61 - Sarah erzählt Lyann von ihrem Vater

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Lyann hatte die ganze Zeit sehr aufmerksam zugehört, während ihre Freundin erzählte.
Hin und wieder konnte Sarah sehen, wie schockiert die Holländerin war. Die Portugiesin hatte gewusst, dass viele Informationen auf sie einprasseln würden, wenn sie denn mal angefangen hatte zu reden.

Lyann sah Sarah einfach nur an.
"Hast du Fragen? Du kannst mich alles fragen, ich bin bereit, dir Rede und Antwort zu stehen" sprach die Portugiesin und drückte die Hand ihrer Freundin.
"Wie ist dein Vater gestorben?" fragte sie mit zittriger Stimme.
Genau mit dieser Frage hatte Sarah gerechnet.
"An den Folgen seiner Krebserkrankung, die Diagnose hatte er bekommen, als Andi und ich 13, die Zwillinge gerade 5 Jahre alt waren.
Die Prognose sah damals nicht gut aus, 2-3 Jahre hieß es. Anfangs hat er sich Behandlungen unterzogen, aber die haben ihn schwach gemacht, dass wollte er nicht. Weil er nämlich einen Plan hatte - er wollte sein Leben umkrempeln, ein besserer Mensch werden, für seine Kinder da sein. Insgesamt hat er 13 Jahre durchgehalten.
Als es zu Ende ging, hat Louis uns dann angerufen.
Niemand außer ihm wusste davon, nicht einmal seine Frau und die Kinder, die mit ihm lebten.
Diego wollte erst seinen Plan umsetzen, also die Sache mit dem besseren Menschen, denn das letzte was er wollte, war Mitleid.
Und als es dann soweit war, wollte er mir alles erklären, aber ich habe ihn abgewiesen,
ich habe meinem krebskranken Vater seine 2. Chance verweigert. Durch meine Sturheit habe ich uns um so viele Jahre betrogen - ich hätte meinen Vater zu Lebzeiten kennengelernen können, aber meine eigene Dummheit stand mir im Weg. Uns im Weg.
Manchmal wache ich nachts auf und sehe seine Augen, wie er mich angesehen hat bei unserem letzten Streit. Ich habe ihm den Tod gewünscht, Lyann.
Aber wir haben uns ausgesprochen.
Ich war die ganze Zeit bei ihm bis er nach drei Tagen dann gestorben ist.
Das war vor 3 1/2 Jahren.
Und egal, wie ich ihn behandelt habe, er hat trotzdem über das ganze Gesicht gestrahlt als ich sein  Krankenhauszimmer betreten habe.
Sarahs Stimme zitterte leicht bei den letzten Sätzen.
"Bist du deshalb zurück nach Lissabon?"
fragte Lyann.
Plötzlich kam der Kellner an den Tisch und fragte ob sie noch ein Dessert haben wollten.
Doch beiden war der Appetit vergangen.
"Ja, genau. Ich wollte mich um seinen Nachlass kümmern. Mehr über ihn erfahren, wollte alles regeln. Für meine Brüder da sein. Versuchen meine Schuld wieder gutzumachen."
"Ich würde dich jetzt gerne umarmen, mein Schatz" Lyann nahm Sarahs eiskalte Hand und legte sie an ihre glühende Wange. Auch sie hatte das Gespräch mitgenommen.
"Für mich war klar, dass ich die Geschichte an einem öffentlichen Ort erzählen muss, denn ansonsten hätte ich mich niemals kontrollieren können. Das war alles sehr schwierig für mich damals und ist es auch heute noch.
Ich habe mich immer schuldig gefühlt.
Das ist meine größte Bürde, mein größtes Geheimnis"
Sarah sah die Holländerin zärtlich an.
"Und jetzt weißt du es und das ist ein schönes Gefühl. Es gibt bis auf meine Familie nur zwei andere Menschen, die davon wissen. Felix und Penne. Nicht einmal Sunny oder Anna kennen die Details.
Und da ist noch etwas."
Sarah machte eine kurze Pause und atmete tief durch.
"Ich habe mich dazu entschlossen, die Bodegas zu verkaufen. Louis kann sich nicht um alles kümmern, er ist jetzt 61 Jahre alt und hat mit mir und dem restlichen Geschäft schon genug Stress an der Backe.  Ich müsste jemanden einstellen, der sich komplett um die Koordination und Verwaltung kümmert. Aber jemand anderem als Louis kann ich nicht vertrauen, wenn es um geschäftliche Belange geht.
Und der aktuelle Geschäftsführer hat einen Investorer gefunden, der alle Bodegas kaufen würde - das ist ein Riesenpaket. Entweder verkaufe ich jetzt oder niemals, so eine Chance kommt nicht mehr.
Ich vertröste Louis schon seit Jahren und jetzt bin ich bereit.
Mein Vater hat sie für mich gekauft, er hat sie nach mir benannt. Sie waren immer als Anlage gedacht, von ihrem Erlös kann ich mir jeden erdenklichen Wunsch erfüllen. Diego wusste nicht, wie lange er noch leben würde, als er das Geschäft aufgebaut hatte, aber das war seine Art mir seine Liebe zu zeigen. Anders ging es ja nicht, denn ich war so stur und blöd und wollte mir nicht anhören was er mir zu sagen hatte.
Aber die Galerie, die hat er mir nicht nur als Anlage gekauft, sondern als Lebensaufgabe.
Mir fehlt vielleicht das künstlerische Talent, aber ich hatte schon immer ein Auge dafür. Und mit Pilar habe ich jemanden gefunden, der alles perfekt umsetzen kann.
Diego wusste, dass die Kunst der Schlüssel zu Nano sein würde, denn er würde am meisten unter seinem Tod zu leiden haben.
Um Paco hatte er sich weniger Sorgen gemacht, denn er war ein harter Hund wie er selbst, ein Selbstläufer.
Aber um den sensiblen Nano hatte er Angst.
Wenigstens werden wir alle nie wieder Geldsorgen haben."

Lyann wartete kurz ab, bis sie das Gefühl hatte, dass Sarah erstmal fertig war und dann fragte sie
"Und Louis hatte sich für Diego um alles gekümmert?"
Sarah antwortete:
"Genau. Ohne Louis hätte ich es nicht geschafft.
Mein Vater hat ihm zu 100% vertraut. Und er hat ihm das Versprechen abgenommen, dass sich Louis nach seinem Tod um seine Kinder kümmern würde. In erster Linie um seine Tochter, denn die Bodegas waren nur für mich. Der Rest seines Vermögens, das meiste sind Immobilien und Aktien, wurde akribisch auf all seine anderen Kinder aufgeteilt.
Dazu noch diverse Firmenbeteiligungen. Aber die haben ausschließlich meine Brüder geerbt.
Seine Frau Mercedes,  Nano und Pacos Mutter, hat ausschließlich ihren Pflichtanteil bekommen, denn sie hatte sein Jahren eine Affäre mit einem seiner früheren Geschäftspartner.
Mercedes fand das natürlich nicht so toll und es gab richtig viel Stress danach. Aber das Testament meines Vaters war unanfechtbar, dafür hatte Louis gesorgt.
Willst du die Summe des Erbes wissen und die wahrscheinliche Summe des Erlöses für die Bodegas?"
Sarah sah Lyann mit festem Blick an.
Die schluckte nur und konnte erstmal nichts sagen. Es waren zu viele Informationen in zu kurzer Zeit. Aber Sarah wollte jetzt alles erzählen, Lyann sollte ihre Pläne kennen bevor die Portugiesin am Montag zu Louis gehen würde.
"Du musst mir das nicht erzählen, Sarah. Mir ist das Geld egal, ich habe mich in dich verliebt, bevor ich das alles wusste. Aber ich höre natürlich gerne zu. Ich finde es schön, dass du mir vertraust. "
antwortete die Holländerin und in ihren Augen konnte Sarah die pure Liebe sehen.
"Lyann, ich bin reich, rein theoretisch müsste ich nie wieder arbeiten. Alleine die Zinsen würden für ein sehr gutes Leben ausreichen. Aber durch den Verkauf der Bodegas würde noch einmal eine Riesensumme dazukommen. 
Für den Verkauf müsste ich nach Spanien, es ist noch nicht ganz klar, wann und wie lange.
Ich möchte einen Teil spenden, noch eine Galerie in Paris kaufen und Geld für meine Mutter zurücklegen, ansonsten habe ich aktuell noch keine Idee was ich mit dem Rest machen soll."
Lyann saß einfach nur da, die Worte rauschten in ihren Ohren.
"Schatz, ich finde du solltest es tun, wenn es sich für dich richtig anfühlt, hörst du."
Lyann küsste ihre Hand und lächelte.
Sarah atmete erleichtert auf.
"Wollen wir nach Hause gehen?" fragte sie.
"Lass uns gehen" antwortete Lyann.

Auf dem Weg zum Auto blieb Sarah stehen
und fragte mit tränenerstickter Stimme 
"Siehst du mich jetzt anders?"
Die Holländerin legte ihre Arme um ihre Freundin und drückte sie ganz fest an sich 
"Wie könnte ich? Nein, ich fühle mich dir noch viel näher."

Dann brach die Portugiesin in ihren Armen schluchzend zusammen, Lyann hielt sie einfach nur fest.

7 Tage (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt