Kapitel 4

577 27 5
                                    

TW: Angst, PTBS



Gemeinsam mit Natty und Poppy machte ich mich auf den Weg zum Klassenzimmer für Verteidigung gegen die dunklen Künste. „Ich bin gespannt, was Professor Hecat diesmal vorbereitet hat." Poppy bebte vor Aufregung. Nachdem wir letztes Jahr unsere ZAGs bestritten hatten, sind die Klassen für die kommenden zwei Jahre nach Leistung sortiert worden. Wir drei haben allesamt mit der Bestnote O bestanden. Als wir durch die Tür des Klassenzimmers traten, waren kaum Schüler anwesend. Ausnahmsweise überpünktlich setzten Natty und Poppy sich an einen freien Tisch in einer der mittleren Reihen, während ich am Tisch hinter ihnen Platz nahm. Da noch genug Zeit zum Quatschen war, drehten sich meine zwei Freundinnen zu mir um. „Ich habe gehört, dass die fortgeschrittenen Fächer sehr anspruchsvoll sein sollen. Bleibt nur zu hoffen, dass ich die UTZs nicht vermassele. Ich brauche Verteidigung gegen die dunklen Künste für meine Laufbahn als Heilerin." Natty runzelte besorgt die Stirn. „Warum denkst du denn, dass du hier nicht bestehst? Ich habe dich kämpfen sehen und möchte mich wirklich nicht mit dir anlegen", ermutigte ich die Gryffindor. „Danke Y/N, du findest immer die richtigen Worte." Nattys besorgte Miene verwandelte sich wieder in das Lächeln, das üblicherweise ihr Gesicht zierte.

„Ist hier noch frei?" Ich musste gar nicht hinsehen, um zu wissen, dass es Sebastian war. Natürlich hatte er ebenfalls mit O bestanden. Aber etwas Anderes hatte ich auch nicht erwartet. „Nur wenn du mir sagst, wo du Ominis gelassen hast." Mit diesen Worten drehte ich mich zu dem Slytherin um. „Nun, das hier ist die Klasse für diejenigen, die ihre ZAGs mit O bestanden haben, richtig? Ominis hat tatsächlich nur ein E geschafft. Wobei E immer noch eine gute Note ist." Ich klopfte auf den freien Platz neben mir, um Sebastian zu signalisieren, dass er sich setzen sollte.

Hoffentlich lenkt seine Präsenz mich nicht zu sehr ab.

„Guten Morgen und willkommen zu Verteidigung gegen die dunklen Künste für Fortgeschrittene." Professor Hecat war aus ihrem Büro aufgetaucht und begrüßte uns zur ersten Unterrichtsstunde in unserem sechsten Schuljahr. „Bevor wir beginnen, möchte ich gern hören, was sie über Irrwichte wissen." Amits Hand schoss sofort in die Höhe. „Bitte, Mr. Thakkar." „Ein Irrwicht ist ein Schreckgespenst, welches jedem anders erscheint. Es lauert an einem dunklen Ort, an dem keiner es sehen kann. Befreit man einen Irrwicht, tritt er einer Person in der Gestalt entgegen, vor der sie sich am meisten fürchtet." Amit war wirklich ein Lexikon auf zwei Beinen. „Sehr gut, Mr. Thakkar. Fünf Punkte für Ravenclaw." Professor Hecat ließ ihren Blick über die Klasse schweifen. „Und wer kann mir sagen, wie man einen Irrwicht vertreibt?" Amits Hand schoss erneut nach oben. „Sie nicht, Mr. Thakkar. Ich weiß, dass sie es wissen. Ihre Mitschüler sollen sich ruhig auch trauen. Ich beiße nicht." Langsam erhob sich eine Hand neben mir. „Ah, Mr. Sallow. Wir hören." „Um einen Irrwicht auszutreiben, muss man sich über ihn lustig machen. Man überlegt sich etwas Lächerliches, in das man den Irrwicht verwandeln möchte und spricht dann den Zauber Riddikulus. Durch Gelächter wird er zum Platzen gebracht." „Sehr schön. Fünf Punkte für Slytherin. Nun denn, folgen Sie mir bitte." Professor Hecat führte uns aus dem Klassenraum und die Treppen des Turmes hinunter, in einen Raum vor dem ein Wasserspeier nicht aufhörte zu brabbeln. Es war ein recht kleiner Raum mit einem Tisch in der Mitte, einem Kamin an der Wand und einem Schrank am anderen Ende des Raumes. Die ältere Hexe schwang kurz ihren Zauberstab und schaffte so Platz in der kleinen Kammer. Sie stellte sich vor den Schrank, der Klasse zugewandt. „Wie Sie sich vermutlich denken können, befindet sich in diesem Schrank ein Irrwicht. Sie werden Ihren schlimmsten Ängsten begegnen. Machen Sie sich auf etwas gefasst. Nun denn. Wer möchte beginnen?" Eine Ravenclaw meldete sich freiwillig. Als sie sich vor dem Schrank positionierte, schwang die verspiegelte Tür auf und gab den Blick auf einen riesigen Käfer frei. „Iiiek! R-riddikulus!" Der riesige Käfer gab ein Pfeifen von sich, das stark an einen Kessel kochenden Wasser erinnerte. Dampf stieg aus dem Rücken des Käfers auf und ließ ihn langsam schrumpfen. Die Klasse brach in Gelächter aus. „Und der Nächste!" Professor Hecat war sichtlich amüsiert. Als nächstes war ein Hufflepuff an der Reihe. Der Irrwicht verwandelte sich in einen Troll. „Riddikulus!" Die Keule des Trolls verwandelte sich in eine Gummikeule und schlug wie ein Hundespielzeug quietschend auf den Troll ein. Erneut schallendes Gelächter. Einer nach dem anderen stellte sich seiner Angst und brachte die Klasse zum Lachen. Dann war ich an der Reihe. Der Irrwicht, welcher gerade noch als Murmel auf dem Boden gekullert hatte, verwandelte sich und dann traf mich der Schlag: Vor mir lagen die Leichen meiner Freunde. Ich verlor den Boden unter den Füßen. Mit einem Klingeln in den Ohren und verschwommener Sicht brach ich weinend auf dem Boden zusammen. Ich spürte Hände, die mich rüttelten, Arme, die mich fest umschlangen. Ich nahm alles nur weit entfernt wahr. Ein schwarzer Schleier umhüllte mich und ich droht jede Sekunde ohnmächtig zu werden. „Riddikulus!" Ich hörte Sebastians Stimme den Schleier durchdringen. Ein merkwürdiges Dröhnen und Gelächter folgten. Langsam erlangte ich meine Sinne zurück. Natty war diejenige, welche mich schützend im Arm hielt, Poppy mit besorgter Miene vor mir. Ich vernahm ein lautes Schnarchen. Der einstige Haufen Leichen war nun ein schnarchendes Wirrwarr aus meinen schlafenden Lieben. Hätte der Irrwicht mich nicht so aus dem Konzept gebracht, hätte ich es sicherlich lustig gefunden, doch nun saß ich auf dem Boden und konnte die Tränen nicht stoppen. „Alles ist gut, Y/N. Wir sind hier. Das war nur ein Irrwicht." Natty hielt mich noch immer fest im Arm. Inzwischen hockte auch Sebastian vor mir. „Riddikulus", hörte ich Professor Hecat rufen. Darauf folgte das Knallen einer Tür. „Das sollte für heute genügen!" Mit Besorgnis in der Stimme beendete die Professorin die Unterrichtsstunde. Ich konnte die Tränen noch immer nicht stoppen als ich plötzlich zwei warme Hände an meinen Wangen spürte. Natty ließ von mir ab, hatte aber noch eine Hand auf meinem Rücken platziert und fuhr mit beruhigend auf und ab. „Hey, schau mich an!" Als ich die Augen öffnete, blickte ich direkt in die haselnussbraunen Augen von Sebastian Sallow. „Y/N, das war nicht echt. Wir sind hier, wir sind alle am Leben." Beruhigend strich Sebastian mit seinem Daumen über meine Wange. Da war er wieder: der Drang ihn zu umarmen und nicht mehr loszulassen. Und diesmal gab ich mich dem Verlangen hin. Schluchzend, aber erleichtert schmiss ich mich in seine Arme. Sebastian zögerte keine Sekunde und schlang seine Arme um mich. Fest drückte er mich an sich. „Es ist alles gut", nuschelte er in mein Haar. Die Wärme der Umarmung und der Duft nach Zedernholz beruhigten mich beinahe augenblicklich. Wir verharrten noch einen kleinen Moment in den Armen des Anderen, dann löste sich Sebastian von mir. Er hielt mich dennoch nahe und blickte mich aus besorgten Augen an. „Alles in Ordnung?" Sanft wischte mein Freund mir die Tränen aus dem Gesicht. Zögernd nickte ich und zwang ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. „Kannst du aufstehen?" Erneut bejahte ich. Sebastian half mir auf. Ich war immer noch wackelig auf den Beinen, fing mich aber schnell. Dann erst realisierte ich es: Ich hatte mich soeben vor der versammelten Klasse Sebastian Sallow an den Hals geworfen. FUCK! Noch offensichtlicher wäre nur eine Leuchtreklame über meinem Kopf gewesen, welche in blinkender Neonschrift verkündete 'Ich bin verliebt in Sebastian Sallow'. Ich spürte, wie mein Gesicht rot anlief – darin war es inzwischen gut trainiert. „Entschuldige bitte." Verlegen wanderte mein Blick zu Boden. „Entschuldigen? Was soll ich entschuldigen?" Der Slytherin schien sichtlich verwirrt. „Na, dass ich, nun ja, dich einfach umarmt habe", gab ich schüchtern zu. „Kein Grund sich zu entschuldigen, Y/N. Du scheinst es gebraucht zu haben und ich bin froh, dass ich dir helfen konnte", versicherte Sebastian. „Dann danke. Für deine Hilfe." Ich wandte mich an Poppy und Natty. „Euch danke ich auch." „Dafür sind Freunde doch da." Natty lächelte mich aufmunternd an. „Ich brauche frische Luft", ließ ich verlauten und machte mich auf den Weg, meine Sachen aus dem Klassenzimmer einzusammeln und auf dem Hof kurz durchzuatmen. Obwohl mir die Umarmung vor versammelter Mannschaft unangenehm war, kam ich nicht umhin darüber zu lächeln. Sebastian war warm und trotz seiner Stärke unheimlich sanft gewesen. Sein Duft hing an meiner Kleidung und ich war insgeheim froh darüber. Er erfüllte mich mit einem Gefühl von Geborgenheit. Ein Funken Stolz machte sich in meiner Brust bemerkbar. Stolz darüber, dass ich mich endlich getraut habe Sebastian ein kleines Stück näher zu kommen. Seufzend richtete ich den Blick gen Himmel, schloss die Augen und genoss für einen Moment das Prickeln der Herbstsonne auf meiner Haut.



~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Dieses Kapitel zu schreiben hat unheimlich viel Spaß gemacht.

Ich hoffe, es zu lesen hat Euch auch so viel Spaß bereitet.

Bis demnächst :)

In the Shadows - Sebastian Sallow x Reader (German)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt