Kapitel 46

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P.o.V. Mexi

Meinen Kopf hatte ich gegen die kühle Steinwand gelehnt. An genau dieser Stelle verstand ich die meisten Wörter und Töne von draußen und es beruhigte mich, dass ich sie hören konnte. Zwischendurch war ich dort eingeschlafen und als ich aufwachte war alles ruhig. Sicherlich war es Nacht geworden und alle waren nach Hause gegangen. Doch gerade als ich aufstehen wollte, hatte ich etwas an meiner Hand gespürt. Jemand drückte sie und hielt sie fest, streichelte sacht mit seinem Daumen darüber. Verwirrt sah ich zu meiner Hand, aber dort war nichts. Das müsste bedeuten, dass jemand dort meine Hand hielt. „Ich lasse dich nicht alleine." Das war Rezo. Er war noch da und er würde nicht weggehen. Fest presste ich meine Hand gegen die Mauer, an der ich eben noch gelehnt hatte.

„Ich bin bei dir, ich lasse dich auch nicht alleine," ich schrei so laut ich konnte, aber er würde mich nicht hören können. Entmutigt ließ ich meine Hand sinken und lehnte meine Stirn gegen den Stein. Danach war nichts mehr zuhören und ich hoffte, dass er Schlaf gefunden hatte. Eigentlich wollte ich diesen seltsamen Gang noch weiter erkunden, aber wie sollte ich diese Stelle wiederfinden? In meinen Taschen befand sich nichts und auch um mich herum gab es nichts mit dem ich etwas hätte markieren können. Da zog ich einfach meine Schuhe aus und stellte sie genau dort hin. Der Boden war glatt und eben, ich würde sie erstmal nicht brauchen.

Viele der Türen schienen uninteressant, Momente, die noch gut in meinem Gedächtnis waren oder Szenen, an die ich mich lieber nicht mehr erinnern wollte. Weiter unten hatte viele Türen nur noch Daten und keine Bezeichnungen mehr auf den Schildern. Hier und dort erkannte ich ein Datum wieder, musste lachen oder ging ganz schnell vorbei, doch vor einer Tür blieb ich stehen.

21.06.2019

Wie konnte es sein, dass diese furchtbare Erinnerung hier war. Aus meinem Kopf hatte ich sie schon lange verdrängt, dachte ich zumindest. Irgendwie konnte ich dem Drang nicht widerstehen und öffnete die Tür.

Es war dunkel. Der Mondschein fiel durch die kleinen Schlitze der Rollladen auf ein Bett. Dann wurde die Tür geöffnet und ich selbst betrat den Raum. Mit mir fielen helle Lichtstrahlen in den Raum und offenbarten die Szene auf dem Bett. Elias, mein Ex-Freund und ein anderer Typ hatten Sex in dem Bett, in dem ich jeden Abend geschlafen hatte. Mehr konnte ich mir nicht mehr ansehen. Den Rest der Unterhaltung kannte ich, monatelang war sie Wort für Wort in meinem Kopf hoch und runter gelaufen, während ich versucht hatte mein Leben wieder einigermaßen auf die Reihe zu bekommen.

Meine sowieso mäßige Stimmung war noch wesentlich schlimmer geworden. Eine ganze Weile ging ich in eine Richtung und warf nur noch ab und an einen Blick auf die Türen. Verging die Zeit hier eigentlich schneller, langsamer, gleich schnell? Nirgendwo hier hingen Uhren und mein Zeitgefühl hatte ich verloren, seit ich hier war. Mittlerweile könnten Stunden oder Tage vergangen sein. Panisch drehte ich mich um und rannte in die entgegengesetzte Richtung. Oh Gott ich war viel zu lange gelaufen, wann war ich endlich wieder da? Gerade als meine Lunge drohte den Dienst einzustellen, sah ich sie. Meine schwarzen Sneaker standen noch an der gleichen Stelle wie vorher. Kurz hatte ich Angst gehabt sie wären vielleicht verschwunden. Endlich war ich da und konnte tief durchatmen. Komisch, dass man in seinem eigenen Kopf außer Atem kommen konnte.

Da waren tatsächlich Stimmen, mehrere Menschen unterhielten sich leise und ich drückte mein Ohr an die Wand um ein paar ihrer Worte aufschnappen zu können. Es waren meine Eltern und sie sprachen mit jemandem, mit zwei Personen. Da war die Stimme von Jasmin und die von Rezo, aber ich verstand nicht, was sie sagten. Kurz war es ruhig, dann hörte ich die Stimme meiner Mutter viel näher und deutlicher.

„Mein Schatz, was machst du nur immer für Sachen."

„Frag das lieber mal die beknackte Autofahrerin, die mich umgenietet hat."

„Wir haben deinen Freund kennengelernt weißt du. Er ist ja so ein netter und er macht sich furchtbare Sorgen um dich."

„Meinen Freund?" Bei meinem letzten Besuch hatte ich ihr zwar von Rezo erzählt, jedoch nichts erwähnt, was sie vermuten lassen könnte, dass wir zusammen waren. Das musste bedeuten, dass-

„Rezo hat es ihr erzählt- er hat- ihnen gesagt, dass er mein Freund ist..." Tränen schossen aus meinen Augen und ich konnte sie nicht stoppen. Er hatte meinen Eltern erzählt, dass er mein Freund war. Er hatte sich entschieden. Für mich.

„Ich glaube du hast endlich einen guten Mann gefunden. Jasmin hat gesagt er hat die ganze Nacht an deinem Bett geschlafen und deine Hand gehalten."

„Ich weiß Mama, er ist der Beste," antwortete ich, obwohl sie mich nicht hören konnte. Jetzt wurde ich wütend. Wann könnte ich endlich aufwachen und hier raus. Ich wollte wieder aufwachen, wollte ihm einen Kuss geben und ihm endlich sagen, wie sehr ich ihn liebte.

„Lass mich hier raus verdammt! Ich flehe dich an, bitte lass mich aufwachen."

Niemand antwortete mir und bis auf die Stimme meiner Mutter, die jetzt leise mit meinem Vater sprach, war nichts zu hören.

Nach einer gewissen Zeit lehnte ich mich wieder gegen die Wand und lauschte den Stimmen, die manchmal durchdrangen. Stunden später, zumindest vermutete ich das, war das warme Gefühl in meiner Hand zurückgekommen und ich wusste, wer sie hielt. Das brachte mich erneut dazu ein paar Tränen zu vergießen und ergebnislos gegen die Wand zu schlagen. Mit dem Gefühl von seiner Hand in meiner schlief ich schlussendlich ein.

Geweckt wurde ich von heftigen Kopfschmerzen, die von innen gegen meine Schläfen pochten. Außerdem durchfuhr mich ein grausamer Schmerz, wenn ich meinen linken Arm anhob oder bewegte. Erst nachdem ich mich ein paar Minuten darüber aufgeregt und beschwert hatte, fiel mir ein, dass ich meine Verletzungen spürte. Meinen Körper nahm ich auch wesentlich bewusster wahr.

„Vielleicht wecken sie mich endlich auf." Gerade wollte ich mich hochstemmen, da wurde mir schmerzlich bewusst, dass ich mir den Arm gebrochen haben musste, denn genauso hatten sich meine letzten Knochenbrüche auch angefühlt. Die Kopfschmerzen ließen mich schwarze Punkte sehen und ich blieb lieber sitzen, statt einen neuen Versuch zu unternehmen aufzustehen. 

„Endlich nach Hause," flüsterte ich vor mich hin, „Rezo ich komme endlich nach Hause."

Blue •rezofyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt