BIRNE
Mir ist zum Kotzen übel, während ich vor dem Spiegel stehe und die letzte Strähne meiner Haare an meinem Kopf festklebe. Ich hasse es, wenn sie so nach hinten gegelt sind, ich sehe aus wie ein Lackaffe. Was man nicht alles tut, wenn der eigene Vater die Haarstruktur hasst, die man von ihm geerbt hat.
Ich bin ja froh, dass Kilian mir ausreden konnte, das Blau meiner Haare zu überfärben.
Wir wollen in zehn Minuten aufbrechen und ich werde beinahe wahnsinnig, weil Mücke noch nicht da ist. Dabei weiß ich, dass er sehr großen Wert auf Pünktlichkeit legt. Wir müssten eine gute dreiviertel Stunde zu früh bei meinen Eltern aufkreuzen, nur bin ich mir nicht sicher, ob das nicht zu wenig ist.
Nach Zürich sind es gut zwei Stunden mit dem Auto. Also habe ich drei Stunden eingerechnet bis die Feier schließlich beginnt. In mir tobt allerdings dieses ungute Gefühl, dass das zu knapp wird. Allerdings sehe ich es auch nicht ein Stunden vorher bei meinen Eltern aufzutauchen. Immerhin wollen wir versuchen den Schaden so begrenzt wie möglich halten.
Als es klingelt, zucke ich zusammen und erschrecke mich gleichzeitig vor meiner eigenen Reaktion im Spiegel. Hinter mir kommt Nala angerannt, die ihre Rute freudig gegen meine Waden schlägt.
«Au», murre ich und drücke mich mit wackligen Knien an ihr vorbei zur Sprechanlage. «Hallo?»
«Hi, ich bin's Mücke.»
Ich öffne die Haustür unten mit einem Knopfdruck und ziehe die zur Wohnung auf. Ich zeige der Hündin, auf ihren Platz zu gehen, weil sie nicht ins Treppenhaus rennen soll.
Als der Rothaarige neben mir im Flur steht und verschwörerisch an mir vorbei linst, weil er Nala sucht, fühle ich mich etwas besser. Seine Augen weiten sich, als er sich mir zuwendet. «Wenn deine Haare nicht türkis wären, dann würde ich in Frage stellen, ob das wirklich du bist.»
Ein nervöses und schrilles Lachen entwischt mir. «Hab schon überlegt, ob ich sie färben soll.»
Ich bin so froh, dass er so aussieht wie immer. Es tut mir so leid, dass ich sein Angebot angenommen habe und ihn mitschleife, damit ich nicht allein gehen muss.
Auch wenn ich liebe, dass er sich nicht versteckt, macht es mir Angst. Wenn irgendeiner meiner beiden Elternteile, auch nur daran denkt, Mücke ins Gesicht zu beleidigen, werde ich das rauslassen, was ich die letzten zweiundzwanzig bei mir behalten habe.
Mücke schließt die Tür hinter sich und wird im nächsten Moment beinahe von mir umgerannt. Eine Umarmung von ihm ist genau das, was ich jetzt brauche. Am liebsten würde ich ihm kleine Küsse in die Halsbeuge setzen, ihm Jacke und Schuhe abnehmen und mich mit ihm für den restlichen Tag im Bett verkriechen.
«Siehst du deine Eltern nicht zwischendurch auch mal?», fragt er, als wir uns wieder voneinander lösen. «Du kannst dir doch nicht jedes Mal die Haare färben.»
«Das ist etwas anderes. Sie haben Freunde und Geschäftspartner eingeladen. Deren Kinder haben mindestens genauso einen Stock im Arsch.» Weiß auch nicht warum man für die so viel Aufwand betreiben muss. Am Ostersonntag werde ich mich für unser Familienessen sicher nicht so verunstalten. Das können sie sich wortwörtlich abschminken. Mir ist doch egal, ob Papas Mutter durch mein Auftreten einen Herzinfarkt bekommt. Sie sollte auch mal im einundzwanzigsten Jahrhundert ankommen. Es geht mir jetzt schon tierisch auf die Nerven, dass sie nur französisch spricht, obwohl sie der deutschen Sprache durchaus mächtig ist.
Genau genommen möchte ich das kommende Wochenende auf vielfache Weise verdrängen. Denn Mücke wird von Karfreitag bis Ostersonntag nicht in der Schweiz, sondern knapp tausend Kilometer weiter in Kroatien sein. Wie ich das überleben soll, ist mir ein Rätsel.
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in case I fall for you
General FictionDie große Liebe gibt es. Oder? Wo Mücke die Hoffnung, Liebe zu finden, fast aufgegeben hat, ist Birne fleißig am Suchen. Der eine hält sich lieber fern vom Zwischenmenschlichen, während der andere zwischen Tinder-Dates und hoffnungslosen Schwärmerei...