Kapitel 24 - Domina ✓

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   Donnerstag • Freitag
   Es war unerträglich, zu warten. Ich hasste es. Und trotzdem konnte ich nichts anderes tun. Ein Tag verstrich. Ein weiterer. Und ein weiterer. Schnell war bereits Freitag und ich wartete weiterhin vergeblich
   In dieser Zeit machte ich viel mit Jackson, weil er sich förmlich anbot und sagte, er hätte ein paar Tage frei. Ich nahm es, ohne lange darüber nachzudenken, hin.
   »Also... wo sollen wir noch hin?« Jackson grinste mich an und ich fragte, woher er die Energie nahm. Ich war fertig. Nicht nur, weil ich mich immer wieder fragte, wo mein Kätzchen war, sondern auch, weil wir den ganzen Tag durch die Stadt gelaufen waren. Ich war müde. Mit meinen Nerven und meinem Körper.
   »Ich gehe nirgendwo mehr hin, Jackson. Tut mir leid, aber ich muss gehen.« Ich holte meine Wasserflasche heraus und trank einen großen Schluck.
   Jackson schien enttäuscht, was mir ein schlechtes Gewissen einbrachte. »Hey, morgen vielleicht wieder, aber ich bin jetzt echt fertig.« Ich lächelte leicht.
   Er gab nach. »Na gut. Soll ich dich fahren?«
   Ich winkte ab. »Ich hole mir ein Taxi und keine Widerrede, ich... muss jetzt einfach etwas alleine sein, okay?«
   Er nickte, schien aber nicht sonderlich darüber erfreut zu sein. »Dann... auf Wiedersehen. Aber... ich bringe dich zu den Taxis. Da gibt es von meiner Seite keine Widerrede.«
   Ich gab mich geschlagen. So liefen wir noch ein paar Schritte gemeinsam in der Dunkelheit der Nacht, nur wenige Lichter erhellten die Straßen. Die Kulisse war romantisch, wie ich zugeben musste, nur war ich dafür gerade nicht in Stimmung.
   »Hast du von Josephine etwas gehört?« Fragte Jackson. Ich hatte ihm nur erzählt, dass sie plötzlich gegangen war. Das mit der Polizei und ihren Eltern war mir immer noch nicht richtig erschienen, ihm zu erzählen. Keine Ahnung warum, weil ich ihm sonst eigentlich wenig verschwieg.
   »Nein. Ich wünschte. Aber es vergeht keine Sekunde, in der ich nicht an sie denke.« Ihren Körper, ihre Art und einfach... alles.
   Jackson wurde überraschend einsilbig. »Ah, okay.«
   Ich blickte fragend zu ihm herüber, doch er sah mich nicht, sondern einzig den Weg starr an. Ohne dass eine Regung zu erkennen war. Dann fragte er plötzlich. »Warst du jemals verliebt?«
   Diese Frage kam noch überraschender, weil ich mit Jackson eigentlich nicht über Gefühle redete. Ich runzelte die Stirn, antwortete aber. »Ich glaube, ich liebe sie.« Meine Worte stellten sogar für mich selbst eine Überraschung dar.
   Jackson hielt abrupt inne und als ich mich zu ihm umdrehte, war sein Blick undurchdringlich. »Mir ist gerade eingefallen, dass ich noch etwas erledigen muss.« Mit gerunzelter Stirn sah ich dabei zu, wie Jackson sich umdrehte und in die entgegengesetzte Richtung verstand.
   Einen Moment blieb ich noch auf der Straße stehen und sah an den Punkt, an dem Jackson zuvor gestanden hatte. Dann schüttelte ich den Kopf über ihn und ging weiter. Das war zwar nicht Jacksons Art, mich alleine zu lassen, aber er schien in letzter Zeit insgesamt eine große Veränderung durchzumachen. Was war da wohl los? Aber ich war mir sicher, dass, wenn etwas Wichtiges los war, er es mir erzählen würde. So war es schon immer gewesen. Das dachte ich jedenfalls zu dem Zeitpunkt. Wie sehr ich mich darin würde irren, würde ich noch früh genug herausfinden.

   Gedankenverloren ging ich zu den Taxis. Der Fahrer blieb still, während er mich wieder zu Valentin fuhr. Aber genau das brauchte ich jetzt. Ich musste über alles nachdenken. Würde ich mein Kätzchen je wiedersehen? Und was verheimlichten Valentin und Julian vor mir?
   Als ich bezahlt hatte und das Taxi verlassen hatte, war die Tür von Valentins Wohnung schon offen. Verwirrt trat ich ein. Was war da los?
   »Vielleicht ist sie dem Drohbrief nachgegangen.« Das war eindeutig Valentins Stimme.
   »Aber dann wäre sie von sich aus gegangen. Und nicht von der Polizei abgeführt.« Julian.
   »Keine Ahnung, manches ist anders, als es scheint.« Darin erkannte ich die Stimme meines Bruders, Valentin.
   Ich hatte genug gehört. Jetzt war wohl geklärt, was sie mir verheimlicht hatten. Ich stieß die Tür lautstark auf. »Was für ein Drohbrief?!«
   Die beiden zuckten zusammen und starrten mich erschrocken an. Ich blitzte sie wütend an. »Ihr redet jetzt, sofort!«
   »Sonst?«
   Ich presste die Lippen aufeinander, als Julian das sagte. Er würde wohl nur aus seiner Haut kommen. Bedrohlich knurrte ich. »Sonst kann ich für nichts garantieren.«
   Sie sahen sich wie zwei Schuljungen, die etwas ausgefressen hatten und nun nachdachten, wie am besten vorzugehen war, an. Valentin räusperte sich und sagte. »Lesley hat einen Drohbrief bekommen. Kurz bevor sie verschwunden ist.«
   Meine Kehle wurde eng. Ich musste nämlich an die Drohbriefe denken, die auch mein Vater erhalten hatte. Beinahe hätte ich es schon vergessen, aber vor ein paar Tagen hatte Jeanne mir die Briefe gegeben. Ich hatte etwas verstehen können, aber nicht alles.
   Ich atmete tief durch. Trotzdem... jetzt, mit dieser neuen Information, war es nicht unwahrscheinlich, dass der Mörder meines Vaters, Lesley als sein nächstes Ziel ausgesucht hatte. Und das war etwas, was ich nicht zulassen konnte. Alles, aber nicht das. Dieser Mörder hatte sich das falsche Opfer gesucht.
   »Gibt es noch etwas, was ihr mir sagen wollt?« Ich hob auffordernd eine Braue.
   Doch sie schwiegen beharrlich. Nun, ich würde es auch so herausfinden. »Gut. Gibt es Neuigkeiten, was Lesley betrifft?«
   Wieder sahen sie sich an. Ich rollte die Augen und mit einem ungeduldigen Nicken forderte ich sie dazu auf, zu sprechen.
   »Einer meiner Männer hat mich kontaktiert. Sie war, als er sie fand, zehn Stunden von hier entfernt. Sie fahren schon zurück, haben aber auch noch einen Umweg genommen, warum auch immer. Es wird noch brauchen, aber wenn wir Glück haben, kommen sie heute Nacht an.«
   Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich atmete erleichtert auf. »Wollen wir was essen?« Ich hatte den ganzen Tag nichts essen können, doch jetzt wo ich die frohe Nachricht hörte, war ich unglaublich hungrig.
   »So spät?«
   Ich verdrehte erneut die Augen in Richtung meines Bruders. »Ja, so spät. Es ist erst sieben, also halt mal die Luft an.«
   Ich öffnete Valentins Kühlschrank. Interessant. Die Kühltruhe sah auch nicht viel besser aus. Gemüse. Viel Gemüse. Und als ich in den Schränken nach Chips suchte, fand ich nichts. »Was isst du eigentlich?«
   Ich wusste, dass Valentin nichts von Fast Food hielt, aber man konnte es doch auch übertreiben, oder? Als ich mich ganz nach hinten durch die Kühltruhe stöberte, sah ich endlich etwas mehr oder weniger Essbares. Pommes. Ich war mehr als überrascht. Und als ich das Haltbarkeitsdatum sah, musste ich erst mal schlucken. Ja, es war definitiv gut, dass die Pommes eingefroren waren, sonst wären sie schon längst nicht mehr gut.
   Als ich mich zu den beiden kurz umdrehte, sah ich, dass Julian sich einen Burger herausgeholt hatte, den er sich wohl gekauft haben musste.
   Valentin holte einen Brief aus einer Tasche. »Den hab ich heute bekommen.« Er reichte ihn mir schweigend.
   Zögerlich nahm ich den Brief, während ich die Pommes in die Fritteuse schmiss. Ich öffnete den Brief. Er war von der Aufmachung und allem sehr elegant gehalten. Und die Art und Weise des Briefes kamen mir bekannt vor.
   Ja, es war ein Brief genau wie von der Party, bei der ich zu Julian gegangen war. Diesmal stand allerdings als Adresse: Vive Charlotte Dashwood. Ihr gehörte ebenfalls eine Firma und war unter diesen Kreisen hoch angesehen.
   Bei ihren Feiern war der Unterschied, dass man so viele Freunde wie man wollte mitbringen konnte, weil sie das Sprichwort ‚je mehr, desto besser' auslebte. Valentin sah mich fragend an. »Kommst du auch?«
   Ich dachte nach. Wenn ich mich recht erinnerte, kannten Vive und Jackson sich. Sie waren flüchtige Freunde, weil Vive eine sehr anstrengende Persönlichkeit hatte. Vielleicht würde eine Feier nicht schlecht sein. Der ganze Trubel von letzter Zeit konnte etwas abgefeiert werden.
   »Ich komme.«
   Valentin nickte und sah Julian fragend an, der nachlässig mit den Schultern zuckte. »Vielleicht sehe ja mal vorbei.«
   Ich las weiter. Um sieben Uhr und... oh, am Sonntag. Etwas kurzfristig, aber ich hatte Zeit. Und mein Kätzchen hoffentlich ebenso. Wenn sie bis dahin wirklich wieder da sein würde. Auch wenn da ja auch noch das mit dem Drohbrief war. Wer war nur der Mörder?
   Während ich und Julian aßen, schaute Valentin nachdenklich aus dem Fenster. Ich wusste nicht, worüber er nachdachte, doch ich wusste, was mich nicht losließ. Würde mein Kätzchen wirklich nur in wenigen Stunden wieder kommen? War es möglich? Es fühlte sich so surreal an.
   Nachdem wir fertig gegessen hatten, saßen wir zu dritt in Valentins Wohnzimmer, das Licht aus und jeder seinen Gedanken nachhängend. Schwebte sie möglicherweise in Gefahr?
   Ich lag auf dem Sofa, die Augen geschlossen und ohne dass ich es bemerkte, schlief ich ein...

𝗦𝗪𝗘𝗘𝗧𝗜𝗘 - kleines, devotes Kätzchen (1) (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt