büro "Ich verschwinde für heute, zu Hause kann ich deine Mappe auch durcharbeiten. Felix ist in Porto, was soviel bedeutet wie der Abend gehört mir, deiner Mappe und Netflix"
Pilar wuschelte ihre langen blonden Haare durcheinander und erwiderte kurz
"Super, viel Spaß. Ich mache hier noch weiter, mein Kopf platzt vor Ideen, die Präsentation wird der Hammer, ich verspreche es dir". Jetzt lachte sie.
"Ok, dann dir auch. Aber nicht zu lange machen, ok?" Sarah winkte ihr zum Abschied, aber Pilar hatte den Blick schon wieder auf ihre Skizzen gerichtet, sie war in besagtem Tunnel - so nannte sie selbst diesen Zustand.
Sarah war ihr so dankbar, ohne sie wäre der Tag so richtig beschissen gelaufen, aber ihre Begeisterung hatte sie angesteckt und sie hatte ihre Sorgen wenigstens für kurze Zeit vergessen können.

Als Sarah aus der großen Eingangstür des Gebäudekomplexes trat, spürte sie den frischen Wind auf ihrer Haut. Sie öffnete den Dutt, schüttelte ihre Locken und blieb kurz stehen.
Sie hob den Kopf und schloss ihre Augen, die warme Sonnenstrahlen taten so gut.
Die Portugiesin atmete tief durch und dann öffnete ihre Augen.
Und dann blieb ihr der Atem weg.
Nur ein paar Meter von ihr entfernt stand eine junge Frau mit den wohl schönsten grünen Augen der Welt und sah sie direkt an.
Sarahs Herz stolperte in ihrer Brust und sie konnte spüren, wie ihr Körper zu kribbeln begann.
Lyann.
Sie war hier.
Hier bei ihr in Lissabon.

7 Tage (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt