Kapitel 06 - Domina ✓.

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Dienstag.
Als ich mein Büro betrat, saß Dad bereits in meinem Stuhl und sah mich mit erhobener Augenbraue an, als er mein knappes Outfit bedachte. »Wo warst du gestern?« Er sah sich um, als wäre er der Hygiene Kontrolleur oder wie auch immer das hieß. Abschätzend und missbilligend.
»Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.« Antwortete ich, während ich Tasche und Jacke seelenruhig zu ihren Plätzen beförderte. Dann blieb ich angelehnt im Türrahmen sehen und verschränkte meine Beine. »Also, warum bist du hier, Dad? Willst du wissen, was passiert ist? Denn wo ich war, sollte dir klar sein.«
Er strich sich durch die Haare, schloss einen Moment die Augen, stützte die Hände auf den Tisch ab und erhob sich. Blieb über dem Stuhl stehen und sah mich eindringlich an. »Scarlett. Sag es einfach.«
Ich stieß mich vom Türrahmen ab und kam nur kurz vor ihm, zwischen uns der Tisch, stehen. »Was willst du hören? Das alles einwandfrei funktioniert hat? Keine Ahnung, ob die Loser uns noch weiter nerven.«
Dad runzelte die Stirn. »Wen meinst du genau mit den ›Losern‹? Sind es die, die ich denke, dass es sind?«
Schulterzuckend ließ ich ihn wissen. »Keine Ahnung, was du denkst, Dad. Mit den Losern meine ich jedenfalls Tomathy, Mattias und Erkan. Ich habe mich mit Julian unterhalten. Leider konnte ich daraus nichts Wichtiges entnehmen.« Dass ich auch meine Schwester und Julians Bruder beim Sex erwischt hatte, ließ ich jetzt mal elegant weg. Ich respektierte die Entscheidung, dass sie es ihnen selbst erzählten. Doch lange würde ich das ihnen nicht durchgehen lassen. Würden sie zu lange warten, würde ich das übernehmen. Ich war nicht für meine Geduld bekannt. Dad würde es sicherlich nicht gefallen, dass seine Tochter mit einem seiner Feinde zusammen war. Oder ... Feinde war untertrieben. Spannungen traf es wohl besser.
»Sonst noch etwas?« Seine Blicke bohrten sich in meine Augen.
Ich lächelte zuckersüß. »Wenn du an Klatsch und Tratsch interessiert ...«
»Lass stecken, Scarlett. Und räum hier mal auf.« Damit lief mein Möchtegern von Vater an mir vorbei und aus dem Büro. Aufräumen. Das hätte er früher sagen müssen. Jetzt war es dafür etwas zu spät. Ich sah mich um. Vielleicht war das nicht das aufgeräumteste Büro, doch ein wenig unperfektion tat auf jeden Fall gut. Jedenfalls, wenn man bei meinem Dad aufgewachsen war. Perfektionistisch bis ins winzigste Detail.
Gerade wollte ich nach meiner süßen, neuen Sekretärin rufen. Bevor ich dazu kam, hörte ich dir Stimme meines Vaters und wurde misstrauisch.
»... Gehen.«
»Danke für das Angebot. Aber nein Danke.« Hörte ich meine Kätzchen entschlossen sagen. Doch ich hatte die Stimme meines Vaters erkannt. Offenbar hatte er versucht, Josephine durch Geld von ihrem Arbeitsplatz zu bringen. Verfickte Scheiße! Doch sie war nicht darauf eingegangen. Das war das wichtigste. Trotzdem schäumte ich vor Wut, als mein Vater verschwand und ich zu meinem Kätzchen herüberging.
Überrascht wandte sie den Kopf zu mir, als sie mich hörte. Ich stand mitten im Raum, sie hatte sich zu einem Regal hinter dem Tisch gedreht, sah mich jetzt aber an. »Gibt es etwas?« Anscheinend wusste sie nicht, dass ich den letzten Teil der Unterhaltung mitangehört hatte. Auch wenn es mich wunderte, dass sie nicht in den Deal meines Dads eingegangen war. Sicher hatte er ihr viel Geld geboten, damit sie kündigte. Doch sie war nicht darauf eingegangen. Und mir war klar, dass das nicht an ihrer Loyalität lag, denn egal wie sexuell anziehend sie mich fand, dafür kannten wir uns noch zu wenig. Es musste also einen anderen Grund haben. Einen eigennützigen, wie ich vermutete.
Allerdings ließ ich dieses Thema erst mal so im Kopf stehen und sagte stattdessen das erste war mir einfiel, was zum Glück der Wahrheit entsprach. »Am Mittag um eins treffe ich mich mit einem wichtigen Mann in einem Restaurant. Ich will, dass Sie mitkommen.«
Sie sah mich einen Moment stumm an, dann antwortete sie etwas verzögert. »Natürlich ...« das letzte Wort fügte sie dann eher zögerlich hinzu. »... Chefin.«
Ich trat nah an sie heran. Sie hatte sich wieder in ihren Stuhl gesetzt. Vor ihr stüzte ich meine Hände auf dem Tisch ab, lehnte mich zu ihr, betrachtete intensiv ihr Gesicht und raunte dann in vertraulichem Ton. »Ich gehe davon aus, dass du danach auch noch Zeit hast.« Ich ließ es weniger nach einer Frage, als einer Feststellung Klingen.
Ihr Adamsapfel bewegte sich nervös, als sie laut schluckte und auf ihre Unterlippe biss, außerdem ihre Finger hektisch ineinander verschränkte. Das alles bemerkte ich, während ich auf eine Antwort wartete. »Äh ... ja.«
Ich lächelte breit. »Großartig.« Dann fuhr ich herum und stiefelte aus ihrem kleinen Sekretärinnenbüro.
Als ich wiederum in mein Büro trat, sank meine Laune augenblicklich, als ich wieder über Dad nachdachte. Und das nicht im positiven sinne. Immerzu spielte er sich auf und versuchte, mich zu untergraben. Meine Autorität in dieser Firma, mein Geschick und einfach alles. Und dann, indem er mich als Laufbursche schickte, wurde ich nur weiter heruntergesetzt und gedemütigt. Aber so lief das Spiel schon seit Jahren. Er versuchte, mich schlechter dastehen zu lassen, als ich war. Und so zu tun, als wäre ich nur dort, weil ich seine Tochter war und nicht weil ich hart daran gearbeitet hatte, so weit zu kommen.
Schon lange hatte sich ein Plan verfestigt und langsam, langsam nahm er Konturen an. Ich brauchte nur noch eines: Verbündete. Alles andere hatte ich. Zwar hatte ich schon in der Firma viele, die mir loyal waren, doch es ging nicht nur um die Mitarbeiter, sondern auch andere Firmeninhaber. Die Loser konnte ich schon mal streichen. Niemals würde ich mich mit ihnen zusammenschließen. Sie waren ein Anfängertrupp und außerdem hatten sie sich die Eylies zum Feind gemacht. Ich brauchte keine unnötigen Feinde. Doch als Verbündete kamen die Eylies genauso wenig infrage. Sie waren weder eine Firma, noch loyal, außer sich selbst und das brachte mir absolut nichts. Sie waren starke Verbündete, aber eben auch gefährliche. Und wie schon erwähnt, sie waren nicht mal eine Firma. Dafür hatten sie aber viel zu sagen. Sie waren gefürchtet, mit allen Wassern gewaschen und das, was sie sagten, taten sie auch. Ihre Worte waren keine Leeren.
Ich strich mir durch die Haare. Freiland Begger, mit dem ich mich heute treffen würde, wäre zwar ein Verbündeter, aber kein sonderlich starker. Mir vielen noch weitere ein, doch es waren zu wenige. Ich wollte Dad nicht töten. Nicht, weil ich mich nicht traute, sondern weil das einfach nur noch eine altmodische Variante war. Die glanzvollere Leistung war es, ihn aus der Firma zu bringen, ohne ihn zu töten. Wenn ich es so schaffte, wäre ich auch viel stolzer auf mich. Außerdem würde er sich sein restliches Leben über ärgern.
Bis zum Mittagessen recherchierte ich im Internet und dachte nach. Mein reizendes Kätzchen erledigte dafür gerade die Arbeit, die mir mein Dad zur Demütigung aufgesetzt hatte. Eigentlich war es perfekt, dass ich jetzt eine Sekretärin hatte.
Als es kurz vor dem Treffen war, ging ich herüber zu meiner Sekretärin. Ich stellte allerdings fest, dass sie telefonierte. Stirnrunzelnd kontaktierte ich Verena, die dafür sorgen sollte, dass ich mithören konnte. Lauschen würde viel weniger etwas bringen.
Dann war ich ebenfalls in der Leitung, nur dass mich niemand hören konnte, dafür konnte ich aber umso besser hören.
»Janisé, wir müssen echt besser aufpassen. Ich bin mir nicht sicher, aber ... glaubst du ... könnte es sein, dass sie uns gefunden haben?« Die Stimme meines süßen Kätzchens klang angespannt und ich war mir sicher, sie kaute wieder an ihrer Unterlippe herum.
Besagte Janisé antwortete ebenso verspannt. »Fuck, denkst du echt? Wie kommst du darauf? Mir ist noch nichts aufgefallen.«
»Das muss ich dir zu Hause erzählen. Nicht am Telefon. Jedenfalls wäre es besser, wenn du dich in der Öffentlichkeit nicht mehr blicken lässt.«
»Und was machst du dann? Du gehst jeden Tag in die Firma. Da musst du wohl oder übel hin und im Bus bist du eben in der Öffentlichkeit.« Das war wieder Janisé.
Ein geräuschvolles Ausatmen meiner Sekretärin Josephine. »Ich überleg mir was. Benny könnte sich ja ums Essen kümmern.«
»Klar.« Janisé lachte leise, aber humorlos. »Der denkt doch nur an Mädels, Essen und seine Figur. Wenn er uns doch was mitbringt, dann irgendwelche Kekse, die niemandem aus seinem Freundeskreis schmecken.«
Josephine seufze. »Hast recht. Dann ... gibt es vielleicht bald einen neuen Umzug.«
»Na super. Aber tschüss, Josi, ich muss jetzt los. Und nein, das kann leider nicht warten. Ich werde schon aufpassen.«
»Na gut, dann ... tschüss.« Die Leitung war tot und ich legte ebenfalls auf. Nun ... interessant, aber mehr geheimnisvoll, als aufschlussreich. Ich trat aus meinem Büro und in ihres herüber. Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie mich sah. »Hi.« Rutschte es ihr heraus, was sie sofort dazu verleitete, ihren Kopf zu senken und ihre langen, lockigen hellbraunen Haare vor ihr Gesicht gleiten zu lassen.
Ich strich ihr die Haare aus dem Gesicht, ohne eine Miene zu verziehen und grübelte darüber nach, was es mit dem Gesagten, was ich mitgehört hatte, auf sich hatte. Das einzige, bei was ich mir sicher sein konnte war, dass sie und ... ich knirschte mit den Zähnen, wenn ich darüber nachdachte, dass diese andere Frau ihre Freundin sein könnte. Vielleicht waren sie gemeinsam vor ihren Familien geflohen und schwer verliebt. Bei diesem Gedanken zog sich bei mir alles zusammen und ich wollte sie sogleich berühren und sie als mein beanspruchen. Meine Finger fuhren über ihre volle Unterlippe, was ihren Blick aus großen Augen zu mir hob. »Kommst du in zwei Minuten? Madette bringt dich zum Hinterausgang.«
Ihrem Gesichtsausdruck konnte ich entnehmen, dass sie sicher so etwas dachte wie. 'Schon wieder der Hinterausgang?' Und ja, ich musste zugeben, dass ich von diesem sehr oft Gebrauch machte. Und zwar in vielerlei Hinsichten. Ach ... (Wer erratet es? Schmutzig, verboten, eng ... mehr nicht dazu.) »Natürlich Chef-fin.« Stotterte sie, immer noch nicht an meine Anrede gewöhnt.
Noch ein letztes Mal streifte meine Hand über die rechte Seite, von ihren Brüsten hinab zum Ansatz ihrer Hose. Ein letzter, eindringlicher Blick in ihre Richtung, dann verschwand ich, so schnell wie ich gekommen war.
Ich schnippte mit den Fingern, wodurch Madette sofort angerannt kam und meinen schnellen Schritten folgte. Sie fragte eifrig und mit leuchtenden Augen. »Was kann ich für Sie tun?« Sie war es nicht gewohnt, dass ich sie einen Tag im Büro nicht anfasste oder von ihr anfassen ließ. Deshalb war sie jetzt nur noch begieriger darauf. Doch ich würde sie wohl enttäuschen.
»Bringen Sie Josephine zum Hinterausgang.«
Ihr Gesicht änderte sich schlagartig. Von euphorisch in eine verkniffene Grimasse, die mich ärgerlich stimmte. »Sofort.« Zischte ich schneidend und zog eine Augenbraue herausfordernd in die Höhe.
Sie wusste genau, dass sie, wenn sie meinem Befehl jetzt nicht Folge leistete, meinen ganzen Ärger zu spüren bekommen würde. Und das ganz sicher nicht auf dem sexuellen Weg. Jeder wusste, dass Bestrafungen, wenn ich wirklich wütend waren, nichts damit zu tun hatten. Sie senkte demütig den Blick zu Boden und flüsterte rau, um mich wohl zu besänftigen. »Natürlich, Boss.« Dann verschwand sie so schnell aus meinem Gesichtsfeld, dass es mir ein amüsiertes Grinsen auf die Lippen zauberte, um dann weiter meines Weges zu gehen, um meine kleine süße Sekretärin in Empfang nehmen zu können. Trotzdem ... Ich konnte nicht vergessen dass sie irgendwie viel zu schnell zugestimmt hatte. Das war sonst nicht Idee Art.
Endlich hatte ich Zeit, auf dem Weg durch die Gänge, über unseren Kuss nachzudenken. Die ganze Zeit gestern hatte ich auf Kohlen gesessen, weil ich über etwas ganz bestimmtes hatte nachdenken müssen. Etwas, was ich nicht mal denken sollte, weil mir das zu riskant erschien, auch wenn das natürlich albern war. Ich hatte sie nicht einfach so gehen lassen können. Ich hatte einfach wissen müssen, wie es sich anfühlte, ihre Lippen auf meinen zu spüren. Vielleicht verspürte ich dann keine Anziehung mehr zu ihr. Das war aber eine Irreführung gewesen. Denn seit gestern geisterten ihre weichen, leicht feuchten Lippen immer wieder in meinen Gedanken herum. Und ich wollte es wieder. Ich wollte sie wieder küssen.
Mit dem Treffen wollte ich mich ablenken und natürlich war es auch von größter Wichtigkeit, also fing ich, wenn es klappte, zwei Fliegen mit einer Klappe.
Auf dem Weg klingelte mein Handy laut und vorwurfsvoll. Genervt ging ich dran und fragte meinen Bruder. »Was ist, Vally?« Eigentlich hieß er Valentin. Seine Mutter hatte sich den Namen ausgedacht. Dad war ein Name sowieso nicht wichtig gewesen. Eigentlich hatten wir alle, ich, Valentin und Adlayn unsere Namen von unseren Müttern. Auch wenn ich und Adlayn ganze Schwestern und Valentin unser Halbbruder war. Trotzdem fühlte Valentin sich nicht wie ein halber Bruder, sondern wie ein ganzer Bruder an. Manchmal fühlte ich mich zu ihm sogar verbundener als zu Adlayn.
Valentin hasste es, wenn ich und meine Schwester ihn Vally nannten. In einem gewissen Grad konnte ich das verstehen. Schließlich klang es wie ein Mädchenname und außerdem konnte man es mit Valley verwechseln. Und Tal wollte wohl wirklich niemand heißen.
»Hey Scart.« Diese Abkürzung mochte ich wiederum nicht sonderlich. Weil dies nun einem Jungennamen ähnelte, der nicht mal existierte. Na ja, jedenfalls nicht in diesem Land. Ich hatte oft das Gefühl, welche Buchstaben man auch aneinanderreihten, in irgendeinem Land gab es sicherlich jemanden, der so hieß.
»Was gibt's so Wichtiges, das du mich stören traust?« Gab ich gespielt bissig zurück.
Amüsiertes lachten erklang aus dem Handy, bis er schließlich mit der Sprache herausrückte. »Es gibt da ein Problem.«
Musste man Valentin wirklich alles aus der Nase ziehen? Wenn ich im buchstäblichen Sinne darüber nachdachte, verzog ich angeekelt das Gesicht. Übertragenen Sinn war eindeutig besser. »Und was für ein Problem? Bist du sechs?«
»Jap, ich bin SEX.« Er war doch kein alberner Schuljunge mehr!
Ich verdrehte die Augen. Manchmal war ich mir sicher, er war wirklich noch in dem Alter zurückgeblieben. Trotzdem himmelten ihn etliche Mädchen an, was ich an seinem geistigen Alter nach nicht nachvollziehen konnte. Aber wahrscheinlich lag das auch daran das ich seine Schwester und noch dazu nicht auf Männer stand. Oder Jungs in seinem Fall. Ha. Offizielle war er natürlich schon erwachsen, aber ... egal. Valentin war drei Jahre älter als ich und Adlayn eineinhalb Jahre älter. Also war ich die jüngste. Trotzdem fühlte ich mich nur zu oft wie die älteste. Beide trafen nicht unbedingt die besten Entscheidungen und beide führten sich nur zu oft wie kleine Kinder auf.
Aber trotz allem, liebte ich, sie, wie man das in der Familie eben tat. Auch wenn diese Liebe sich nicht auf meinen Dad bezog, genauso wenig auf meine Mutter. Valentins Mutter ... nun, mein Dad hatte sie umgebracht. Und Adlayns und meine Mutter war unter einem tödlichen Schuss gestorben. Mein Dad hatte getan, als hätte es ihn getroffen. Doch ich hatte seine Augen gesehen. Und gesehen, dass es ihm absolut nichts ausgemacht hatte. Er gab sich immer als der ach so tolle Geschäftsführer, doch tief im Dunkeln lauerte mehr, als die meisten vielleicht wussten. Denn Dad war nicht immer Geschäftsführer einer angesehenen Firma gewesen. Auch er war einmal am Anfang gestanden. Und da war er über Leichen gegangen. Einmal, vor langer Zeit, waren er und Julians Vater, vor dessen Tod, Freunde gewesen. Natürlich hatte die Familie bereits immens gehört. Großvater hatte seinen Jungen nur einfach der Welt zum Fraß vorgeworfen. Und Dad hatte sich behauptet und eine Firma gegründet. Und sein Ziel war es immer gewesen, reicher als sein Daddy zu werden. Doch bevor Großvater das mitbekommen konnte, starb er an einer unheilbaren Krankheit. Allerdings schien Großvater genauso eine Bitch gewesen zu sein wie Dad.
Das alles hatte er uns natürlich nie gesagt. Ich musste es erst selbst recherchieren und das nicht im Internet, sondern in sehr viel gefährlicheren Gefilden.
»Bist du noch dran, Scart?«
Valentin riss mich aus meinen Gedanken. Ich antwortete ins Handy. »Äh, klar. Was hast du gesagt?« Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er irgendeinen Dialog von sich gegeben hatte.
Ich hörte ein genervtes Stöhnen, dann wiederholte er seine Worte. »Adlayn und Ethan ...«
»Ich weiß.« Unterbrach ich ihn genervt. So genervt, wie er.
Jetzt klang er allerdings verwundert. »Woher?«
»Ich weiß es halt. Ich hab jetzt echt keine Zeit für lange Erklärungen. Gibt's noch etwas anderes?« Ich kam dem Hinterausgang immer näher.
»Jap. Jackson und ich wollen übers Wochenende zum Anwesen in den Bergen. Ein bisschen Schnee genießen und so, solange es ihn noch gibt. Was meinst du, bist du auch dabei? Und ... na ja, vielleicht sollten wir Adlayn, ihren ... ähm, Freund und seinen Bruder, mit einladen.«
Meine Stimmung sank augenblicklich. Wie kam er denn auf diese beschissene Idee? Trotzdem ... es gab da ja auch noch die Informationen, die ich über Julian herausfinden musste. Na ja, eigentlich eher wissen, was er besaß. »Klar.«
»Du stimmst so schnell zu?« Fragte er verwirrt aber auch misstrauisch.
Ich grinste, weil ich an seinen Gesichtsausdruck denken musste, wenn er so klang. »Wenn ich auch jemanden mitnehmen darf.«
Neugier mischte sich in seine Stimme. »Wer denn? Eine ... Freundin oder ...?« Seine Stimme klang verschwörerisch und ich konnte nur die Augen verdrehen. Eigentlich brodelte es gerade in ihm, weil er wissen wollte, wer diese Person war und ob er mich vielleicht beschützen musste. Auch wenn er das nicht brauchte. Ich wusste mich nur zu gut, selbst zu schützten. Und mein süßes Kätzchen würde mir nicht wehtun. Jedenfalls sicherlich nicht auf diese Weiße, wie Valentin es meinte. Und auf die andere weise würde sie es auch nicht tun, weil ich es verhindern würde. Außerdem müsste er viel eher sie vor mir beschützen.
»Du wirst es noch früh genug erfahren, Vally. Und jetzt nerv nicht weiter, ich muss jetzt wirklich los.«
»Klar Boss.« Gab er sarkastisch zurück, aber trotzdem nicht böse. Dann legten wir zeitgleich auf. Wir waren beide Personen, die schnell mal zu früh auflegten. Deshalb taten wir das, wenn wir miteinander sprachen, meist zur gleichen Zeit. Mit Valentin hatte ich oft sogar ein besseres Verhältnis. Auch wenn es da natürlich ausnahmen, gab. Wie zum Beispiel, als Valentin eine Zeit mal begonnen hatte, sich mit Nutten zu treffen. Da waren ich und Adlayn zusammen dagegen vorgegangen und unser Verhältnis zueinander hatte sich sehr gebessert. Das Problem war nur, dass ich niemals so sein könnte wie Adlayn. Adlayn glich einem Engel, ließ sich jedoch zu viel gefallen. Es gab einen Unterschied zwischen Devot und einfach nur nicht nachdenken. Mein Kätzchen war Devot, würde aber trotzdem niemals etwas tun, was sie selbst zerstören würde. Sie hatte einen Radar, könnte man so sagen, doch meine Schwester besaß diesen nicht. Sie hatte sich schon auf viele falsche Typen eingelassen. Und ich hoffte wirklich, so sehr ich Julians Familie auch nicht mochte, dass sein Bruder ihr nicht wehtun würde. Und falls doch, hätte ich keine Hemmungen mehr.
Trotzdem sagte mir ein, Gefühl, dass, so illegal ihre Geschäfte auch waren, würde Ethan ihr niemals so wehtun, wie viele andere vor ihm.
Ich trat zur Tür. Ich war gespannt, ob mein süßes Kätzchen meiner Einladung zum Treffen in den Bergen nachkommen würde. Allerdings würde ich ein ›nein‹ nicht so einfach akzeptieren ...
Als ich hinaustrat, war mein Kätzchen jedoch nicht da. Doch ich hatte noch Zeit. Deshalb lehnte ich mich an die Limousine und leckte mir vorfreudig über die Lippen. Langsam und bedacht.
»Fahren wir?« Fragte der Fahrer ungeduldig, der heute ein anderer war, weil Jorden kurzfristig zu einem Familientreffen hatte gehen müssen. Jorden wäre nicht so unhöflich gewesen. Oder dumm. Hätte mir Zeit gelassen.
Ich drehte mich mit einem zuckersüßen, tödlichen Blick zu ihm um. »Wer ist hier der Boss?« Knurrte ich und sah ihn mit erhobener Augenbraue an.
Sofort setzte er sich in die Limousine zurück und murmelte eine genuschelte Entschuldigung. Ich verdrehte die Augen. Männer. Aber das traf es nicht. Vielmehr war er einer von der ganz blöden Sorte seiner Art.
Aber bald schon würde mir das nicht mehr passieren. Bald Daddy, kannst du allem, was dir lieb und teuer ist (was nicht viel ist) Lebewohl sagen. Nur sein erbärmliches Leben, was zurückbleiben würde, würde ich am Leben lassen, damit er am eigenen Leib erfuhr, was Schmerz war. Er hatte immer andere verletzt, aber nie hatte ihn jemand schwer getroffen. Nicht mal, als man meine Mom getötet hatte. Nicht mal da. Es schien eher so, als wäre ihm eine Last von den Schultern genommen worden. Zerstörerische Wut, die in mir lauerte, breitete sich aus, ließ sie dann aber wieder in den hintersten aller Winkel drängen. Dafür war jetzt keine Zeit.
Ich musste mich jetzt darauf konzentrieren, den König zu stürzen und alle zu vernichten, die für ihn waren. Ja, vielleicht war es gar nicht mal so schlecht, dass meine Schwester sich in einen der Carpes-Brüder verliebt hatte. Vielleicht ließ sich daraus ja etwas machen.
Manchmal musste man sich halt mit der Zitrone abgeben, um seine Ziele zu erreichen. Und vielleicht würde das Wochenende ja auch ganz lustig werden. Auch wenn ich mir sicher war das andere unter lustig etwas anders verstanden als ich.
Als mein Kätzchen auch nach einer Weile nicht, kam, wurde ich misstrauisch. »Boss, kommen Sie!« Erklang eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um. Es war einer unserer Techniker.
Und ohne zu zögern, folgte ich ihm wieder ins Gebäude, bereit, mich gegen alles der Welt zur Wehr zu setzten, der glaubte, ihr etwas tun zu können.
Und dabei dachte ich an Madette. Sie hatte eindeutig zu früh zugestimmt. Zu schnell.

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𝗦𝗪𝗘𝗘𝗧𝗜𝗘 - kleines, devotes Kätzchen (1) (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt