Kapitel 20

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Ominis und ich verbrachten den gesamten Sonntag im Krankenflügel, bis Schwester Blainey uns wieder rausscheuchte. Auch die folgenden Tage verbrachten wir jede freie Minute an der Seite unseres bewusstlosen Freundes. Entweder erzählten wir ihm von unserem Tag oder ich las den beiden Slytherins etwas vor. Es wurde schon fast zur Routine. Als ich am Mittwoch am späten Nachmittag nach dem Unterricht in den Krankenflügel stapfte, eine Ausgabe von Jane Austens Stolz und Vorurteil unter den Arm geklemmt, ahnte ich nicht, was mich dort erwartete. Professor Black und Professor Weasley standen an Sebastians Bett und redeten mit dem lädierten Brünetten, welcher aufrecht in seinem Krankenbett saß. Vor Schreck ließ ich das Buch fallen. Er ist wach. Zögernd setzte ich einen Fuß vor den Anderen, bis ich richtig realisierte, was ich sah. Und dann sprintete ich los. Ohne Rücksicht auf die beiden leitenden Professoren warf ich mich an Sebastians Hals und zog ihn in eine feste Umarmung. Tränen der Erleichterung liefen meine Wangen herunter. Sebastian zog scharf Luft ein. „Autsch! Vorsichtig, Speedy, ich bin noch zerbrechlich." Leise in sich hinein lachend schlang der Brünette seine Arme um meinen zitternden Körper und erwiderte meine Umarmung erstaunlich kräftig für Jemanden, der vier Tage im Koma gelegen hat. Dabei zog er mich auf seinen Schoß und drückte mich so noch näher an sich heran. Ohne den Körperkontakt zu unterbrechen, lehnte ich mich ein kleines Stück zurück, um dem Slytherin in seine haselnussbraunen Augen zu sehen und legte eine Hand auf seine Wange. „Du bist wach!", schniefte ich. Sebastian legte seine Hand auf meine und drückte sie weiter an sein Gesicht. „Ist das so furchtbar, dass du weinen musst?", lachte er. „Nein, Blödmann!" Wenn er nicht übersäht von Hämatomen wäre, hätte ich ihm einen Klaps auf die Brust gegeben. „Ich bin einfach nur erleichtert." Sebastian wischte mit seiner Hand die Tränen aus meinem Gesicht und lächelte mich sanft an. „Das ist vollkommen unangebracht, Miss Y/LN! Sich so einem männlichen Mitschüler an den Hals zu werfen. Das gehört sich nicht!", echauffierte sich Professor Black hinter mir. „Ach jetzt lass sie doch, Phineas! Miss Y/LN sorgt sich eben um Mr. Sallow", verteidigte Professor Weasley meine Handlung und Sebastian rollte amüsiert mit den Augen. „Wir lassen Sie dann mal allein. Weiterhin gute Besserung, Mr. Sallow." Damit verschwand Professor Weasley aus dem sonst leeren Krankenflügel, den protestierenden Schulleiter hinter sich herziehend.

„Du sorgst dich um mich?" Sebastian grinste mich schief an und mein Herz machte einen Satz. „Natürlich, du Blödmann! Wie könnte ich nicht? Du hast 'nen scheiß Klatscher gegen den Kopf bekommen. Ich hab' mich schon bei deiner Beerdigung gesehen." Eine letzte, etwas wütende Träne stahl sich aus meinem Auge und der Slytherin wischte auch diese weg. „Warum hast du den Klatscher überhaupt abgefangen? Der war doch an mich adressiert. Von jemandem aus deinem Team, wohlgemerkt." Imelda hatte kurz nach dem Spiel den Treiber, der den Klatscher zielsicher in meine Richtung geschlagen hatte, lautstark aus dem Team geschmissen. Er hatte sich Gerüchten zufolge furchtbar darüber aufgeregt, dass Sebastian sich dazwischengeworfen und mir somit zum Sieg verholfen hatte. Es sollen Aussagen wie Es sollte das Schlammblut treffen und Sallow hat das nur gemacht, damit er die Schlampe später flachlegen kann gefallen sein. „Besser meine Beerdigung als deine", flüsterte Sebastian. „Ich hätte es nicht ertragen können dich auch noch zu verlieren. Deshalb habe ich den Klatscher abgefangen." „Und du meinst, ich hätte es ertragen können dich zu verlieren? Wenn ich es nicht wüsste, würde ich fragen, ob du einen Schlag auf den Kopf bekommen hast." „Ich würde es immer wieder tun, Y/N." Ich antwortete ihm nicht weiter und lehnte mich stattdessen wieder nach vorn in unsere Umarmung. Der Duft von Zedernholz umhüllte mich wie eine kuschelige, wohlriechende Decke an einem verschneiten Wintertag und ich atmete tief durch die Nase ein.

Wir verharrten eine ganze Weile in den Armen des Anderen, bis Sebastian die Stille unterbrach. „Was hast du vorhin eigentlich fallen lassen?" Meine Augen weiteten sich auf Tellergröße, als ich mich an das Buch erinnerte. Ich sprang von Sebastians Schoß und rannte zum Buch, welches aufgeklappt mit den Seiten nach unten auf dem Boden lag. „Scheiße! Wenn nur ein Eselsohr drin ist, bringt Cressida mich um! Ich habe es von ihr geliehen." Beim Aufheben inspizierte ich das gute Stück auf eventuelle Schäden, doch ich hatte Glück. Erleichtert kehrte ich zu Sebastians Krankenbett zurück, in welchem der Slytherin bereits ein Stück zur Seite gerückt war, damit ich mich neben ihn setzen konnte. Grinsend machte ich es mir in dem kleinen Bett gemütlich und zeigte Sebastian das Buch in meiner Hand. „Stolz und Vorurteil? Willst du mir eine Art Moralpredigt halten?" Enttäuscht schaute ich ihn an. „Kennst du das Buch etwa schon?" Mit einem sanften Lächeln legte Sebastian seine Hand auf meine, die auf dem Buch in meinem Schoß ruhte. „Schon vergessen? Ich lese jedes Buch, das mir in die Hände fällt. Es gibt also nicht viele Romane, die ich noch nicht kenne. Aber Jane Austen war eine hervorragende Autorin. Ich habe also nichts dagegen noch einmal bei Familie Bennett zu Besuch zu sein." Damit legte Sebastian seinen Kopf auf meine Schulter und mit klopfendem Herzen schlug ich das Buch auf. „Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass ein alleinstehender Mann im Besitz eines hübschen Vermögens nichts dringender braucht als eine Frau. Wow! Eine Frau als Objekt zur Sicherung des Geschlechts? Wie abwertend." Sebastian spielte mit dem Saum meines Rocks. „Ja, das war doch zu Jane Austens Lebzeiten Standard, dass die Ehe und Sex nur dazu dienten, sich fortzupflanzen und ein gewisses Ansehen in der Gesellschaft zu genießen." Ich schüttelte verständnislos den Kopf. „Also wenn ich mal heirate, dann soll es aus Liebe sein. Ein Leben lang mit einer Person verbringen, die ich nicht ausstehen kann oder bis vor dem Altar gar nicht kenne? Nein, danke!" Sebastian lachte leise in sich hinein. „Aus Liebe heiraten? Du kommst ja auf wilde Ideen. Nachher willst du noch arbeiten gehen", scherzte er in einem sarkastischen Ton. „Aber witzig. Die Hauptfigur, Elizabeth, ist da derselben Ansicht wie du. Wenn geheiratet wird, dann nur aus Liebe." „Wie siehst du das denn?", fragte ich den Slytherin neben mir. „Wenn ich mein Leben auf die Reihe bekomme, möchte ich auch mal heiraten. Und zwar eine Frau, die ich liebe." Ich nickte verständnisvoll. „Und wie stehst du zu... Nun ja... Sex?" Sebastian hob seinen Kopf von meiner Schulter und legte seine Hand auf meinem Oberschenkel ab. Fest blickte er mir in die Augen. „Das sehe ich ähnlich wie die Heirat. Ich möchte auch nur mit einer Person schlafen, die ich liebe. Ich möchte diese Art der Intimität nicht mit irgendeiner dahergelaufenen Frau erleben. Aber warum auf die Eheschließung warten und es nur tun, um Kinder in die Welt zu setzen? Dafür macht es zu viel Spaß." Bei diesem letzten Satz zwinkerte er mir zu und ich spürte die Röte in mein Gesicht steigen. Hat er etwa schon Erfahrung? Aber ich musste ihm zustimmen. „Ich möchte auch nicht auf die Ehe warten. Aber es soll schon derjenige sein, den ich liebe." Wir schauten uns einen Moment tief in die Augen. So nah an seinem Gesicht hätte ich seine Sommersprossen zählen können. Ich würde dich so gern küssen und dir auch den Rest deiner Klamotten vom Leib reißen. Dann schossen mir Bilder in den Kopf, wie Sebastian sich mit anderen Mädchen in den Laken wälzte und mein Magen zog sich zusammen. War ich wirklich eifersüchtig auf Mädchen, die ich nicht kannte und von denen ich nicht wusste, ob sie wirklich existierten? Verdammt das war ich. Verlegen unterbrach ich den Blickkontakt und widmete mich wieder dem Buch in meinem Schoß. „Ich lese dann mal weiter", verkündete ich mit einem Kloß im Hals und Sebastian legte wieder seinen Kopf auf meine Schulter.

Ich hatte gerade das erste Kapitel beendet, als Sebastian seinen Kopf auf meinem Schoß ablegte und vor sich hin schlummerte. Sein regelmäßiger Atem beruhigte mich und ich hätte mich am liebsten dazugelegt. Vorsichtig, um den dösenden Slytherin nicht zu wecken, legte ich das Buch auf dem Beistelltisch ab und begann gedankenverloren mit meinen Fingern durch seine weichen kastanienbraunen Haare zu fahren, woraufhin ich einen entspannten Seufzer kassierte. „Mmmh. Kannst du das ab jetzt immer machen?", nuschelte es in meinem Schoß. „Ich dachte du schläfst", kicherte ich leise und nahm meine Hand aus seinem Haar. „Ich habe vier Tage geschlafen, Y/N. Irgendwann ist auch mal gut. Aber du kannst gern weiter machen. Ich beneide gerade jede Katze, die du vorher gekrault hast. Im nächsten Leben werde ich auch eine." „Im nächsten Leben?" Ich schnaufte einmal. „Sebastian, du bist sechzehn! Das nächste Leben wartet noch lange nicht auf dich." Der Slytherin drehte sich auf den Rücken und sah mich ernst an. „Das kann schneller gehen, als du denkst. Wer weiß? Vielleicht wache ich morgen nicht mehr auf." Entsetzt erwiderte ich seinen Blick. „Sebastian Sallow! Daran will ich gar nicht denken! Und das solltest du auch nicht!" „Aber heißt es nicht Memento mori?" Alter Klugscheißer.Memento mori am Arsch! Ich möchte einfach nicht an deinen Tod denken, okay? Den Gedanken kann ich nicht ertragen. Die letzten Tage haben mir gereicht. Das war genug Aufregung für ein ganzes Jahrzehnt." „Okay." Sebastian setzte sich wieder auf und nahm meine Hände in seine. „Tut mir leid, dass ich dir Sorgen bereitet habe." In diesem Moment kam Ominis zur Tür hereinspaziert. Er schien Sebastians Worte gehört zu haben, denn er eilte zu uns, eine Mischung aus Wut und Erleichterung im Gesicht. „Sebastian 'Ich muss alle retten' Sallow! Du hast mir 'nen scheiß Schrecken eingejagt! Mach das nie wieder, sonst bringe ich dich um!" Am Ende seiner Schimpftirade war der blonde Slytherin an dem Bett, in dem Sebastian und ich saßen, angekommen und streckte seine Arme aus. „Komm her, du Arschloch!" Sebastian beugte sich über mich rüber und die beiden besten Freunde kollidierten in einer festen Umarmung, was Sebastian kurz vor Schmerzen aufheulen lässt. „Du lässt deine weiche Seite raushängen, Ominis", grinste Sebastian als sie sich voneinander lösten. „Halt die Schnauze, Sebastian. Genieße sie einfach, solange sie noch da ist." Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen setzte Ominis sich auf den Stuhl neben dem Bett. „Und wie lange hat die Schule noch Ruhe vor dir?" „Ach, jetzt tu' nicht so, als würdest du mich nicht vermissen, Ominis." Sebastian setzte sich wieder neben mich und legte seinen Arm um meine Schultern. „Tu ich nicht. Ich bin ganz froh, dass ich mir dein dummes Gerede für ein paar Tage nicht anhören musste." Die zwei sind wie ein altes Ehepaar. „Ich soll noch bis Freitag zur Beobachtung hierbleiben. Das sollte genug Erholung für dich sein." „Gerade so", lachte Ominis. Wir verbrachten den Abend wieder gemeinsam und Ominis und ich besuchten Sebastian bis Freitagnachmittag im Krankenflügel, bis er endlich entlassen wurde.



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Ich danke meiner Betafee, dass sie mir die Welt von Jane Austen gezeigt hat. Ich dachte zunächst, dass das absolut nicht my cup of tea wäre. Aber in Betafee we trust.

In the Shadows - Sebastian Sallow x Reader (German)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt