sechsundzwanzig

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BIRNE

Konzentriert versuche ich, mir schwarzen Nagellack aufzutragen. Ich habe mir meine Nägel bestimmt schon eine Ewigkeit nicht mehr lackiert, was auch meine Fähigkeit diesbezüglich erklärt.

Ich sitze im Schneidersitz auf meinem Schreibtischstuhl. Lou würde sich jetzt wieder beschweren, wie ich denn so überhaupt sitzen kann. Da mein Stuhl Armlehnen hat, liegen meine Knie auf diesen. Ich glaube, ich sehe aus wie ein Frosch, aber es ist wirklich bequem.

Vor mir steht die Efeutute, die ich von Mücke entführt habe. Seine Mutter scheint sie hin und wieder gewässert zu haben, denn sonst wäre sie schon längst über alle Berge. Diese Gattung Pflanzen halten normalerweise auch mal etwas mehr aus. Meine erste Pflanze hat auch zu den Efeututen gehört.

Ich habe sie umgetopft, da sie unfassbar viele Wurzeln hatte und die Erde, in der sie gestanden hat, wasserabweisend gewesen ist. Diese ganzen Wurzeln hätten niemals ausreichend Wasser bekommen. Leider passt die Pflanze nicht mehr in den vorherigen Übertopf, doch dafür werde ich schon etwas Neues finden.

Nach einem ordentlichen Trunk und dem Entfernen der gelben Blätter sieht sie gar nicht mal so übel aus. Sobald sie sich eingelebt hat, werde ich mir ein paar Ableger nehmen und später dort wieder eintopfen, um der Pflanze etwas mehr Fülle zu geben.

«Na du Trauerkloß?» Becca kommt durch meine bereits offenstehende Zimmertür herein und lässt sich rücklings auf mein Bett fallen. Sie hat durch Überstundenabbau ein verlängertes Wochenende und daher beschlossen, uns mit ihrer Anwesenheit zu bescheren.

«Ich bin kein Trauerkloß», schmolle ich und schnaube, als ich mir nicht nur den Nagel, sondern auch meinen kompletten Mittelfinger anmale.

«Erzähl das der Kuhmütze auf deinem Kopf und der deprimierenden Musik, mit der du uns seit heute früh beschallst», kontert sie und spielt an ihrem Handy herum.

Protestierend rücke ich die Mütze zurecht..

«I love sad songs more since I know you. They make me feel am losing you?», zitiert sie das Lied, das gerade gespielt wird.

Beleidigt entsperre ich mein Handy und überspringe die nächsten Lieder. Zuerst habe ich mir die Alben von Rise Against angehört, weil ich vor Mücke nicht zugeben konnte, dass ich nicht so vertraut mit den Liedtiteln und Albennamen bin. Das hat sich allerdings schnell als eine schlechte Idee herausgestellt. Denn jedes Mal konnte ich ihn vor meinem inneren Auge sehen, wie er neben mir im Auto gesessen hat und freudig den Musik-Nerd raushängen lassen hat. Während ich daran zurückdenke, wie er mir in diesem Moment unfassbares Herzklopfen beschert hat, macht mich das alles nur noch trauriger.

Kilian gesellt sich auch zu uns. Aber nicht ohne gegen die Hörner meiner Mütze zu schnipsen. «Dein Musikgeschmack hat sich besonders, seit du Mücke kennst, nochmal eine Spur mehr Richtung Punk bewegt.»

Er grinst selbstgefällig, obwohl er derjenige ist, der mich erst in diese Richtung geschoben hat. Am liebsten würde ich etwas werfen.

«Ihr seid richtig gemein, wisst ihr das?»

Becca schüttelt ihren Kopf und Kilian lächelt sie an. «Du bist einfach nur unfassbar süß», quietscht sie. «Wie du da sitzt und in Liebeskummer ertrinkst.»

«Ich habe keinen Liebeskummer», protestiere ich.

«That I can live without you, but without you I'll be miserable at best», singt nun auch Kilian das nächste Lied fröhlich und überspitzt mit.

Kilians Freundin lacht. «Bei Mayday Parade sind wir schon angelangt?»

«Nur weil deren ersten beide Alben quasi aus Herzschmerz bestehen, bedeutet das gar nichts.»

in case I fall for youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt