40 - Cascais Abend mit Pilar Teil 2

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Cascais Mitte März 2023

Wie prophezeit war der Verkehr aus Lissabon Richtung Küste eine Katastrophe. Es staute sich kilometerweit auf der einspürigen Stadtstraße. Doch der Ausblick aus dem Fenster entschädigte Sarah für das Verkehrschaos vor ihr.

Das Meer glitzerte wie Diamanten in der Sonne. Das Wetter war schon frühlingshaft warm, aber leider nur tagsüber, denn sobald die Sonne weg war, wurde es richtig kalt. Selbst an windstillen Abenden wie heute. Deshalb hatten die beiden Frauen ihre Jacken mitgenommen.
"Es ist ein Wunder, dass ich mich beim letzten Mal nicht erkältet habe" dachte Sarah.
Dieses Mal war sie besser vorbereitet.
Sarah liebte Cascais und egal wie touristisch es über die letzten Jahre geworden war, sie kannte viele geheime Plätze, die nicht in Reiseführern oder Reisebloggs standen. An denen nicht tausende Touristen entlang kamen.
Doch im März war es sowieso noch ruhig, die anstrengende Zeit begann erst ab Juni, wenn die Menschen aus der ganzen Welt in das kleine Land an der Atlantikküste strömten.
In den letzten Jahren boomte der Tourismus in ganz Portugal und besonders in Lissabon und der näheren Umgebung. Im Sommer konnte man sich mittlerweile nicht mehr tagsüber an öffentlichen Plätzen aufhalten, denn die Straßen waren so voll gestopft mit Touristen, dass man sich teilweise wie in der U-Bahn vorkam.
Lissabon war einfach zu klein für den gewaltigen Ansturm, besonders die Kreuzfahrtschiffe spülten täglich tausende Tagestouristen in die traditionelle Hauptstadt mit den sieben Hügeln.
Aber die gesteigerte Reiselust der Leute brachte eben auch eine Menge Geld ins Land und das arme Portugal profitierte außerordentlich gut vom Boom der letzten fünf Jahre.
Zum Glück hatte sich die Regierung einstimmig darauf geeinigt, die schönen Küstenabschnitte des Landes nicht mit Hotels zuzupflastern. In Portugal war es üblich in kleinen Unterkünften zu übernachten, entweder Privatwohnungen oder in kleinen gemütlichen Hotels und Pensionen.
Der Immobilienmarkt entwickelte sich seit Jahren prächtig, doch man versuchte so gut wie möglich, die Gebäude in die bestehende Landschaft zu integrieren.

Auch in Lissabon und Cascais konnte man die Entwicklungen der letzten Jahre deutlich sehen, doch auch hier wurde sehr viel Wert auf die Erhaltung des ursprünglichen Charmes der traditionellen Orte gelegt.
Darüber war Sarah sehr froh, denn wenn sie an die Bettenburgen an Spaniens Küsten dachte, drehte sich ihr der Magen um.
Nach fast einer Stunde kamen endlich in Cascais ankamen.
Sie parkten in einer Seitenstraße nahe des bekannten Restaurants "Maritimo". Es lag etwas abseits vom Stadtkern direkt am Meer.
Die Dachterrasse bot einen spektakulären Blick über die Bucht und den großen Jachthafen. Das Essen dort war mit das beste in ganz Cascais' und das ließen sich die Besitzer auch ordentlich bezahlen.
Doch die beiden Frauen wollten erst nach einem Spaziergang zu Abend essen, in Portugal war es üblich nicht vor 21 Uhr in ein Restaurant zu gehen.
Ausschließlich Leute mit kleinen Kindern oder eben Touristen aßen früh zu Abend.
Sarah hatte bereits telefonisch einen Tisch für 22:00 Uhr bestellt. Allerdings unter Pilars Namen "Garcia Dominges", sie benutzte grundsätzlich nicht ihren Nachnamen bei Reservierungen oder Bestellungen.
Sie wollte nicht riskieren, dass sie aufgrund dessen eine Extrabehandlung bekam.
Dann selbst nach 3 1/2 Jahres war der Name "de la Fuerta" jedem Erwachsenen in Lissabon und Umgebung ein Begriff.

Die beiden Frauen schlenderten an der langen Küstenpromenade Cascais' entlang, die Sonne strahlte kräftig und der milde Wind blies sanft durch Sarahs lange Locken. Nur wenige Menschen waren mit ihnen unterwegs.
Sie suchten sich die Bank mit dem besten Blick aus, denn der Sonnenuntergang über die malerische Bucht war atemberaubend schön.
Lissabon wurde nicht umsonst die Stadt des Lichtes genannt, dies galt auch für die umliegenden Küstenabschnitte.
Im Frühjahr und vorallem im Sommer wäre um die spätere Uhrzeit keine einzige Bank mehr freigewesen.
Sarahs Lieblingsfelsen war nur wenige 100 Meter von der Bank entfernt. Sie wusste, dass sie hier an diesem Ort am besten über die Ereignisse der letzten Zeit reden konnte.
Pilar fackelte nicht lange und begann zu reden.
"Ok Sarah, jetzt sind wir hier an diesem wunderschönen Ort. Ich werde hier neben dir sitzen und nicht weggehen. Also bitte erzähle mir, was mit dir los ist?" Sarah sah sie an und atmete tief durch.
Ähnlich wie Penne war auch Pilar eine Person, die Dinge direkt ansprach.
Sie hatte schon lange genug geschwiegen, weil sie wohl bemerkt haben musste, dass Sarah noch nicht bereit war, über die Ereignisse der letzten Zeit zu sprechen.
Aber wahrscheinlich hatte es ihr fast schon körperliche Schmerzen bereitet, die Dinge unausgesprochen zu lassen. Sarah kannte die junge Spanierin zwar nicht so lange wie Penne, doch trotzdem gut genug.
Sarah nickte ihr wortlos zu.
Obwohl Pilar einige Details aus dieser Zeit bereits kannte, hatte die Portugiesin beschlossen mit dem ersten Abschied von Lyann zu beginnen.
Zumindest dachte sie das zu diesem Zeitpunkt.
Sie wusste damals noch nicht, dass dieser Schmerz nur ein Bruchteil sein werde von dem was danach noch auf sie zukommen würde.

Sie startete mit dem Tag, an dem sie Lyann das erste Mal verlassen hatte.
Ihre Gedanken schweiften zu jenem Morgen in Hamburg. Es war der 14. August 2022, der Tag nach dem Spiel.

7 Tage (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt