Kapitel 26 - Domina ✓

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   Samstag • Sonntag
   ‚Ich bin weg. Wir sehen uns bei der Feier.' Einen Moment starrte ich die Worte einfach nur an. »Lesley.« Meine Stimme war ein einziges nicht wiederzuerkennendes Grollen. Wo, war sie verdammt!? Ich hatte sie doch gerade erst zurück und jetzt glaubte sie, schon wieder verschwinden zu können?
   Wir sehen uns bei der Feier, echote es in meinem Kopf. Ganz langsam verzogen meine Lippen sich zu einem kalten Lächeln. Ich hatte mir lange genug eingeredet, dass es nichts war. Hatte lange genug mir gesagt, dass Lesley, mein Bruder und verfickter Julian einfach nur Freunde waren. Aber diese Worte ließen mich wirklich sehr daran zweifeln. Jetzt verschwand sie einfach, um zu ihnen zu gehen? Davon ging ich jedenfalls aus. Wohin sollte sie auch sonst gehen?
   Doch Lesley zur Rede zu stellen, konnte ich später tun. Es war unter meiner Würde, Valentins Wohnung zu stürmen und Lesley herauszufordern. Lesley ein für alle Mal klarzumachen, wem sie gehörte, konnte ich auch noch auf der Feier, wenn das Fräulein denn da auftauen würde.
   Letzte Nacht hatten wir noch zusammen gelegen. Wir hatten uns berührt und so viel mehr. Brauchte sie jetzt etwa doch etwas anderes? War es eine Lüge gewesen, dass sie nur auf Frauen stand, um mich ruhig zu stellen?
   Ich atmete tief durch. Nun, dann konnte ich mich auch ablenken. Auch wenn ich das nicht so tun würde, wie mein Kätzchen. Meine Zähne mahlten aneinander. Meine Mundwinkel zuckten zu einem humorlosen Lächeln. Ja Kätzchen, du hast dir die falsche ausgesucht um zu spielen.
   Ich holte mein Handy heraus und wollte Jackson schon schreiben. Dann entschied ich mich, ihn zu überraschen. Das letzte Mal waren wir ja etwas holprig auseinandergegangen. Ich sollte mich bei ihm entschuldigen. Und das würde ich auch.
   Jegliche Gedanken, die wegen meines Kätzchens in mein Gehirn strömen wollten, verdrängte ich. Stattdessen stieg ich in meinen Wagen. Selbst. Mein Kätzchen hatte mich wirklich verändert. Früher hätte meinen Fahrer herbeordert. Doch... sie war nicht mein Kätzchen, wenn sie sich offenbar mit Julian Vollpfosten und meinem Bruder einließ.
   Meine Lippen pressten sich aufeinander. Doch ich zögerte. Sollte ich wirklich zu Jackson fahren? Irgendetwas ließ mich zögern. Im Nachhinein konnte ich nicht sagen, was es war. Doch ich stieg wieder aus dem Auto. Rief stattdessen eine andere Nummer an.
   Mit entschlossener Stimme sprach ich. »Ich habe die Verträge unterschrieben.« Das hatte ich zwar nicht, allerdings würde ich das bei Gelegenheit noch tun. »Und euer erster Auftrag wird es sein, mich morgen auf eine Feier zu begleiten.« Meine Lippen teilten sich zu einem bösen Lächeln, als ich auflegte. Ich fühlte mich mutig. Deshalb tippte ich auch gleich noch Jeannes Nummer ein. Und holte eine Flasche Wein aus meinem Wagen um mit dem teuren Tropfen ziellos durch die Gegend zu laufen.
   Sie ging sogleich ran. Und ich sagte Todernst. »Scarlett hier.«
   »Was wird das?« Sie klang so ahnungslos, die verdammt Bitch!
   Sie war nicht besser als Julian. Sollten sie doch alle zusammen glücklich werden, die Heuchler! »Wenn du meine Laune etwas aufbessern willst und außerdem mir einen Gefallen schuldig sein willst: ...« Ich nannte ihr die Adresse von Valentins Wohnung. »Tob dich ganz aus. Mach verdammt, was du willst, mir ist es egal.«
   Vielleicht hatte ich vergessen, zu erwähnen, dass ich eine Flasche irgendeines Alkohols an irgendeiner Ecke in irgendeinem Laden gekauft hatte.
   Jeanne lachte kalt. »Scarlett Vanbridge, höre ich da Alkohol durch deine Stimme? Das hätte ich nun wirklich nicht gedacht. Aber ... ich nehme den Auftrag dankend an. Möchtest du nicht auch vorbeischauen?«
   »Nein. Danke. Geh du zu deinesgleichen.« Damit legte ich auf und hoffte, dass ich ihre kleine Party zerstört hatte. Das hätten sie verdient. Alle. Mein Bruder. Julian. Und Lesley oder Josephine oder was auch immer für Namen sie sonst noch hatte. Verlogen bis zum Rand.
   Ich lachte verrückt, aber es war mir egal. Ganz einfach. Ich lief durch die Straßen und fragte mich, ab wann eigentlich alles so scheiße gelaufen war. Ach stimmt, als dieser verfickte Mörder meinen Vater getötet hatte. Dem hätte ich jetzt am liebsten auch einen Besuch abgestattet. Nur blöd, dass ich nicht wusste, wer der Wichser war.
   Vielleicht war er ja Dads Nachbar gewesen. Der war immer etwas verrückt gewesen. Ich lachte und war mir durchaus im Klaren, dass ich wohl gerade verrückter klang als der angeblich verrückte Nachbar meines Vaters. Oder doch die Putzfrau? Aber warum nicht eigentlich auch meine Geschwister? Die bittere Wahrheit musste einem wohl manchmal auch ins Gesicht geklatscht werden, oder?
   Der Einzige in diesem Chaos, der noch halbwegs nicht scheiße, war, war Jackson. Aber den wollte ich jetzt doch nicht sehen. Eigentlich wollte ich niemanden sehen. Ganz einfach sturzbetrunken durch die Gassen laufen. Vielleicht würde das ja jetzt mein neues Hobby werden. Echt deprimierend. Früher hatte ich immer auf diese Leute hinabgesehen, die betrunken und ohne Kontrolle über sich selbst durch die Straßen lungerten. Und jetzt gehörte ich zu einem dieser Leute. Mein früheres Ich würde wohl vor ekel das Gesicht verziehen.
   Ich lief an einem Bettler Pärchen vorbei. Wie die wohl so geendet waren? Mit einem gruseligen Lächeln schmiss ich ihnen einen Zwanziger in ihre Hüte. Sollten es zumindest nicht allen so scheiße gehen.
   Mein Kopf wanderte von rechts nach und links. Es war witzig, wie sich plötzlich alles so schnell bewegte. Ich kicherte. Und spürte plötzlich eine Wand in meinem Rücken. Ohne lange darüber nachzudenken, rutschte ich an ihr hinab und kicherte lauter. Normal kicherte ich nie. Aber gerade war das doch scheißegal, oder? Wer sah das schon?
   Ich ließ den Kopf immer wieder gegen die Wand hinter mir knallen. Es fühlte sich befriedigend an. Aber nicht genug. Meine Hand stieß jetzt ebenfalls nach hinten, gegen die Wand. Immer wieder. »Da ist jemand aber ganz schön dicht.« Bemerkte eine amüsierte Stimme.
   Mein Kopf fuhr herum. Nun, das wünschte ich mir. In meinem Zustand brauchte das aber eeewwwigg. So'n Mist. Ich blinzelte. »Was is?« Meine Worte sollten als wütendes Knurren herauskommen. Stattdessen war es nicht mehr als ein Murmeln.
   Jemand ließ sich neben mir ebenfalls zu Boden sinken. »Verpiss dich.«, sagte ich, weil die Person offenbar nicht kapierte, dass ich meine Ruhe wollte. Einfach Ruhhe.
   »Ich wollte eigentlich nur etwas frische Luft schnappen, hätte aber beinahe meinen Augen nicht, getraut, als ich Scarlett Vanbridge besoffen am Boden aufgefunden habe.«
   Jetzt erkannte ich die Stimme endlich. »Geh weg, Adlayn.« Meine Schwester strich mir über die Haare. Ich schüttelte wütend den Kopf, um ihre Hand abzuschütteln.
   »Was machst du hier?« Zischte ich sie unwirsch an.
   Sie wuschelte mir trotzdem durch die Haare. Ein unangenehmes Gefühl. Außerdem mochte ich es nicht gerne. »Ich bin für dich da.«
   »Ach wirklich?« Meine Stimme troff vor Sarkasmus. Adlayn war wirklich die Letzte, die ich gerade sehen oder hören wollte. Meine Schwester war schon so nervig genug.
   »Kommst du alleine klar oder soll ich dir helfen?« Eine männliche Stimme, nicht weit von uns entfernt war.
   Ich hob den Blick etwas und brachte heraus. »Ach und da ist auch dein Ehemann.«
   »Er ist nicht mein Ehemann.« Meinte Adlayn mit schwachem Wiederspruch als wünschte sie sich eigentlich genau das. Und Lügen konnte sie sooo schlecht.
   »Aber bald. Dann werdet ihr noch ein Kind bekommen. Das wird dann aber die Sperre sein. Ihr werdet ein perfektes, langweiliges Leben führen, was du dir doch immer gewünscht hast, alssooo, bist du jetzt glücklich?« Meine Worte waren zum Teil Lügen, aber irgendwo musste ich ja meine Wut abreagieren und da Adlayn so dumm gewesen war, sich mir zu näheren, bekam sie diese halt nun ab.
   »Rede keinen Unsinn. Wir sind sehr glücklich miteinander. Von dir kann man das nicht behaupten.«
   »Ich bin ja auch nicht glücklich mit euch.« Spott troff aus meiner Stimme.
   Adlayn schüttelte tadelnd den Kopf. Ich presste die Lippen aufeinander. »Du weißt, wie das gemeint war.« Zu ihrem Ehemann (früher oder später wäre das unvermeidlich), sagte Adlayn: »Könntest du mir jetzt doch helfen? Wir müssen sie ins Auto bringen.«
   »Ich will nicht ins Auto.« Fuhr ich sie unwirsch an. Nein, ich wollte viel eher hier bleiben. In dieser versifften, abgefuckten Gasse. Hier war es, von der Qualität des ganzen abgesehen, gar nicht so schlecht. Ja, wirklich nicht schlecht. Ich grinste besoffen. Witzig. Es war echt witzig, wie besoffen ich war. Ich könnte darüber ein Gedicht schreiben. Ein hysterisches Lachen purzelte über meine Lippen. Ich hatte noch nie ein Gedicht geschrieben. Es wäre auch einfach beschissen.
   Ich rollte mit dem Kopf nach rechts und links und machte es Ethan und Adlayn insgesamt schwer, mich auf den Beinen zu halten. Es war einfach zu amüsant, wie sie versuchten, mich auf den Beinen zu halten. So heuchlerisch aber. Hatte sie vergessen, mit wem sie da zusammen war? Mit einem verdammten Carpes-Bruder. Unsere Familien waren nicht umsonst verfeindet. Carpes konnte man nicht trauen. Was ich ja schon früh hatte erfahren dürfte, als ich mit Julian in frühen Jahren etwas gehabt hatte.
   Auch wenn ich es jeden Tag bereute. Wir hatten einmal so gut zusammengepasst, dass es eklig war, wenn ich daran zurückdachte.
   Rebellische Schulschwänzer, deren Eltern viel zu viel Geld hatten, um alles auszugeben. Uns war langweilig gewesen. Und so waren wir uns irgendwie begegnet. Nicht lange und wir sind damals zusammen gekommen.
   Jeder hat uns als das perfekte Paar dargestellt. Und dann hat Julian einen Fehler begangen. Ich war natürlich so dumm gewesen zu glauben, dass man jedem eine zweite Chance schenken sollte. Nun... manche lernen nun mal einfach nicht. Und so war es auch mit Julian Carpes gewesen. Er hat uns beide verraten. Wer wir zusammen gewesen waren. Und er hatte mich verraten.
   Es war wieder eines unserer unguten Taten angestanden. Doch während ich ewig auf ihn gewartet hatte und dann alleine begonnen hatte, war plötzlich die Polizei aufgetaucht. Ein riesiger Skandal. Und später hatte Julian natürlich behauptet, dass er nicht gekonnt hatte. Warum hatte er mir aber nie gesagt. Das stank natürlich nach einer Lüge. Und aus diesem Grund vertraute ich Julian Carpes, dem größten Arschloch des Universums nicht mehr. Man konnte ihm nicht trauen. Und mein Vertrauen hatte er nach dieser Sache verspielt. Für immer.
   Eine weitere unterhaltsame Geschichte: Meine Eltern. Wenn man sie denn als Eltern betrachten konnte. Meine Mutter eine Angestellte und mein Vater der große, tolle Chef, den jeder ficken wollte. Nur war sie eben die einzige, die sich ihm nicht angebiedert hat. Und genau deshalb hatte er sie gewollt. Doch als er sie einmal gehabt hatte, hat er sie nicht weiter beachtet. Nach der Nachricht, dass sie ein Kind erwartete, richtete er meiner Mutter netterweise ein Zimmer in seinem Haus ein. Das war dann ich. Nur wenige Zeit später kam dann Adlayn. Keine Ahnung, warum sie zweimal den gleichen Fehler gemacht hatten. Und dann hatte er sie einfach sterben lassen, ohne etwas dagegen zu tun.
   Adlayn und ihr Ehemann setzten mich zu Hause ab. Es war ja klar gewesen, das nicht mehr drin war. Aber es war mir egal. Genau wie all die andere Scheiße. Ich wollte einfach alleine sein. Und tschüss.

𝗦𝗪𝗘𝗘𝗧𝗜𝗘 - kleines, devotes Kätzchen (1) (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt