Kapitel 32

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P.o.V. Rezo

Mich plagten Gewissensbisse. Mexi hatte mich in sein Herz gelassen, ohne dass ich es gewollt oder beabsichtigt hatte. Er hatte mich sehr nah an sich herangelassen und ich hatte Angst seine Hoffnungen zu enttäuschen. Was wäre, wenn ich nicht das gleich empfinden würde, wenn ich feststellte, dass ich gar nichts empfand. Bis jetzt hatte ich nie auf Jungs gestanden, sie nicht attraktiv gefunden oder etwas von einem gewollt. Diese Welt war neu für mich und ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Gefühle für Mädchen hatte ich schon oft gehabt, ich wusste, wie sich Anziehung und Liebe anfühlten, aber das hier war anders. Keine meiner Empfindungen, die ich für Mexi hatte, ähnelte auch nur ein bisschen diesen Gefühlen. Das verunsicherte mich und machte mir Angst. Also war ich auf dem Weg zu Ju, um mir seinen Rat zu holen. Gestern, als wir zurück bei den anderen gewesen waren, hatte er mir lediglich einen wissenden Blick zugeworfen. Ansonsten war unsere Abwesenheit unkommentiert geblieben.

Lange presste ich das Klingelschild bis endlich der Summer ertönte und ich reingelassen wurde. An der Anlage stand jedoch Lisa, die im Gegensatz zu mir topfit wirkte und einen Stapel Blätter in der Hand trug. „Guten Morgen, was machst du denn hier?"

„Das könnte ich dich auch fragen, obwohl ich mir die Antwort schon denken kann," witzelte sie und zeigte dann auf den Stapel auf ihrem Arm, „ich hab doch ab morgen Urlaub und wollte noch die Akten hier abholen und auf dem Nachhauseweg im Büro vorbeibringen."

„Ach stimmt ja, ist Ju schon wach oder muss ich ihn aus dem Bett schmeißen?"

„Eben war er in der Küche und hat Kaffee gekocht, also sollte er ansprechbar sein. Ich mach mich mal auf den Weg, mein Flieger geht heute Abend."

„Viel Spaß im Urlaub Lisa, ich will auf jeden Fall Fotos sehen," meinte ich noch, bevor sie verschwand.

In der Küche erwartete mich ein sehr verschlafener Ju, an seine Tasse geklammert, die Augen nur halb offen: „Das darf doch nicht wahr sein, wieso kann man denn hier nie in Ruhe seinen Kater auskurieren?"

„Also mir geht es blendend," sagte ich grinsend und nahm mir ebenfalls eine Tasse aus dem Wandregal.

„Du hast ja auch stundenlang mit Mexi rumgemacht, in der Zeit hab ich gesoffen mein Lieber," wies er mich zurecht und grinste dann wissend, „wo wir gerade dabei sind, wie wars denn?"

„Deshalb bin ich hier..."

„Och ne, bitte sag mir nicht das war keine Absicht und du willst nichts von ihm und den ganzen Mist, das haben wir hinter uns."

„Nein nein, keine Angst. Ich brauche nur deinen Rat." Er entspannte sich sichtlich und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, womit er mir bedeutete, weiterzusprechen. „Also es ist nicht so, dass ich es bereue, keinesfalls. Ich habe Angst."

Ju runzelte die Stirn und nahm einen großen Schluck Kaffee, bevor er sprach: „Geht es dabei um Mexi oder geht es um dich?"

„Beides. Er hat sich mir so geöffnet, Gefühle für mich entwickelt und gestern das war... mein Gott sowas hab ich noch nie erlebt. Kein Mädchen kam jemals an das heran. Es hat sich alles richtig angefühlt, jede Kleinigkeit hat gepasst."

„Das freut mich, aber wo liegt dann jetzt genau dein Problem?"

„Ich weiß nicht was ich fühle man. Mit Gefühlen für Frauen kenn ich mich aus, da bin ich quasi Experte drin, aber ich hatte noch nie welche für Männer. Was ist, wenn ich gar keine für ihn habe? Was passiert, wenn ich feststelle, dass ich nur Sex wollte und nichts von ihm will? Das würde ihn zerstören, das könnte ich nie wieder gut machen."

„Hattet ihr Sex?"

„Was? Nein um Gottes Willen, er ist doch keine Tussi, die ich schnell abgeschleppt hab. Bevor wir uns nicht mehr unter Kontrolle hatten, hab ich das Ganze vorsichtig beendet. Normalerweise wäre das nie ein Problem für mich, aber es hat sich falsch angefühlt, irgendwie unwürdig. Man ich verstehe ihn nicht, ich verstehe ja nicht mal mich. In einem Moment ist er so zerbrechlich und verletzbar und im nächsten flirtet er mit mir und macht mich an. Wenn ich ihn anschaue, habe ich das Gefühl nichts und alles falsch machen zu können."

„Da hast du doch schon einen Teil deiner Antwort: Hättest du nur Sex gewollt, wäre dir schätzungsweise ziemlich egal gewesen, wo ihr euch befindet, oder?"

„Kann schon sein, aber wie kann ich mir sicher sein? Keins meiner Gefühle ergibt Sinn, alles ist durcheinander und ich dreh langsam durch."

„Also, damit ich richtig mitkomme: Ihr Zwei habt gestern ziemlich heftig rumgemacht und es hat sich gut angefühlt? Bevor ihr zu weit gegangen seid, hast du es beendet, weil er sich nicht fühlen sollte, wie eine deiner Schlampen? Und seit gestern Abend machst du dir so große Sorgen um seine Gefühle, weil du dir wegen deinen eigenen nicht sicher bist?"

„Genau."

„Hörst du dir beim Sprechen manchmal auch zu?"

„Wie meinst du das?"

„Alter, es ist zu früh für den Scheiß," er trank die Tasse in drei Zügen leer, „du machst dir wesentlich mehr Gedanken darum, wie es ihm geht, als um alles andere. Er bedeutet dir was, ziemlich viel, soweit ich das sehe. Gib dir ein bisschen Zeit, mach dir Gedanken was du willst und wenn es so weit ist, wirst du ganz von selbst bemerken, was du fühlst."

„Bist du sicher?"

„Auf jeden Fall. Du machst jetzt ganz neue Erfahrungen, du musst mit dieser neuen Seite an dir zuerst vollständig akzeptieren und kennenlernen. Mach ihm keine falschen Versprechungen und lass dir Zeit, dann merkst du schon von selbst, wann du so weit bist. Denn wenn du mich fragst, sieht selbst ein Blinder mit Krückstock, dass zwischen euch mehr ist, viel mehr. Ich hab dich noch nie mit jemandem so umgehen sehen."

„Danke, echt ich danke dir, dass du mir immer meinen Kopf zurechtrückst, wenn ich es nötig habe."

„Dafür sind beste Freunde doch da und jetzt mach dir endlich nen Kaffee oder mach mir direkt zwei, ich sterbe gleich."

Blue •rezofyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt