Kapitel 23 - Devote ✓

74 3 0
                                    

Mittwoch
Es war Nacht. Kalte Luft umspielte meinen Körper. Ich war gespannt wie eine Feder. Mein Blick sprang durch die Dunkelheit. Ich war gestern Abend zu diesem abgeranzten Motel gegangen. Dort hatte ich übernachtet und war in der Früh zu Fuß gegangen. Immer weiter und weiter. Bis ich weit genug weg gewesen war. Dann hatte ich mir ein Taxi in einer kleinen Stadt gesucht.
Und damit war ich so weit gefahren, wie es mein Geld zugelassen hatte. Doch mir war klar, dass ich früher oder später stehlen musste, um weiterzukommen. Sonst würde ich nie wieder zu Scarlett zurückkehren.
Normalerweise hätte ich mich wahrscheinlich dafür entschieden, nicht zu Scarlett zurückzukehren. Die Gefahr, dass meine Eltern auf sie aufmerksam wurden, war zu groß. Doch da war ja auch nicht zu vergessen, dass ein Mörder in ihrer Umgebung umherlief und Jackson der mögliche Mörder war. Ich konnte sie da nicht einfach so alleine lassen. Nicht mit dem Wissen, dass sie vielleicht das nächste Opfer wurde. Denn was, wenn es doch nicht Jackson war? Alle Beweise führten zu ihm. Aber was, wenn es nicht so wäre?
Nein, ich musste zu meiner Chefin, zu Scarlett zurück. Gerade lief ich durch die Nacht. Auf einer Straße, die ins Nichts führte und rings um mich war nur Wald. Der Regen prasselte unbarmherzig auf mich herunter, sodass die Kälte auch nicht lange auf sich halten ließ.
Bald schon war ich nichts weiter als ein bibberndes Bündel Elend, das sich durch die regnerische Nacht quälte.
Ein Auto hielt neben mir. Ein Mann saß am Steuer und sah mich an. »Kann ich Ihnen helfen, Frau?«
Ich zögerte. Er sah nicht wie ein Serienmörder aus. Aber wenn man das sogleich sehen würde, wohl nur noch wenige frei herumlaufen würden. Doch das Messer in meiner rechten Hosentasche beruhigte mich. Wenn es hart auf hart kam, würde ich zustechen. Mir war oft gezeigt worden, wie man tötete. Nur die Klinge in echtes Fleisch und Blut zu rammen, war noch mal etwas anderes.
Ich sollte nicht vom Schlimmsten ausgehen. So lächelte ich freundlich und nickte dankend. »Ja, gerne. Ich muss in die Richtung. Setzten Sie mich einfach ab, wenn Sie abbiegen.«
»Gut, dann kommen Sie mal rein. Soll ich Ihnen helfen?« Ich schüttelte den Kopf und setzte mich nach vorne.
Eine Weile fuhren wir schweigend den Weg entlang, während mir langsam warm wurde. »Wie hat es Sie hier her verschlagen?«
Das konnte ich genauso fragen, aber ich sagte es nicht laut. »Das wollen Sie gar nicht wissen.«
Der Mann zuckte die Schultern. Er war vielleicht Anfang fünfzig, trug schlichte Kleidung und schien auch insgesamt normal zu sein. Doch der erste Eindruck konnte täuschen, selbst wenn man genau hinsah, man konnte manchmal einfach nicht alles sehen, das war eine Tatsache, die ich früh hatte lernen können. Man konnte die Zukunft nicht voraussagen, weil man besonders klug war. Man wusste vieles, aber nicht alles. Lern es oder lass es bleiben. Aber die Tatsachen bleiben. Worte eines alten Bekannten.
Der Wagen hielt plötzlich quietschend. Ich hätte vermutlich nie in den Wagen steigen sollen.
Aber irgendwie musste alles seinen Lauf nehmen. So hielten wir an. Wasser spritzte auf die Scheiben. Ein anderes Auto war aus einer Seitenstraße hervorgeschossen und stand nun direkt vor unserem.
Ich drehte den Kopf zu dem Mann. Der sah den Wagen vor uns verärgert an. »Eine Unverschämtheit ist das, da einfach aus der Seitenstraße zu brettern!«
Ich konnte seine Wut verstehen. Aber ich hatte so eine Ahnung dass die Person im Auto nicht einfach ein blöder Autofahrer war. Es wäre schön gewesen. »Fahren Sie weiter.« Stieß ich aus.
Der Mann neben mir starrte mich ungläubig an. »Was glauben Sie denn...«
Er wurde von einem dumpfen Krachen unterbrochen. Minuten später stand ein hochgewachsener Mann vor der Fahrertür. »Fahren sie verdammt noch mal weiter!« Fuhr ich den Mann an.
Doch warum hätte er darauf hören sollen? Auf eine Fremde, die er auf der Straße eingesammelt hatte? Er fuhr nicht weiter. Die Fahrertür wurde geöffnet.
Die Augen des Mannes draußen trafen sogleich auf meine. Es war nicht einer der Anhänger der Eylies. Sondern ein Typ mit schwarzen Haaren und ebenso düsteren Augen, der mich aufmerksam musterte.
»Lesley?« Ich erstarrte, als ich meinen Namen aus seinem Mund hörte. Ich kannte ihn nicht. Aber er schien meinen Namen zu kennen.
Ich schluckte, war mir nicht sicher, wer dieser Typ war und was er von mir wollte. »Wer sind Sie?«
Er sah mich ausdruckslos an. »Julian Carpes hat eine Nachricht an Sie: Kommen Sie mit
Mein Blick huschte von dem Mann neben mir zu dem draußen hin und her. Julian? Irgendwie war das... überraschend. Ich hätte von jedem Hilfe erwartet. Valentin. Scarlett. Aber nicht von Julian. Klar, er stand auf mich, aber das er mir helfen würde wenn es darauf ankam, hätte ich nicht gedacht.
Der Typ draußen sah so undurchdringlich drein, dass er sicher gut in Poker war. Und natürlich konnten seine Worte auch eine Lüge sein. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt, nicht?
Ich nickte. Der Mann im Wagen, dessen Namen ich noch nicht kannte, sah etwas verdattert, aber schweigend dabei zu, wie ich seinen Wagen verließ.
Der Typ draußen sagte dem im Wagen noch etwas, woraufhin dieser umdrehte und davonfuhr. Ich hätte nur zu gerne gewusst, was er gesagt hatte. »Es ist gefährlich auf einer einsamen Straße. In der Wildnis für eine junge Frau.« Bemerkte der Fremde plötzlich neben mir. »Steigen Sie ein.« Seine nicht gerade beruhigenden Worte, folgend der Anweisung einzusteigen, waren irgendwie seltsam.
Doch ich tat es. Nennt mich dumm, aber ich tat es, weil... keine Ahnung, warum eigentlich genau. Ich hatte nur das Gefühl, so wenig vertrauenerweckend der Typ auch aussah, das er es trotzdem war.
»Wo fahren Sie mich hin?« Durchbrach ich die Stille schließlich.
Der Fremde wandte den Blick kurz zu mir herüber und sah dann wieder auf die Straße. »Zu einem guten Bekannten.«
»Ich dachte, Sie bringen mich zu Julian.«
Er hob eine Braue spöttisch. »Verängstigt? Aber keine Angst, Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich habe ein wenig recherchiert. Und nun... habe herausgefunden, dass sie den Mörder von Scarletts Vater, Herr Vanbridge suchen, gemeinsam mit ihrem Bruder und eben... Julian.«
Ich runzelte die Stirn. Hatte ich irgendwo vergessen, dass ich das Ganze an die Zeitung geschickt hatte? Ansonsten konnte ich mir nicht erklären, wie er das wissen konnte. Er schien die Fragen auf meinem Gesicht zu lesen, denn er meinte lapidar. »Ich habe meine Quellen. Und die verrate ich nicht. Wie ein Magier seine Tricks nicht verrät. Aber nun... ich habe einen Hinweis. Und dieser Bekannte besitzt diesen Hinweis, der Ihnen vielleicht von Nutzen sein könnte.«
Das war jetzt irgendwie keine Frage gewesen, oder? »Ok-ay.«
Der Fremde nickte knapp und ging aufs Gas. Keine Ahnung, ob es hier durchs Nirgendwo eine Geschwindigkeitsbegrenzung gab, aber ich war mir sicher, dass man nicht mit um die hundertzwanzig Sachen durch diese engen, von rechts und links bewaldeten Straßen kurven durfte. Vor allem im Dunkeln. Aber ich sagte nichts, weil ich das Gefühl hatte, dass der Typ alles unter Kontrolle zu haben schien.
Immer weiter fuhren wir die Straßen entlang, und ich dachte schon, es würde nie enden. Es würde ewig dauern.
Doch schließlich, nach einer Ewigkeit, wurde er langsamer und er bog in einen nicht gerade beruhigend aussehenden Seitenweg ein, bei dem der Wagen immer wieder stehenblieb und ich jeden Moment dachte, wir würden steckenbleiben. Taten wir aber nicht, wie durch ein Wunder.
Schließlich kam eine Hütte zum Vorschein. Mitten im Nirgendwo. Er parkte davor. Wie auch immer der Fremde auch hieß. Er hatte sich nicht vorgestellt und ich hatte auch nicht gefragt.
Wir stiegen aus und vor der Veranda, als wir beinahe vor der Tür standen, wurde die Tür bereits geöffnet, als würden wir schon erwartet werden. Ich hatte gedacht, einem weiteren Mann zu begegnen. Es war aber eine Frau, die uns entgegenlächelte. Es war aber kein freundliches Lächeln, sondern ein Raubtierlächeln. Hinterlistig.
»Hey Brenda, wie geht's?« Der, der-mir-immer-noch-nicht-seinen-namen-genannt-hatte, begrüßte, besagte Brenda, mit einem schiefen Grinsen, das die Frau nur mit einem spöttischen Laut erwiderte.
»Was willst du?« Ihr Ton war rau und unwirsch. Mein Begleiter grinste breiter.
»Wie ich sehe, hast du dich nicht geändert.« Mein Begleiter.
»Und wie ich merke, bist du noch genauso ätzend wie eh und je.« Mein Begleiter grinste noch breiter, als Brenda das sagte.
»Danke, das nehme ich als Kompliment.« Mein Begleiter.
»Nimm, was du willst, nur lass mich in Ruhe.« Brenda.
Ich folgte der Unterhaltung interessiert und war mir jetzt sicher, dass sie sich bereits sehr gut kannten. »Also, was bringst du mir da mit? Was soll dieser Besuch?«
»Immer so misstrauisch. Kann ich nicht einfach mal so kommen?« Mein Begleiter.
Brenda: »Nein, weil du immer einen Grund hast aufzutauchen. Und der liegt niemals an mir.« Autsch.
Doch das schien sie nicht weiter zu interessieren. Viel eher wäre es ihr wohl, wenn wir wieder gegangen wären.
»Du hast doch gesagt, dass du einen Hinweis hast. Wegen dem Mord und so.« Mein Begleiter wurde ernst.
Brenda stieß die Luft aus und meinte. »Ja habe ich. Aber was willst du damit?«
»Meine reizende Begleiterin ist eine Freundin von Julian. Und sie sucht ebenfalls nach jeglichen Hinweisen zu dem Mord an Mr. Vanbridge, die es gibt.«
Sie betrachtete mich schweigend. »Aha.« Sagte sie schließlich und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Wir warteten. Dann seufzte sie. »Kommt mit, kann ja sowieso nichts machen, um euch loszuwerden, solange ich nicht gebe, was ihr wollt.« Damit stapfte sie weg vom Haus und tiefer in den Wald. Beunruhigt verzog ich das Gesicht. Das sah mein Begleiter und grinste: »Alles ist okay. Sie ist zwar etwas speziell, aber wenn man sie gut kennt, ist sie okay.«
»Hm... aha.«
»Sie beißt nicht. Sie bellt nur.«
Das klang ja sehr beruhigend. Aber ich folgte ihm trotzdem. Auch wenn sich das Ganze surreal anfühlte. Vor ein paar Tagen war ich noch mit Scarlett in einem Bett gelegen, und jetzt streifte ich mit einem Fremden durch den Wald, einer unwirschen Frau hinterher, die möglicherweise Hinweise auf den Mord von Scarletts Vater hatte.
Ja, wirklich entspannt. Und langsam kam ich selbst nicht mehr mit, was alles in meinem Leben passierte. Ich wollte zurück zu Scarlett. Mir war aber auch klar, dass ich nur ein glückliches Leben mit ihr führen konnte, wenn der Mörder gefasst wurde. Davor war kein schönes Leben möglich. Ich könnte niemals den Gedanken loslassen. Außerdem hatte der Mörder mir einen Drohbrief geschrieben. Also... warum sollte er mich plötzlich nicht mehr töten wollen?
Wir gingen in eine Scheune. Darin war nicht viel. Eigenlich... gar nichts, außer leeren Regalen und noch mehr leerer Regale. Ich strich mir meine Haare aus dem Gesicht, als Brenda das Licht anschaltete. Okay, es gab noch etwas anderes als Regale in diesem Raum. Einen Tisch, den ich auf den ersten Blick nicht gesehen hatte. Brenda holte etwas vom Tisch.
Sie beute sich vor und drehte sich dann wieder zu uns um. »Habe ich von so einem Typ erhalten. Der hat gesagt, ich soll es einer gewissen Lesley zeigen.« Ich runzelte die Stirn. Ich bezweifelte, dass das der Mörder gewesen war.
»Wie sah er denn aus?«
Sie legte den Kopf zur Seite und dachte einen Moment nach.
Und dann gab sie eine perfekte Wiedergabe eines Mannes ab, den ich nur zu gut kannte. Jackson. Doch mit dieser Information wurde es plötzlich seltsam und unlogisch. Wenn er der Mörder war, warum sollte er dann Beweise gegen sich selbst Brenda geben mit dem Auftrag es einer Lesley zu geben? Das ergab keinen Sinn. Die einzige Schlussfolgerung war das wir die ganze Zeit falsch gelegen hatten. Und das Jackson nicht der Mörder war. Nur wer war es denn sonst?
Brenda hielt mir eine kleine Schachtel hin.
Zögerlich nahm ich sie an mich und unter den interessierten Blicken der beiden öffnete ich sie. Ich runzelte die Stirn. Ein Schlüssel kam zum Vorschein. Er war so klein, dass man beinahe meinen konnte, es wäre nur ein billiger Spielzeugschlüssel, doch wenn man den Schlüssel näher hielt, erkannte man, dass er doch aus Metall gefertigt war und insgesamt sehr fest erschien.
»Wofür ist der?«
Brenda zuckte die Schultern. »Mir bringen die Leute allerhand Zeug. Und sie erzählen nie die Vorgeschichte. Daran bin ich auch nicht interessiert. Was glauben Sie, wie viel Zeit ich verschwenden würde, wenn ich mir jede Geschichte eines Gegenstandes anhören würde?«
Ich sah zu meinem Begleiter. »Ist sie...?«
»Ja, Antiquitätenhändlerin. Offiziell. Allerdings nutzten viele sie auch als Botschafterin von Informationen oder Dingen.« Nun, dann war geklärt, warum Jackson hier hergekommen war.
Ich war zu dem Schluss gekommen, dass es Jackson sein musste. Alles andere wäre ein zu großer Zufall. Jemand, der diesen Schlüssel mit meinem Namen hinterließ? Und der zufällig so aussah wie Jackson? Blieb nur die Frage, was das sollte? Entweder es war eine Falle von Jackson oder er war doch nicht der Mörder. Doch dass es eine Falle war, erschien mir sehr unwahrscheinlich.
Ich untersuchte den Schlüssel. Nichts Auffälliges zu sehen. Ich kratzte und klopfte. Ebenfalls normal. »Haben Sie ein Messgerät, um Abhörgeräte zu erspüren?«
Brenda sah mich einen Moment schweigend an, wie ich an dem Schlüssel so herumkratzte und nickte dann. Sie verschwand und kam fünf Minuten später wieder mit einem Gerät, das mir nur zu bekannt war. Es war praktisch, außerdem konnte man auch mal die Klamotten damit absuchen, ohne wirklich suchen zu müssen.
Sogleich hielt ich das Gerät an den Schlüssel. Es sollte rot ausschlagen, wenn es etwas merkte. Es blieb auf null. Nichts. Ich war beruhigt und gab Brenda das Gerät zurück. »Das habe ich schon vorher überprüft.« Brummte sie dann schlecht gelaunt.
Ich kannte seinen Namen immer noch nicht, jedenfalls sprach der Fremde wieder. »Gut. Dann kann es weiter gehen?«
Ich betrachtete die Scheune. Wo waren all die Antiquitäten? Hier war absolut nichts. Sie schien meinen Blick zu bemerken, denn sie erklärte überraschend. »Ich ziehe jede Woche um. Alles andere wäre zu gefährlich.«
Ok-ay, nicht unbedingt das, was ich erwartet hatte. Und wie funktionierte das überhaupt? Doch um diese Frage zu beantworten, hatte ich jetzt keine Zeit. »Jetzt geht.« Brenda verließ schon die Scheune und hob eine Braue, als wir ihrer Meinung zu lange brauchten, bis wir ihre Scheune verließen.
Wir gingen also schnell und als wir wieder im Auto saßen, fragte mein Begleiter. »Und denkst du, kannst damit etwas anfangen?«
»Keine Ahnung. Aber ich glaube, ich bin so oder so weitergekommen.« Ich dachte an die Beschreibung von Jackson. Ja, allerdings.
Er drehte den Kopf zu mir herüber und grinste mich an. »Perfekt. Dann direkt nach Hause?«

______________________

2420 Wörter

𝗦𝗪𝗘𝗘𝗧𝗜𝗘 - kleines, devotes Kätzchen (1) (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt