Nichtankommend

156 11 0
                                    


„Mama, sehe ich hübsch aus?"

„Ja mein Schatz, das tust du."

So einfach ging das früher. Ja, ich sehe hübsch aus. Wann war das das letzte Mal dein Gedanke?

„Papa, mein blauer Stift ist kaputt." Weinend.

So lautete das Problem von damals. Und in der gleichen Woche noch erhielt man ein komplettes Set mit neuen Farben. Wahrscheinlich noch viel größer und schöner als das alte gewesen ist.

Und so malte man drauf los. Einfach was einem in den Sinn kam.

Du wolltest rosa Wolken? Dann waren die Wolken eben rosa. Und wenn du draußen warst und die Käfer und Ameisen die du beobachtet hast mit dir reden konnten, dann konnten sie eben reden. Warum auch nicht?

Wer hat uns beigebracht, dass Käfer und Ameisen eben nicht reden können? Dass die Wolken nur dann auch wirklich rosa sein können, wenn du so viel Glück hast, dass die Sonne früh am Morgen oder spätabends ihr Licht im genau richtigen Winkel darauf fallen lässt?

Warum fragst du nicht mehr, wann ihr denn endlich ankommt? Du kannst auch heute nicht stillsitzen, aber daran liegt es nicht.

Wir sind immer unterwegs. Wir kommen nicht an.

Eine frische Liebe, ein erreichtes Ziel, ein tiefgründiges Gespräch spätnachts mit einem sehr sehr guten Freund. Alles kann sich anfühlen wie ankommen. Für einen kurzen Moment. Vielleicht für zwei.

Aber das was danach kommt, bringt dich ins Schwanken. Und um das Gleichgewicht zu halten, machst du einen Schritt. Manchmal nach vorne, manchmal zurück. Und plötzlich gefällt es dir gar nicht mehr, wie du gerade stehst.

Warum? Fragst du dich vielleicht. Du stehst doch nur ein paar Zentimeter von deinem alten Platz entfernt. An dem es dir doch so unglaublich gut gefallen hat.

Aber es ist nicht mehr das gleiche. Also machst du noch ein paar Schritte. Nach links, nach vorne, wieder nach rechts. Aber vergeblich. Den alten Platz findest du nicht mehr.

Also läufst du erneut los. Wie lang du diesmal laufen wirst, weißt du noch nicht. Es ist ganz unterschiedlich.

Anfangs ist es ungewohnt zu laufen. Du standst schon viel zu lang. Du hattest zu lang die gleiche Aussicht.

Doch dann irgendwann findest du vielleicht Gefallen daran. Dir gefällt was du siehst. Rosa Wolken. Und Ameisen, die mit dir reden. Vielleicht.

Doch mit dem Laufen kommt die Müdigkeit. Es ist anstrengend. Nicht anzukommen.

Aber das Leben allgemein ist das. Anstrengend. Die Leichtigkeit, die du einmal hattest. Und das obwohl dein blauer Stift kaputt war. Sie ist weg.

Deine Mama sagt dir immer noch, dass du hübsch bist. Der Unterschied ist, du glaubst es ihr nicht mehr.

So leicht ist es nicht mehr.

Du rennst nicht mehr barfuß über Steine zu deiner besten Freundin und zeigst ihr das tolle Blatt das du gefunden hast.

Du läufst so dahin. In den Schuhen die man dir gegeben hat. Manchmal drückt ein Stein, manchmal musst du sie neu binden.

Und das Blatt, das du so stolz in deinem Zimmer aufbewahrt hast. Es ist schon lang vertrocknet. 

GedankenmutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt