25. Gesetze und Versprechen

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Nachdem ich wieder oben in meinem Zimmer angekommen war, atmete ich einmal tief durch und ließ meine Flügel erscheinen. Ich konnte bemerken, wie sie unruhig zuckten und meiner inneren Unruhe Ausdruck verliehen. Ich wusste nicht, was ich als Erstes machen sollte; es gab so viele wichtige Dinge zu tun. Deshalb tat ich das einzig Richtige, das es in dieser Situation zu tun gab.

Entschlossen ging ich auf meinen Kleiderschrank zu und holte zwei Schals heraus, die ich ohnehin nicht mehr anzog. Sie waren aus rotem und cremefarbenem Stoff und super weich. Diese durften auf einem Regalbrett, das auf Augenhöhe war, in meinem Bücherregal einziehen. Dafür musste leider eine kleine Pflanze weichen, welche ich als Deko dort neben meine Lieblingsbücher gestellt hatte. Die beiden Schals nestelte ich zu einem Körbchen zusammen, in das sich Ophelia bequem hineinlegen konnte.

Nachdem ich die kleine Pflanze auf meinen Schreibtisch gestellt hatte, musste ich der Realität seufzend ins Auge blicken. Es würde mir nur Stress bringen, wenn ich die Arbeit noch länger aufschob. Mit einem letzten bedauernden Blick auf die Bücher in meinem Regal, die ich so viel lieber lesen wollte, schnappte ich mir eines von dem Stapel auf meinem Schreibtisch. Zwei unserer Boten mussten diese vorhin, wie vor meiner Abreise aus Lorem Ipsum besprochen, hier hergebracht haben. Es graute mir schon jetzt, manche der Bücher waren so dick, dass ich sie nicht mehr in eine Hand nehmen konnte.

'Verordnung zum Eingreifen von Schutzengeln bei Schutzbefohlenen

Den Asquiaet der Schutzengel ist es nicht mehr verboten, ihre wahre Natur zu zeigen, wenn für ihren Schutzbefohlenen unmittelbare Gefahr besteht. Dazu gehören schwere Traumata nach GFDUMM (Gesetze für den Umgang mit Menschen) Artikel 1 §8a und lebensbedrohende Zustände und Situationen nach GFDUMM (Gesetze für den Umgang mit Menschen) Artikel 5 §7.

Des Weiteren ist es ihnen erlaubt, auch mit größeren Zaubern in das Leben ihrer Schutzbefohlenen einzuwirken, wenn diese das Leben des Schutzbefohlenen erheblich verbessert. Dies ist der Fall, wenn ...'

Mit einem tiefen Atemzug rieb mir die Augen. Ich hatte mir definitiv einiges vorgenommen, das wurde mir aber erst jetzt klar. Ich dachte, ich konnte einfach die neuen Gesetze zur Verbergung unserer wahren Natur aufheben, doch ich musste, wenn ich dies komplett durchsetzen wollte, so viele andere Dinge bedenken und ändern. Frustriert ließ ich meinen Kopf auf die Tischplatte fallen; wenn ich noch einen weiteren Paragrafen lesen müsste, würde vermutlich mein Kopf explodieren. Fast sofort zog sich der Schmerz durch meine Schläfen.

Diese ganze Sache war sehr viel komplizierter als gedacht. "Also ich würde einen Kampf gegen die Beißer ja vorziehen." Erschrocken zuckte ich zusammen und drehte mich in Richtung der Stimme. Daryl stellte seine Armbrust neben meinem Kleiderschrank ab. "Ja, das hier wird mich, das letzte bisschen Nerven kosten, das ich noch habe. Ich habe immer unterschätzt, was Evan alles zu tun hatte. Kein Wunder, hatte er nie Zeit für irgendetwas." Nicht dass ich jemals gedacht hätte, es besser zu können als er, aber ich hätte nicht gedacht, dass die Last noch größer sein könnte, als ich es mir ausgemalt hatte.

