fünfundvierzig

79 12 1
                                    

BIRNE

Sobald ich die Handbremse angezogen habe, springe ich beinahe aus dem Auto. Bevor ich allerdings wirklich losstürme, reiße ich die hintere Tür der Fahrerseite auf und schnalle Nala ab.

Kurz darauf suchen meine Augen Mücke, der gemütlich aus dem Wagen gestiegen ist. Er streckt sich erstmal genüsslich.

Zwei Sekunden lang frage ich mich, ob ich auf ihn warten sollte. Meine Hummeln im Hintern und die impulsiven Gedanken gewinnen allerdings, weshalb ich auf dem Absatz kehrt mache und die Koppeln schon von Weitem absuche.

«Wo gehst du hin?», ruft mein Freund mir irritiert nach.

Ich bin zu schnell und zu zielgerichtet, um ihm eine vernünftige Antwort liefern zu können.

Es ist immer wieder eine Erleichterung, wenn ich erkenne, dass ich durchaus in der Lage bin, über den hohen Zaun zu klettern. Sobald ich das nicht mehr schaffe, weiß ich, dass ich wirklich alt geworden bin.

Ich nähere mich der kleinen Herde Kühe und beginne ab einer bestimmten Distanz zu pfeifen.

Verschiedene Köpfe heben sich, was mich mit großer Euphorie füllt. Ein paar lösen sich von der Gruppe und kommen direkt auf mich zu, vermutlich denken sie, dass ich etwas zu Essen dabei habe.

Strudel ist allerdings die, die ich suche. Bei ihrer Begrüßung ist sie etwas übereifrig, weshalb ich bereits in den ersten Minuten auf der Farm beinahe von einer Kuh umgerannt werde.

Die braun-weiß gefleckte Kuh reißt ihren Kopf hoch und rammt ihn danach in meine Magengrube. Ich japse kurz auf und baue etwas Abstand zwischen uns auf, um ein paar ruhige Atemzüge zu nehmen. «Du vergisst gerne, dass ich keine Kuh bin, oder?»

Es wäre toll, wenn das gerade zum ersten Mal passiert wäre. Leider ist es das nicht. Ich scheine manchmal nichts aus meinem Leben mit Kühen gelernt zu haben.

Strudel sieht mich nur aus ihren großen braunen Augen an und kommt wieder einen Schritt auf mich zu.

Kopfschüttelnd, aber lächelnd und mit einem mulmigen Gefühl im Magen, beginne ich über ihren Kopf zu streicheln. Ich kraule sie hinter den Ohren und zwischen den Augen, weshalb sie ihren Kopf neigt und ihre Schnauze in die Höhe streckt.

Als ich Nala entdecke, die freudig um mich rumwuselt, werfe ich einen Blick über meine Schulter.

Mücke ist der Hündin nicht gefolgt, sondern steht hinterm Zaun und sieht zu uns hinüber.

Mit schnellen Schritten begebe ich mich in seine Richtung. Strudel und Nala begleiten mich. Ein paar der anderen Mädels sind uns dicht auf den Fersen.

«Traust dir zu, über den Zaun zu klettern?», frage ich Mücke. Ich stelle mich auf die unterste Latte und strecke meinen Arm nach ihm aus.

Er mustert mich skeptisch. «Sollten wir nicht erst deinen Großeltern hallo sagen?»

Ich wedle mit meiner Hand vor seinem Gesicht herum und gehe nicht auf seine Frage ein. Begleitet von einem tiefen Seufzen, greift er endlich nach meiner Hand und steigt auf die untere Zaunlatte, die ich ihm freimache.

Mit einer Leichtigkeit schwingt er sich in die Koppel und kommt mit beiden Füßen auf dem Boden auf.

Vorsichtig streckt er Strudel seine Hand hin, die sie eifrig beschnuppert. «Irgendwie hab ich dich die meiste Zeit als den Zürcher Großstadtmensch gesehen und jetzt leibhaftig den Landjungen zu erleben, ist ziemlich erfrischend.»

Ich weiß gerade nicht, ob ich beleidigt sein soll oder Mücke das als Kompliment gemeint hat, deshalb beschließe ich nicht weiter darauf einzugehen. «Du weißt, dass das der ultimative Test für unsere Beziehung wird?»

in case I fall for youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt