MÜCKE
Es war eine Qual gewesen, Birne aus dem Bett zu kriegen. Aber ich hatte es dennoch geschafft, dass er eine knappe halbe Stunde bevor wir aufbrechen mussten endlich in die Gänge kam.
Von Danica erntete ich vielsagende Blicke, als Birne es sich zwischen uns auf der Rückbank bequem machte. Ich hatte ihre Nachricht gestern Abend unbeantwortet gelassen. Genau wie gestern entschied ich mich nichts zu sagen, winkte stattdessen nur unauffällig ab.
Da unsere Eltern auf den Stau am Gotthard verzichten wollten, fuhren wir via Montreux über den Simplon Pass. Birne war – wer hätte es auch anders erwarten können – der erste gewesen, der eingeschlafen war. Es dauerte nicht lange, bis ich ebenfalls weggenickt war. Als wir Montreux erreichten und der Genfersee zu sehen war, erwachte ich kurz. Es war noch zu früh, sodass der See und die Berge dahinter noch immer in Dunkelheit gehüllt waren. Birnes Kopf lehnte an meiner Schulter. Er schlief tief und fest. Durch die Boxen des Wagens drang leise Musik aus dem Balkan. Und genauso leise sang mein Vater auch mit, damit er niemanden auf dem Rücksitz damit weckte. Meine Mutter sass auf dem Beifahrersitz und schenkte ihrem Mann verliebte Blicke wie am ersten Tag. Schwach wanderten meine Mundwinkel nach oben, ehe ich zurück in den Schlaf abdriftete.
Als ich das nächste Mal wach wurde, hatten wir oben auf dem Simplonpass einen kurzen Stopp eingelegt. Mein Vater wollte sich kurz die Beine vertreten und eine Zigarette rauchen. Obwohl wir April hatten, lag oben auf dem Pass noch immer Schnee. Ich überlegte, ob ich Birne wecken wollte, doch dieser schlief noch immer felsenfest an meiner Schulter. Als ich nach unten in den Schoss blickte, nahm ich ein wohlig warmes Gefühl in meiner Brust wahr. Birnes Hand lag ganz dicht neben meiner, sodass sich unsere Finger vorsichtig berührten.
«Mama», fragte ich flüsternd in die Richtung des Beifahrersitzes, «gibst du mir bitte meine Wasserflasche?»
Mit einem vielsagenden Grinsen im Gesicht reichte sie mir die Flasche. Ich versuchte nicht mit den Augen zu rollen, während ich in den Strohhalm der Flasche biss, um daraus zu trinken. So gut es ging, versuchte ich Birne nicht zu wecken, als ich meiner Mutter die Flasche zurück nach vorne gab.
Mein Vater kehrte nach seiner Raucherpause zurück zum Wagen. «Es sind noch gute zwei Stunden bis Mailand», informierte mich mein Vater beim Einsteigen, «Dann wechseln wir, ist das okay für dich?»
Ich nickte. «Geht klar.» Mein Vater startete den Wagen und ich lehnte mich zurück in den Sitz. Vielleicht lehnte ich mich auch etwas mehr in Birne hinein. Vielleicht war ich auch mehr als nur ein klein wenig froh, dass Birne eingewilligt hatte, mit nach Kroatien zukommen. Die Vorstellung, jeden Abend neben Birne eingekuschelt einzuschlafen und wieder aufzuwachen, war wunderschön.
Als die Fahrt weiter ging, fand ich jedoch keinen Schlaf mehr. Stattdessen sah ich der Sonne langsam dabei zu, wie sie aufging und die Landschaft mit ihren warmen Frühlingsstrahlen zum Leben erweckte. Kurz vor der Raststätte, an der mein Vater und ich die Plätze tauschen wollten, erwachte auch langsam Birne wieder aus seinem Dornröschenschlaf.
«Sind wir schon da?», gähnte er. Birne rieb sich den Schlaf aus den Augen, während er seinen Kopf vorsichtig von meiner Schulter hob. Obwohl sein Kopf mit der Zeit sich angefangen hatte sich schwer auf meiner Schulter anzufühlen, so vermisste ich dennoch gleich seine Nähe.
«Es geht noch einen Moment», informierte ich Birne. Obwohl er seinen Kopf etwas von mir abgewandt hatte, war ich mir sicher, dass er gerade aufgrund meiner Antwort angefangen hatte zu schmollen.
Ich überlegte, ob ich ihm einen Kuss auf die Wange drücken sollte. Aber ich hatte keine Ahnung, wie Birne dazu stand, Zärtlichkeiten dieser Art vor meinen Eltern auszutauschen. Ihn im Auto mit Küssen zu überfallen, war echt nicht die feine englische Art.
DU LIEST GERADE
in case I fall for you
General FictionDie große Liebe gibt es. Oder? Wo Mücke die Hoffnung, Liebe zu finden, fast aufgegeben hat, ist Birne fleißig am Suchen. Der eine hält sich lieber fern vom Zwischenmenschlichen, während der andere zwischen Tinder-Dates und hoffnungslosen Schwärmerei...