Daryl musterte mich eingehend. Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass ich ihm meine neuen Flügel zum ersten Mal von nahem zeigte. Zwar waren sie derzeit eng an meinen Rücken angelegt, doch die neue Farbe und die unglaubliche Größe ließen sich auch so nicht leugnen. Es war mir ein wenig unangenehm. Wir kamen nicht dazu, über dieses Thema zu reden, und auch wenn er vorhin klargemacht hatte, dass er mich liebte und noch immer etwas für mich übrig hatte, war es seltsam, jetzt, wo ich so ganz anders aussah. In mir kam das Gefühl auf, dass ich die Flügel verbergen sollte, doch ich wollte mich nicht verstecken, deshalb zwang ich mich dazu, gegen den Drang anzukämpfen. "Maggie sagt, dass Ophelia bei Neo und Samantha eingeschlafen ist." Mit einem kurzen Nicken drehte ich mich wieder meinem Schreibtisch zu und klappte die ganzen Bücher zusammen und stapelte meine Notizen sauber übereinander.

Am Rascheln der Klamotten konnte ich erkennen, dass Daryl mir näher kam, doch kurz bevor er direkt hinter mir stand, blieb er unschlüssig stehen. Nachdem ich alles zusammengeräumt hatte, drehte ich mich wieder zu ihm um. Ein wenig überrascht war ich trotzdem, als ich bemerkte, wie dicht er auf einmal vor mir stand. Mich überkam ein kurzes Déjà-vu, als er die Hand ausstreckte und seine Fingerspitzen über die nun silberne Feder streicheln ließ. Ein leichter Schauer überkam mich bei der Erinnerung daran. "Deine Augen sehen aus wie frisch geschmolzenes Silber."

Seine Finger suchten sich ihren Weg von meinen Flügeln, über meinen Rücken, meinen Hals und blieben schließlich auf meiner Wange liegen. "Ja, das kommt von meiner Position als Lisix. Ich finde es noch immer seltsam zu sehen", gestand ich. Zwar war mir der Anblick nicht mehr völlig fremd. Doch mitunter war es noch immer ungewohnt. "Das kann ich verstehen. Doch du siehst noch immer wunderschön aus." Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen blickte ich ihm in die Augen. Er war heute überraschend offen und mir fiel ein, dass ich ihm noch eine Antwort von vorhin schuldete. "Ich habe dich vermisst, Daryl." Langsam ließ ich meine Finger durch seine langen braunen Haare gleiten. "Ich liebe dich."

Sein Lächeln konnte ich nur noch spüren. Ich wusste nicht, wer von uns beiden näher gekommen war, vielleicht waren wir es auch beide gewesen, doch ich ließ mich völlig in diesen Kuss fallen. Der Kuss wurde schnell stürmischer, gezeichnet von all der Zeit, die wir getrennt waren. Meine Hände rutschten zum Kragen seines Hemdes und hackten sich ein. Seine Hände wanderten unter mein Oberteil und streichelten über die nackte Haut. Sofort breitete sich eine angenehme Gänsehaut auf meinem Körper aus. "Mach das nie wieder", murmelte er zwischen zwei Küssen.

Er nahm meinen dünnen Pullover mit beiden Händen und zog ihn mir mit einer fließenden Bewegung über den Kopf. "Nie wieder", schwor ich ihm, als ich meine Lippen von seinen lösen musste, als der Pullover meinen Kopf passierte. Ich half ihm seinerseits aus seinem Hemd, wobei ich mit meinen Händen seinen Oberkörper erkundete. Liebevoll strich ich über seine Brust runter in Richtung seiner Hüften.

Mein Gedankenkarussell, das mich seit meinem Erwachen im Haus meiner Kindheit plagte, stoppte. Meine ganze Konzentration richtete sich auf Daryl und seine Hände auf meinem Körper und seinen Lippen auf meinen.

The Angel Who Watches Over MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt