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Kapitel 35

Zendayas pov:

Es klingelt an der Tür.

„Zen, machst du mal bitte auf!“, ruft meine Mom aus der Küche.

Sie ist gerade dabei, Abendessen zu kochen, was wirklich selten geschieht. Sie hasst kochen, weil es sie so sehr an meinen Dad erinnert.

Er war ein guter Koch. Ich vermisse es, wie er - wenn er mal zu Hause war - für uns gekocht hat. Manchmal haben mein Bruder und ich ihm geholfen, einmal hat sogar meine Mom mitgemacht, aber wir waren alle nicht mal halb so gut wie er. Außer Leon. Er hat vieles von ihm gelernt und nun das Restaurant eröffnet, was unser Dad immer geplant hatte.

Ich laufe zur Haustür und öffne sie. Vor mir steht ein schwarzhaariger Junge, einen Kopf größer als ich, lässiger Style und gute Figur. Auf seinem Rücken trägt er einen grauen Rucksack und neben ihm steht ein dunkelblauer Koffer.

Perplex blinzel' ich mehrmals.

Das kann doch nicht sein. Dexter sollte in Australien sein. Was also tut er hier?

„Dexter?“, frage ich fassungslos nach.

Er fängt an zu grinsen, wobei seine blauen Augen zu leuchten beginnen.

„Ich dachte mir, ich komme mal vorbei und sehe nach, wie es meiner Freundin so geht“, meint er und kommt dabei auf mich zu.

Er zieht mich in eine feste Umarmung und zerdrückt mich dabei fast.

Ich schließe ebenfalls meine Arme um ihn und atme seinen vertrauten Geruch ein. Wir haben uns bestimmt ein halbes Jahr lang nicht gesehen und auch, wenn wir viel geschrieben und ab und zu auch mal telefoniert haben, habe ich ihn schon sehr vermisst.

„Musst du nicht in die Schule?“, hake ich verwirrt nach.

„Wir haben doch gerade Sommerferien. Schon vergessen? Ich hatte dir doch schon erzählt, dass wir in Neuseeland waren.“

Mal wieder habe ich vergessen, dass in Australien die Jahreszeiten anders sind. Während wir Winter haben, versinkt sein Land in Sommer, Sonne, Sonnenschein.

„Zuerst habe ich überlegt, ob ich Bescheid sage, dann dachte ich aber, ich müsste dich überraschen und hab doch nichts erzählt. Deine Mom wusste davon, schließlich muss sie ja wissen, dass sie diese Woche für eine Person mehr sorgen muss“, erklärt er.

Ich schüttel' den Kopf, bevor ich Dexter ein glückliches Lächeln schenke und ihn mit ins Haus nehme.

„Hey, du kannst ja doch noch lachen. Ich habe dich schon ewig nicht mehr fröhlich gesehen“, freut er sich.

„Wir haben uns auch schon ewig nicht mehr gesehen“, lenke ich vom Thema ab.

Mir ist es unangenehm, darüber zu sprechen, dass es mir besser geht. Auch wenn es ein paar Leute glücklich macht, mich so zu sehen, möchte ich nicht die ganze Zeit darauf angesprochen werden.

Ich weiß selbst nicht, was los ist, dass es mir im Moment so gut geht. Ich denke, Luca hat etwas in mir verändert. Seit den vielen Dingen, die sich am Donnerstag ereignet haben, sind wir uns näher gekommen. Wir haben oft geredet und ab und zu auch mal gelacht. Einmal hat er mich sogar umarmt und jeden Tag macht er mir Komplimente. Außerdem spricht er weder mit Timo, noch mit Jeffrey oder David. Er hat sich nun vollständig von den Dreien abgewandt und zeigt ihnen ganz klar, was er von ihren Aktionen hält. Es macht mich wirklich glücklich, ihn so zu sehen und zu wissen, dass jetzt vermutlich einiges besser wird.

„Da hast du recht. Aber genau deswegen bin ich hier. Wir müssen alles nachholen, was wir das letzte halbe Jahr verpasst haben. Und zwar nicht nur, indem wir gemeinsam etwas unternehmen, wir müssen auch reden. Ich habe dir so viel zu erzählen. Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber in meinem Leben ist einiges passiert, von dem du noch nicht weißt“, reißt mich Dexter aus meinen Gedanken.

„Ja, wir haben vieles zu besprechen. Aber erstmal gibt es Essen. Meine Mom kocht gerade, in der Zeit können wir dein Bett machen und uns einen Film für danach raussuchen, wenn du Lust hast.“

Aufgeregt nickt er und folgt mir nach oben in eins der Gästezimmer, direkt neben meinem.

***

„Zeig sie an“, meint Dexter.

Wir haben es uns auf meinem Bett gemütlich gemacht, einen Film geschaut und reden nun über Gott und die Welt.

Dexter hat mir alles von seiner neuen Freundin erzählt. Nachdem er vor einem Jahr mit Finnley Schluss gemacht hat, lernte er Olivia kennen. Sie baute ihn nach der Trennung von seinem vermeintlichen Traummann wieder auf, die beiden kamen sich näher und fingen schließlich an, sich zu daten. Und inzwischen sind sie zusammen und so, wie Dexter von ihr erzählt, muss sie wirklich toll sein.

Als er fertig war, von dem Mädchen zu schwärmen, war ich dran mit Erzählen. So viel gab es nicht und eigentlich wollte ich auch nicht reden. Es ist schwer, weil es mir peinlich ist. Ich habe Angst, dass die Leute mich deswegen auslachen, also sage ich lieber nichts. Aber Dexter kennt mich mittlerweile gut. Er weiß, wann mir etwas auf dem Herzen liegt und kann auch gut damit umgehen. Er drängt mich zu nichts, bekommt es aber trotzdem immer wieder hin, mich zum Reden zu bringen.

„Ich kann sie doch nicht einfach so anzeigen. Wegen was denn auch? Es gibt nicht mal Beweise“, winke ich ab.

Ich habe Dexter von Timo, Jeffrey und David erzählt und nun möchte er, dass ich sie anklage.

„Sexuelle Belästigung. Gewalt. Entführung.“

Unsicher spiele ich an meiner Unterlippe rum. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Dexter hat recht, keine Frage, aber kann ich das wirklich tun. Mir wird vielleicht niemand glauben oder die Leute halten mich für komisch. Und was werden die drei Jungs tun, wenn sie davon erfahren? Aber am meisten Angst habe ich vor Lucas Reaktion. Er steht mittlerweile hinter mir, aber was würde er davon halten, wenn ich seine ehemaligen besten Freunde anzeige. Ich kann und will ihn nicht verlieren. Er ist der Einzige, den ich auf der Schule habe und nach dem, was am Donnerstag passiert ist, kann ich sowieso nicht mehr ohne ihn.

„Du musst sie anzeigen, Zen, sonst ändert sich nie was“, redet Dexter auf mich ein.

Er hat recht. Wenn ich nichts tue, hört es niemals auf und ich kann nicht glücklich sein. Und Luca wird ja wohl weiterhin für mich da sein.

Hoffe ich jedenfalls.

Shit happensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt