An Sonntagen fühlt sich alles unwirklich an. Irgendwie paradox.Als ob das erstarrte Flattern deines Herzschlags nicht mehr mit dem gleichmäßigen Ticken des Sekundenzeigers übereinstimmt.
Unregelmäßige Abstände.
Ein kaputtes Uhrwerk.
Alles rast in sekundenschneller Zeitlupe um dich herum und es fühlt sich an, als hättest du in wattegepackte Steine geschluckt, die nun federleicht in deiner viel zu schweren Brust liegen.
Du kannst sie noch schmecken. Kalte, erdige Felsbrocken, die deinen Rachen hinunterrollen und dir deine Knochen von innen brechen. Die klebrige Masse aus Zuckerwatte spannt sich wie Spinnweben darüber und macht ein schmerzhaftes Wieder-Hochwürgen unmöglich.
Alles was danach noch kommt, hinterlässt einen metallischen Geschmack und du fragst dich, ob man in einem Meer aus seinem eigenen Blut ertrinken kann.
Nun treibst du herum, in dieser zähflüssigen Masse aus tiefem Rot, die jede deiner Bewegungen lähmt, während alles in atemraubender Geschwindigkeit an dir vorbeifließt und du hast verlernt, wie man mit dem Strom schwimmt.
Und du weißt nicht, was am meisten wehtut; deine aufgeschlitzte Kehle, die es unmöglich macht nach Hilfe zu schreien, deine mit Blasen gezierten Handflächen, vom vergeblichen Versuch die rasende Zeit festzuhalten oder dein Herz, von der Erkenntnis, dass es mit dir oder eben auch ohne dich weitergeht.
Die viel zu laute Stille, die dich umgibt, brüllt dich an bis dein Trommelfell platzt und dir damit erbarmungslos auch diesen Sinn raubt.
Stumm, taub und gebrochen, gefangen in einem Paradoxon, irgendwo zwischen Raum und Zeit.
Unendliche Weite aus Nichts, bis zum Rand gefüllt mit Platzangst.
Unmöglich möglich zu entfliehen.
Jeder klägliche Atemzug der für eine Sekunde deine zerknitterte Lunge mit Luft füllen soll, verfängt sich irgendwo zwischen Luftröhre und Brustkorb und führt zu diesem drückenden Ziehen, das du selbst in deinen Zehen noch fühlen kannst. Ganz so, als würde dein ganzer Körper, aus purer Verzweiflung und zum Kampf ums Überleben, versuchen für dich zu atmen.
Doch Sauerstoff ist nicht gleich Sauerstoff, wenn er so sauer und wütend auf das Scheitern deiner Existenz scheint, dass du mehr Giftstoffe einatmest, als die gebrochenen Flügel deiner Lunge heraus filtern können.
Sie würden so gerne fliegen. Und dich davontragen. Um dich vor dir selbst und dem roten Ozean deiner Überreste zu retten.
Aber mit gestutzten Flügeln lässt es sich nunmal nicht fliegen.Dir bleibt nichts Anderes übrig, als dort zu bleiben, wo du jetzt bist. Mitten auf dem Schlachtfeld im Krieg zwischen dem was du bist und dem was du sein solltest.
In deinem Inneren verwandelt das eiskalte Feuer alles in Schutt und Asche und der glühende Schneesturm vergräbt die jämmerlichen Überreste unter blutrotem Weiß.
Der Sekundenzeiger vollendet die 79ste Sekunde. Es schlägt 34 Uhr.
Nichts macht noch einen Sinn.
Alles um dich herum atmet und bebt und läuft und schwebt und lacht und nur du hast verlernt, wie man das mit dem Leben gleich nochmal macht.
Und kurz bevor dir zu guter Letzt auch noch deine zuckersüßen Tränen die Haut wegätzen, zwingt dich dein Unglück zu einem schallenden Lachen mit nach unten gezogenen Mundwinkeln und deine gebrochenen Beine tragen dich rückwärts von dir selbst hinfort.
Und das einzige was du tun kannst, ist Zusehen und zum Abschied winken.
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Gedankenmut
PoetryIn der Welt, in der wir leben, gehen Gedanken verloren. Sie gehen verloren, weil wir sie nicht denken wollen. Manche Gedanken sind unartig, manche sind verboten, manche unerwünscht. Wir wollen sie nicht denken. Dürfen nicht. Haben keine Zeit dafür...