Kapitel 42

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P.o.V. Mexi

Freitagmorgen

„Scheiße, ausgerechnet heute muss ich verschlafen."

Gestresst stolperte ich durch meine Wohnung und schmiss die letzten Kleinigkeiten in meinen Koffer. Wir würden ihn zwar erst später hier einsammeln, aber gepackt sollte er dann trotzdem sein. Mein Blick wanderte zum Waschbecken und ich stellte fest, dass meine Zahnbürste immer noch in ihrem Glas stand, also räumte ich die linke Seite nochmal aus, um sie im Kulturbeutel verstauen zu können.

Da klingelte die Mikrowelle und ich raste in die Küche, um mein provisorisches Frühstück herauszuholen. Es war heiß.

„Ah, verdammter Mist," automatisch nahm ich den Finger in den Mund, um die Verbrennung abzukühlen, was semi gut funktionierte. Hektisch verfrachtete ich die kleine Büchse auf einen Teller und stellte diesen auf den Tisch.

Spätestens in zehn Minuten müsste ich loslaufen, um noch pünktlich ins Büro zu kommen, also sprintete ich zurück in mein Schlafzimmer und checkte ein letztes Mal den Inhalt meines Koffers. Soweit hatte ich an alles gedacht und erleichtert schloss ich den Koffer und zog den Verschluss nach oben. Auf die Rollen gestellt, gab ich ihm einen Stoß, um ihn in den Flur zu befördern. Dort fiel etwas klappernd zu Boden und ich hoffte es war die hässliche Vase, die ich von Tante Karin bekommen hatte. Leider wurde ich enttäuscht, denn auf dem Boden lag nur das Festnetztelefon mitsamt Station. Als ich das wieder aufgestellt hatte, blieben mir noch circa fünf Minuten Zeit, also hastete ich wieder zur Küche, schnappte mir die Büchse, die mein Frühstück hätte sein sollen und warf sie in meine Tasche für die Arbeit. Ein letztes Mal überprüfte ich mein Gepäck, stellte alles in den Flur und schlüpfte dann endlich in meine Schuhe, um gerade noch rechtzeitig die Wohnung zu verlassen. Auf halbem Weg nach unten bemerkte ich mein fehlendes Handy und rannte noch einmal nach oben.

Unten erschlug mich bereits eine brütende Hitze, trotz des frühen Morgens. Ungeduldig wartete ich an der Ampel, dass ich endlich gehen konnte und joggte sofort los, als ich das kleine grüne Männchen sah. Ein infernalisches Gehupe ließ mich nach rechts fahren und das letzte, was ich sah, war ein schwarzer BMW, der mit voller Geschwindigkeit auf mich zuraste. Die Haare der Fahrerin waren blond und sie lächelte.

Von da an war alles schwarz. Einzelne Fetzen von hellem Licht schwirrten herum, Menschen in weißen Klamotten und der stechende Geruch von Benzin.

Mehrere Stunden war ich nun mit meinen Gedanken alleine. Mir war nicht wirklich bewusst, ob ich schlief oder wo ich mich befand, aber es fühlte sich so an, als könnte ich in meinem Kopf herumspazieren. Ganz langsam bildete sich ein langer Gang um mich herum, überall waren Türen und irgendwie sahen alle so aus, wie die von Frau Schildknecht. Schlicht und braun mit kleinen goldenen Schildchen darauf. Die erste direkt neben mir, trug den Titel „Der erste Moment". Neugierig öffnete ich sie und fand mich plötzlich wieder an der lauten Straße, an dem Tag, als ich nach dem Training auf Tim gewartet hatte. Gespannt beobachtete ich die Szene aus einer dritten Perspektive und wartete gespannt auf das, was gleich passieren würde. Da kam er. Rezo ging schnellen Schrittes durch die Menge, sein Handy in der Hand. Gerade als er es wegsteckte, lief er gegen mich, was mich damals furchtbar genervt hatte. Wenn ich da schon gewusst hätte, was er mit meinen Gefühlen anstellen würde, hätte ich ihn dort festgehalten und nie wieder losgelassen.

Nun ja. Ob wir jetzt noch eine Zukunft hatten, war ungewiss. An den Unfall konnte ich mich bruchstückhaft erinnern und das hier war sicherlich kein normaler Traum. Zwar spürte ich meinen Körper, was bedeutete, dass ich nicht tot war, aber leider konnte ich meine Verletzungen nicht ausmachen. War das hier nur die Narkose und ich würde bald wieder aufwachen, umgeben von meinen Freunden? Lag ich im Koma? Fühlte sich so vielleicht sterben an?

Bei einer Tür mit der Aufschrift „Der erste Kuss" blieb ich stehen. An diesem Abend waren wir beide furchtbar betrunken gewesen und ich konnte mich nicht mehr an alles erinnern, also drückte ich die Klinke nach unten und ließ diesen Moment abspielen. Wie ich da stand, vollkommen fertig und Rezo, dem man den Alkohol ansah. Er wirkte verzweifelt, sah mich an und dann kam der Kuss. Wären wir beide nüchtern gewesen, hätte das hier viel eher romantisch sein können, statt der verzweifelten Spannung von beiden Seiten. 

Weiter unten im Gang hörte ich leise Stimmen. Die ganze Zeit war es um mich herum still gewesen, als würde ich allein im Weltall herumfliegen, denn so fühlte sich mein Körper an. Immer lauter konnte ich die Stimmen hören, also beschleunigte ich meine Schritte noch, rannte jetzt den Gang entlang. Noch ein bisschen weiter und dann verstand ich eine Stimme. Die Stimme. Rezo war bei mir, er redete mit jemandem, aber klang seltsam, gar nicht wie er selbst.

„...kann ich hierbleiben?" die Antwort darauf verstand ich nicht, aber dann war es kurz wieder still. Bis ich ihn wieder hörte, jedoch wäre es mir lieber gewesen, wenn es einfach ruhig geblieben wäre. Rezo weinte und nicht nur das, sein Schluchzen fuhr mir durch Mark und Bein so weh tat es mir. Ich wollte zu ihm, ihm sagen, dass es mir gut ging, dass ich hier war und er sich keine Sorgen machen musste. 

„Rezo? Rezo! Ich bin hier, es geht mir gut. Hörst du mich?" aber es kam keine Antwort, stattdessen musste ich mit anhören, wie er vor meinem Bett zusammenbrach.

Von sowas hatte ich bereits gehört. Menschen, die im Koma lagen und trotzdem alles mitbekamen, was um sie herum passierte.

„Koma also..." stellte ich fest und blickte mich um.Irgendwie wäre es mir lieber, wenn ich einfach schlafen und nichts hören würde.  Dann müsste ich jetzt nicht miterleben, wie Rezo weinte. Müsste nicht hören, wie er meinen Namen flüsterte und schluchzend am Boden saß. Ich wollte hier raus. Einfach aufwachen und sein Gesicht sehen, ihm versichern, dass es mir gut ging. Meine Hände pochten gegen die Wände und ich rief, aber niemand half mir.

Blue •rezofyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt