zweiunddressig

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MÜCKE

«Ich geh schon», rief ich in die Wohnung hinein, als die Klingel zu hören war. Sehr wahrscheinlich war es eh Gustav, der bemerkt hatte, dass er irgendetwas für Laika vergessen hatte. Auf den Wollsocken rutschte ich über den Linoleumboden durch den ziemlich chaotischen Gang. Überall standen halb gepackte Taschen herum.

Doch als ich die Tür öffnete, stand da kein blonder Zwerg. Stattdessen war da ein etwas geknicktes Häufchen Elend mit türkisblauen Haaren im Gang des Hauses. Es fühlte sich so an, als ob Birnes Haare ihren strahlenden Glanz verloren hatten. Trüb hingen sie in das blasse Gesicht. Er traute sich kaum, zu mir hoch zu schauen.

Obwohl das Essen bei seiner Familie bereits ein paar Tage zurücklag, schien es ihn immer noch nicht ganz losgelassen zu haben. Als ich Montag gegen Nachmittag aufgebrochen bin, hätte er mich am liebsten gar nicht gehen lassen wollen. Ich verstand, dass er nicht allein sein wollte. Aber ich hatte leider wirklich noch einen Haufen an Dingen zu erledigen, bevor wir morgen in aller Herrgottsfrühe nach Kroatien aufbrechen würden.

In den Nachrichten, die wir seitdem miteinander ausgetauscht hatten, fehlte der Sarkasmus, vor denen sie sonst nur so trieften. Birne wirkte wie ausgewechselt. Er war im Moment nicht mein kleiner Gnom, der mich gerne ärgerte. Stattdessen war Birne zurückhaltend und unglaublich verängstigt.

«Hey», ich versuchte ihn mit einem freundlichen Lächeln etwas aufzumuntern. Vorsichtig lehnte ich mich zu ihm rüber. Meine Hand legte ich auf seine Hüfte, damit ich besseren Halt hatte, um ihm einen Kuss auf die zerzausten Haare zu pressen. Wenn ich Marla wäre, würde ich beim Anblick der abgelegten Lockenpflege sehr wahrscheinlich schreien.

Es dauerte nicht lange, bis Birne seine Arme um mich schlang. Fest drückte er mich, während er seinen Kopf im Stoff meines Hoodies vergrub. «Hey», flüsterte ich erneut. Meine Hand wanderte nach hinten zu seinem Kreuz. Fürsorglich strich ich über den Stoff der Jeansjacke, die Birne trug.

«Willst du reinkommen?», flüsterte ich gegen Birnes Stirn. Jedoch nicht ohne weitere Küsse darauf zu verteilen.

«Störe ich denn nicht?», flüsterte Birne gegen den schwarzen Stoff.

Ich schüttelte den Kopf. «Das tust du nie», versicherte ich Birne. Nur ungern löste ich mich von ihm. Ich griff jedoch nach seiner Hand und zog ihn in die Wohnung. Er schlüpfte aus seinen Schuhen im Vorbeigehen und folgte mir in mein Zimmer.

«Ignorier einfach das Chaos», zwinkerte ich ihm zu. Ich führte Birne durch den Gang und zwischen dem herumstehenden Gepäck in mein Zimmer.

Ohne die halb gepackte Tasche sowie die ganzen T-Shirts die am Boden herum lagen zu beobachten, schmiss sich Birne vielleicht ein klein wenig zu theatralisch auf mein Bett. Etwas unbeholfen schob ich die Tasche beiseite, sodass ich mich auf die Bettkante setzen konnte. Während Birne seinen Kopf in den Kissen vergrub, platzierte ich meine Hand auf seinem Unterschenkel. Vorsichtig zeichnete ich kleine Kreise mit meinem Daumen.

«Was machst du da?», fragte ich etwas belustigt, als ich Birne dabei zusah, wie er seine Nase nur noch mehr in meine Kissen presste.

«Deinen Geruch einatmen», brummte Birne unverständlich gegen den Kissenbezug, «Vielleicht bleib ich auch einfach hier, bis ihr zurück seid und meide einfach alles und jeden.»

Birnes Finger griffen nach dem Robbenplüschtier, auf das er sich beinahe gesetzt hatte. Marla hatte es mir vor ein paar Jahren zu Weihnachten geschenkt. Doch nun lag es praktisch unter Birnes Kopf, so als ob es ein Kissen war.

Ich überlegte kurz, ob ich ihn darauf aufmerksam machen wollte, dass mein Plüschtier kein Kopfkissen war. Doch ich hielt meine Klappe. Stattdessen beobachtete ich Birne dabei, wie dieser an der Beanie, welche das Plüschtier trug, herumzupfte.

in case I fall for youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt